Ars Natura - Meisterwerke großer Naturforscher von Merian bis Haeckel

Ars Natura - Meisterwerke großer Naturforscher von Merian bis Haeckel

von: Judith Magee

wbg Theiss, 2017

ISBN: 9783806236200

Sprache: Deutsch

256 Seiten, Download: 33758 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Ars Natura - Meisterwerke großer Naturforscher von Merian bis Haeckel



EINLEITUNG:
Vorstellungen von der Welt der Natur


VON ALLEN WISSENSCHAFTEN eignet sich die Naturkunde am besten für die bildliche Darstellung. Können Worte abstrakt oder mehrdeutig sein, missverstanden oder falsch übersetzt werden, so gibt ein gekonnt und genau gezeichnetes Bild eine Realität wieder, mit der ein jeder und eine jede etwas anfangen kann. „Wo genaue Schaubilder geboten werden“, konstatierte der britische Naturforscher George Edwards 1758, „kann man sich viel Mühe mit verbalen Beschreibungen ersparen“.1 Doch obwohl Naturkunde-Illustratoren danach streben, ihre „Exemplare“ so lebenstreu wie möglich wiederzugeben, bleibt ihre Darstellung selektiv. Ein Variieren der Größenordnung, eine Manipulation des Gegenstands der Gesamtgestaltung zuliebe, seine Anordnung mit Tieren und Pflanzen, mit denen er in keiner naturgegebenen Verbindung steht, schließlich die Projektion eigener Vorannahmen über Flora, Fauna, Landschaft und Menschen anderer Landstriche beeinflussen naturkundliche Kunst unweigerlich.

Von den frühesten Zivilisationen an wurden Pflanzen und Tiere mit Blick auf mögliche Nutzanwendungen, etwa wirtschaftliche Verwertbarkeit oder Heileigenschaften, porträtiert. Vom ersten illustrierten Heilpflanzen-Katalog, De Materia Medica von Dioscorides aus dem 1. Jh., bis hinein ins späte 14. Jh. änderte sich an der Pflanzen- und Tierdarstellung sehr wenig. Holzschnitte in Handbüchern und Herbarien wurden im Laufe der Jahrhunderte vielfach kopiert, wobei Kontur- und Genauigkeitsverluste dazu führten, dass daraus nicht viel mehr als stilisierte Dekorelemente wurden. Mit zunehmender Popularität des Kupferstichs ging der Gebrauch des Holzschnitts zurück, die Wiedergabe wurde präziser. Als dann Künstler wie Albrecht Dürer und Leonardo da Vinci in Erscheinung traten, Naturforscher wie Otto Brunfels und Leonhard Fuchs (Botanik) sowie Konrad Gesner und Ulisse Aldrovandi (Zoologie), wurde die Natur immer realistischer dargestellt. Einzelne lebende Pflanzen oder Tiere wurden direkt beobachtet und ihr Erscheinungsbild auf Papier oder Pergament gebannt.

Die wissenschaftliche Revolution im Europa des 17. Jhs. ebnete in ungekanntem Ausmaß den Weg für Erkundungsreisen rund um die Welt. Männer und Frauen stellten sich der Herausforderung, in neue Länder aufzubrechen, um bizarre und wundersame Pflanzen und Tiere zu entdecken. Die daraus resultierenden Kunstwerke bezeugen, wie Europäer sich zu erklären suchten, was ihnen hier erstmals begegnete. Sie waren bestrebt, das Ungewöhnliche und Exotische, das Seltene und Dramatische einem breiteren Publikum bekannt zu machen, nicht nur dem üblichen Kreis von Philosophen, Ärzten und Kräuterkundigen. Erstmals gab es Künstler, die ihr Leben der Naturdarstellung widmeten.

Als die Erkundung der Meere Europa neue Weltteile eröffnete, etablierten Niederländer, Briten und Spanier bald ein weltweites Handelssystem. Traditionelle Landwege wurden durch transozeanische Handelsrouten und durch Schiffe ersetzt, die größere Frachtmengen in weit kürzerer Zeit transportieren konnten. Damit einher gingen eine Ausdehnung des Handels und die Anfänge der Industrialisierung und der Errichtung moderner Imperien. Rationalismus trat an die Stelle von Aber- und Offenbarungsglaube. Die europäische Expansion stimulierte die Neugier auf die Naturerzeugnisse dieser bisher unerforschten Länder und die wissenschaftliche Erforschung wurde zu einem wichtigen Bestandteil dieser Expansion. Die Interessen von Handelsgesellschaften und Regierungen fielen oft mit jenen von Wissenschaftlern und Naturforschern zusammen. Die europäischen Großmächte waren Seefahrernationen und auf Holz zum Schiffbau sowie auf Heil- und Nahrungspflanzen, die womöglich auch außerhalb des Gebiets ihres natürlichen Vorkommens angebaut werden konnten, angewiesen. Ein Exemplar davon oder eine Zeichnung waren oft der Schlüssel zur erfolgreichen Bestimmung dieser Pflanzen. Naturkundliche Kunst erfüllte also nicht nur eine taxonomische Funktion für den Wissenschaftler, sondern lieferte auch Informationen für Entscheidungsträger in Handel und Regierung. Die ersten wichtigen Expeditionen zur Entdeckung der exotischen Pflanzen des amerikanischen Kontinents, Indiens und Afrikas wurden von Personen in Diensten des spanischen oder portugiesischen Imperiums unternommen. Ihr Zweck bestand darin, medizinisch nützliche Pflanzen zu finden, ihr Vorkommen aufzuzeichnen und von den Einheimischen möglichst viel an Information zu ihren mutmaßlichen Vorzügen zu erhalten. Männer wie Garcia de Orta (Indien) und Francisco Hernández (Mexiko) gehörten zu den ersten Europäern, die Flora und Fauna dieser Weltteile genau beschrieben. Und diese Männer der Wissenschaft wurden von Künstlern begleitet, welche die Pflanzen und Tiere von Interesse zeichnen sollten.

ULISSE ALDROVANDI Harpyie Kupferstich, 1642 340 × 235 mm

Der große Aufschwung der Naturgeschichtsillustration setzte jedoch im späten 17. Jh. mit Künstlerinnen wie Maria Sibylla Merian ein und gelangte im 18. Jh. mit gefeierten botanisch ausgerichteten Künstlern wie Georg Ehret oder Franz und Ferdinand Bauer sowie den unerschrockenen reisenden Künstlern der Entdeckungsfahrten erneut zur Blüte. Er setzte sich bis zur Mitte des 19. Jhs. fort, wo er durch Künstler wie John James Audubon, Walter Hood Fitch und John Gould repräsentiert wird, Meister in Technik und Ausführung. Als die naturkundliche Kunst an Bedeutung für die Wissenschaft gewann, wurde Detailgenauigkeit immer wichtiger. Hilfreiche Handreichungen mit Zeichenanleitungen und erste Handbücher mit Farbnomenklaturen wurden publiziert.

OBEN Fuchs’ De Historia Stirpium Commentarii Insignes war eines der ersten Bücher, das Illustrationen enthielt, welche auf die unmittelbare Beobachtung lebender Pflanzen zurückgingen. Sie etablierten einen neuen Maßstab für die Bebilderung von Herbarien und naturgeschichtlichen Werken. Die Originalzeichnungen wurden von dem Künstler Albrecht Meyer angefertigt.

LEONHARD FUCHS De Historia Stirpium Commentarii Insignes, 1542 Kupferstich, 370 × 233 mm

Für viele Reisende waren die Erfahrungen, die sie machten, die Verwirklichung ihrer Träume und ihre Erzählungen sind „vom Stoff, aus dem die Träume sind“ (William Shakespeare, Der Sturm). Sie enthalten alle Ingredienzien einer faszinierenden Geschichte: Abenteuer, Intrige, Obsession, Leidenschaft, Gefahr, Tragödie, Spannung, Freude und Enttäuschung. Diese Feldforscher waren ausgezeichnete Beobachter und oft vorzügliche Künstler. Manche sahen auf jene Gelehrten herab, die sich, abgeschnitten von der Außenwelt, in ihren Studierzimmern gewissenhaft durch Systematiken arbeiteten. Der amerikanische Ornithologe Alexander Wilson etwa hatte keine Zeit für den Naturforscher im stillen Kämmerchen und nahm für sich in Anspruch, er habe sich tausendmal von „den öden und muffigen Aufzeichnungen“ der systematischen Autoren ab- und mit einem „Entzücken, das an Anbetung grenzt, dem großartigen Fundus der Wälder und Felder“ zugewandt.2 Die reisenden Naturforscher und Künstler wurden in der öffentlichen Wahrnehmung zu Helden und das Bild der Naturwissenschaft war im 18. und 19. Jh. zu einem großen Teil durch das Reisen bestimmt.

Was motivierte diese Künstler, Sammler und Reisenden dazu, auf der Suche nach dem Unbekannten ihr Leben und ihre künftige Existenzgrundlage zu riskieren? Erwartungen und Bestrebungen waren unterschiedlich: wissenschaftlicher oder künstlerischer Ruhm, finanzielle Gewinne oder zumindest die Aussicht, seinen Lebensunterhalt mit dem zu verdienen, was man liebte. Auch konnte man seine Sicht der Natur einer größeren Allgemeinheit vorstellen. Der amerikanische Naturforscher William Bartram, der den Südosten Nordamerikas bereiste, verwirklichte damit nicht nur seine eigenen Träume, sondern auch die seines Vaters, der jahrelang den Wunsch gehegt hatte, den Mississippi zu sehen, „den Urvater von ihnen allen“.3 Wie immer die Motive aussahen, wenige hätten Alexander von Humboldt widersprochen, wenn er sagte: „Ein unbestimmtes Streben nach dem Fernen und Ungewissen, alles, was meine Phantasie stark rührte, die Gefahr des Meeres, der Wunsch, Abenteuer zu bestehen und aus seiner [des Lebens] alltäglichen gemeinen Natur mich in eine Wunderwelt zu versetzen, reizte mich damals an.“4 Joseph Hooker, der spätere Direktor der Royal Botanic Gardens in Kew, wählte Indien und den Himalaya als Reiseziel, weil das Land ein „Mysterium“ darstelle, „gleichermaßen anziehend für den Reisenden wie den Naturforscher“.5 Und nahezu ausnahmslos arbeiteten die Wissenschaftler, Künstler, Philosophen oder Träumer, die im späten 18. und frühen 19. Jh. ihre Reisen unternahmen, auf eine spätere Publikation hin.

OBEN Hans Weiditz produzierte die Holzschnitte für Brunfels’ botanische Werke (links). Er war einer der ersten Illustratoren, die direkt nach der Natur zeichneten. Francisco Hernández (rechts)...

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