An einem Dienstag geboren - Roman

An einem Dienstag geboren - Roman

von: Elnathan John, Indra Wussow

Verlag Das Wunderhorn, 2017

ISBN: 9783884235539

Sprache: Deutsch

250 Seiten, Download: 371 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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An einem Dienstag geboren - Roman



BAYAN LAYI
2003


Die Jungs, die in Bayan Layi unter dem Baobab schlafen, prahlen gern damit, dass sie jemand umgebracht haben. Ich sage dann nie was, denn ich habe niemand umgebracht. Banda schon, aber er mag nicht darüber reden. Während sie durcheinanderplappern, raucht er wee-wee. Gobedanisa ist immer der Lauteste. Nur zu gern erinnert er alle und jeden an den Tag, an dem er einen Mann erwürgt hat. Ich war dabei, habe gesehen, was passiert ist, unterbreche ihn aber nicht. Gobedanisa und ich wollten von einem lambu Süßkartoffeln stehlen und wurden dabei vom Farmer erwischt. Als der unter lauten Morddrohungen hinter uns herjagte, stürzte er im Busch in eine Antilopenfalle. Gobedanisa rührte ihn nicht an. Wir standen einfach bloß da und sahen zu, wie er kämpfte und kämpfte und dann aufgab.

Mir ist egal, ob Gobedanisa Lügengeschichten erzählt, aber manchmal würde ich ihn am liebsten anraunzen, er soll endlich die Klappe halten. So wie er übers Töten redet, könnte man meinen, er kommt dafür ins aljanna, dass Allah ihm den besten Platz reserviert. Ich weiß, warum er so redet, die Kleineren sollen Respekt vor ihm haben. Und Angst vor ihm bekommen. Sein Gesicht ist eine Narbenkarte, die auffälligste ist dünn und lang und reicht vom rechten Mundwinkel bis zum rechten Ohr. Die von uns, die schon länger hier sind, wissen, dass er die an dem Tag bekam, an dem er sich mit Banda anlegte. Niemand der Banda kennt, legt sich mit ihm an. Du riskierst, umgebracht zu werden. Ich weiß nicht mehr, was der Auslöser für den Streit war. Als ich dazukam, hörte ich Banda brüllen: »Ka fita harka na fa!« Steck deine Nase nicht in meine Angelegenheiten! Normalerweise brüllt Banda nicht, daher wusste ich, dass es was Ernstes war. Gobedanisa muss ziemlich viel von dem wee-wee geraucht haben, das er von Banda gekriegt hatte. Er gab die unverzeihliche Beleidigung »Gindin maman ka!« von sich. Fotze deiner Mutter! Banda war größer als er, trug einen Talisman und am rechten Arm drei Amulette gegen Messer und Pfeile. Nichts aus Metall konnte ihm was anhaben.

Kaum hatte Gobedanisa Bandas Mutter beleidigt, sprang Banda vom Ast des Guavenbaums runter, auf dem er gesessen hatte, und verpasste ihm eine direkt aufs Maul. Er trug den rostigen Ring mit den scharfen Kanten. Gobedanisas Mund fing an zu bluten. Er hob eine Holzlatte auf und rammte sie Banda in den Rücken. Banda warf nur einen kurzen Blick zurück und ging dann wieder zum Baum rüber. Aber Gobedanisa war auf Ruhm aus. Wer Banda kleinkriegte, vor dem würden alle Angst haben, der wäre unser neuer Anführer. Er schnappte sich eine zweite Latte und zielte auf Bandas Kopf, doch Banda drehte sich blitzschnell um und blockte den Schlag mit seinem rechten Arm ab. Die Latte brach auseinander. Mit blutenden Händen machte Gobedanisa einen Satz vorwärts und traf Banda am Kinn. Banda zuckte nicht einmal. In Bayan Layi trennt man Streithähne nicht, außer einer wird beinahe umgebracht oder der Kampf ist richtig unfair. Manchmal mischen wir uns sogar dann nicht ein, denn keiner stirbt ohne Allahs Willen. Banda packte Gobedanisa am Hemd, schlug ihm zweimal ins Gesicht und verdrehte ihm den rechten Arm, mit dem er nach dem Messer in seiner Hosentasche angelte. Er drückte Gobedanisa zu Boden und verpasste ihm mit der rechten Faust den langen Riss auf der Wange.

In Bayan Layi ist keiner nachtragend. Gobedanisa hat immer noch seine Narbe, akzeptiert Banda jedoch weiterhin als Anführer und tut, was der sagt. Alles, was geschieht, ist Allahs Wille, warum sollte man da nachtragend sein?

Ich mag Banda, denn er ist mit seinem wee-wee ziemlich großzügig. Ihm gefällt nicht, wie ich das, was hier passiert ist, während er in Sabon Gari war, erzähle. Ich habe keine Ahnung, wie man Geschichten erzählt, sagt er, ich würde nur drauflosreden, wie der Harmattan, der einfach nur weht und weht und Staub aufwirbelt. Ich erzähle Geschichten nun mal gern so, wie ich sie in Erinnerung habe. Und manchmal muss man eine Geschichte eben erklären. Manchmal besteht die Erklärung aus vielen Geschichten. Wie kann eine Geschichte schön sein, wenn man sie nicht von Anfang an erzählt?

Jetzt, wo die Wahl ansteht, kriegt Banda viel Geld: Dafür, dass er die Plakate der Kleinen Partei anbringt und die Plakate der Großen Partei abreißt oder in der Stadt das Auto von jemand demoliert. Er teilt das Geld immer mit den Jungs und mir gibt er mehr als den anderen. In der Gang der großen Jungs in Bayan Layi bin ich der jüngste und Banda der älteste. Trotzdem ist er mein bester Freund.

Ich glaube, es war letzten Monat oder der Monat vor Ramadan, als ein Junge von außerhalb was klauen wollte. Keiner wagt sich nach Bayan Layi, um was zu klauen. Weil der Ort so klein ist, fällt jeder herumlungernde Fremde sofort auf. Der Junge wollte Maman Ladidi ein paar Gallonen Erdnussöl stehlen. Ihr Haus ist ba’a shiga: Männer dürfen es nicht betreten. Bei seinem Anblick schrie sie auf. Da rannte er weg, sprang über den Zaun. Ich jage gern Diebe, vor allem, wenn ich weiß, dass sie nicht aus Bayan Layi sind. Ich bin der Schnellste hier, obwohl ich mir mal bei einem Motorradunfall in Sabon Gari das Bein gebrochen habe. Jedenfalls schnappten wir uns den Erdnussöldieb und verpassten ihm die Abreibung seines Lebens. Beim Verprügeln von Dieben benutze ich gern scharfe Gegenstände. Ich mag, wenn beim Zuschlagen Blut spritzt. Wir zwangen den Jungen sich zu setzen und Banda wollte seinen Namen wissen. Idowu, sagte er. Ich wusste, dass er log, denn er hatte eine Igbo-Nase. Ich nahm einen langen Nagel und stieß ihm den mehrmals in den Kopf und schrie, er soll seinen richtigen Namen sagen.

»Idowu! Ich schwöre, ich heiße Idowu!«, kreischte er, als sich der Nagel in sein Fleisch bohrte.

»Wo ist deine unguwa?« Acishuru, der Junge mit dem schlimmen Auge, schlug ihm ins Gesicht. Er wusste, wie man zuschlägt, der Junge mit dem schlimmen Auge.

»Bei Sabon Gari«, antwortete der Dieb.

»Wo genau?«, schrie ich. Als er schwieg, stieß ich ihm den Nagel in den Hals.

»Sabon Layi.«

Irgendwie rappelte er sich hoch und rannte davon, ich sag euch, wie ein Vogel am Himmel flog er an uns vorbei. Diesmal kriegten wir ihn nicht mehr. Banda sagte, wir sollen ihn laufen lassen. Bis Sabon Layi kam er allerdings nicht. Abends entdeckte einer seine Leiche im Straßengraben. So regelt Allah solche Sachen – wir haben nicht mal besonders fest zugeschlagen. Wallahi, wir haben bei anderen viel fester zugeschlagen und die sind nicht gestorben. Aber Allah entscheidet, wer lebt und wer stirbt. Nicht ich. Nicht wir.

Die Polizei rückte mit der Bürgerwehr von Sabon Gari an und wir mussten flüchten. Manche versteckten sich in der Moschee. Banda, Acishuru, Dauda und ich schwammen durch den Kaduna, der hinter Bayan Layi vorbeifließt, und streiften durch Farmen und Buschland, bis es so spät war, dass wir nicht wieder durch den Fluss zurückkonnten. Wenn es dunkel ist, darf Banda mit seinen Amuletten nämlich nicht in den Fluss. Er sagt, sie verlieren ihre Kraft, wenn sie nachts mit dem Flusswasser in Berührung kommen, und abnehmen kann er sie auch nicht, dann verlieren sie ebenfalls ihre Kraft.

Alle reden über die Wahl, dass danach alles anders wird. Sogar Maman Ladidi, die eigentlich nur daran interessiert ist, ihr Erdnussöl zu verkaufen, hat in ihrem Haus ein Plakat mit dem Kandidaten der Kleinen Partei an der Wand hängen. Sie lässt ihr kleines Radio laufen, damit sie alles rund um die Wahl mitbekommt. Das machen alle. Die Marktfrauen tragen Umschlagtücher mit dem Gesicht des Kandidaten und dem Parteilogo, und viele Männer haben wie er einen weißen Kaftan und eine rote Kappe auf. Ich finde den Mann gut. Obwohl er nicht reich ist, verteilt er kleine Geldbeträge und unterhält sich, wenn er in der Stadt ist, mit den Leuten. Noch besser finde ich, wie er seine rote Kappe trägt, so schräg, dass man denkt, sie fällt gleich runter. Wenn ich Geld habe, kaufe ich mir auch so eine, vielleicht auch einen weißen Kaftan. Aber weiß wird so schnell dreckig – Seife ist teuer und durch das Flusswasser wird er braun, wenn er gewaschen ist. Malam Junaidu, mein ehemaliger Koranlehrer, trägt auch weiß und er sagt, dass der Prophet, sallallahu alaihi wasallam, gern weiß trug. Aber Malam Junaidu gibt seine Kleider auch zum Wäscher, der sein Wasser bei den Trinkwasserverkäufern holt. Irgendwann mal, insha Allah, kann ich mir auch Trinkwasser kaufen oder zum Wäscher gehen und bewahre alle meine weißen Kleidungsstücke in einer Kiste auf. Wenn die Kleine Partei gewinnt, geht es aufwärts. Insha Allah.

Ich finde die Wahldemos toll. Die Männer von der Kleinen Partei vertrauen Banda und geben ihm Geld, damit er für sie die Jungs aus Bayan Layi zusammentrommelt. Manchmal kriegen wir, abhängig von Politiker und Demo, bis zu hundertfünfzig Naira. Jede Menge zu essen und zu trinken gibt’s auch.

Ich ziehe gern mit Banda herum. Die Männer respektieren ihn und sogar die größeren Jungs haben Angst vor ihm. Wir sind befreundet, seit...

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