Bob Dylan - Die Geschichte seiner Musik

Bob Dylan - Die Geschichte seiner Musik

von: Olaf Benzinger

dtv, 2011

ISBN: 9783423407267

Sprache: Deutsch

361 Seiten, Download: 2933 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Bob Dylan - Die Geschichte seiner Musik



Talkin’ New York


Als Dylan zusammen mit einem Freund, Fred Underhill, am 24. Januar 1961 im winterlichen New York ankommt, hat er wohl hauptsächlich zwei Dinge im Kopf: erstens so schnell wie möglich Woody Guthrie zu besuchen; und zweitens möglichst rasch in die Folksinger-Szene einzusteigen. Also führt ihn sein Weg an jenem kalten und verschneiten Dienstag von Grand Central Station schnurstracks ins Folkcafé Wha? und er besucht am nächsten Tag Woody Guthrie im Greystone Hospital in Morristown, New Jersey – zahlreiche weitere Besuche an seinem Krankenbett folgen. (Zur Atmosphäre dieser Besuche äußert sich Dylan ausführlich am Ende des zweiten Kapitels seiner autobiografischen ›Chronicles Vol. 1‹.) Der enge Kontakt zu Guthrie löst in Dylan zwiespältige Gefühle aus: Zum einen quält es ihn, sein einst vor Kraft und Ausstrahlung nur so strotzendes Idol dahinsiechen und verfallen zu sehen, andererseits verleiht ihm die Nähe zu Woody Guthrie gleichsam eine Art Weihe. Er zieht eine große mentale Stärke aus den Treffen im Krankenhaus, sie »begleiten« ihn bei seinem Bemühen, in der Szene Fuß zu fassen.

Wann immer es geht, spielt er – meist als Pausenfüllsel – in Clubs wie dem Café Wha?, dem Commons, Gerde’s Folk City oder dem Gaslight Club und weiteren Szenetreffs, seine Erinnerungen hierzu sind im ersten Kapitel der ›Chronicles‹ festgehalten. Dylan schließt Szene-Freundschaften mit zahlreichen Wirten, Gästen, Zeitungsleuten und vor allem mit Musikern wie Fred Neil oder Ramblin’ Jack Elliott. Doch unter den vielen Bekanntschaften, die für sein Überleben in der rauen neuen Welt New Yorks auch ganz notwendig sind, ragen nur einige wenige heraus:

Als Erster wäre der Musiker Dave van Ronk (1936 – 2002) zu nennen. Er ist zwar nur fünf Jahre älter als Dylan, aber schon mit mehreren Alben etabliert ( »King of MacDougal Street«) und daher vor allem ein künstlerisches Vorbild. Doch van Ronk bietet dem jungen Neuankömmling auch ein Stück logistischer Heimat, denn wenn dieser immer mal wieder nicht weiß, wo er die Nacht verbringen soll, bietet er ihm ein Sofa in seinem Appartement in der 15th Street an. Daves Ehefrau Terry van Ronk übernimmt sogar einige Monate lang Dylans chaotische Auftrittsplanung.

John Hammond sr. (1910 – 1987) ist Dylans erster musikalischer Mentor. Der bekannte Jazz-Produzent wird über eine Zeitungsnotiz auf Dylan aufmerksam und protegiert sehr zur Verwunderung zahlreicher Kollegen und Fachleute den jungen Musiker. Entsprechend macht schon bald das spöttische Wort von Dylan als »Hammond’s Folly«– Hammonds Torheit – in der Szene die Runde.

Album-Info: Bob Dylan

Veröffentlichung: 19. März 1962 Produzent: John Hammond sr.

Liner Notes: Robert Shelton (unter dem Pseudonym Stacey Williams)

Coverfoto: Don Hunstein

Songs:

1. She’s No Good

2. Talkin’ New York

3. In My Time Of Dyin’

4. Man Of Constant Sorrow

5. Fixin’ To Die

6. Pretty Peggy-O

7. Highway 51

8. Gospel Plow

9. Baby Let Me Follow You Down

10. House Of The Risin’ Sun

11. Freight Train Blues

12. Song To Woody

13. See That My Grave Is Kept Clean

(1.: Jesse Fuller

2. & 12.: Bob Dylan

3., 4., 6., 8., 10., 11.: Traditional

5.: Bukka White

7.: Curtis Jones

9.: (Eric) Ric Von Schmidt

13.: Blind Lemon Jefferson)

Weitere Dylan-Songs dieser frühen Phase:

Ain’t Gonna Grieve

Ballad For A Friend

Gypsy Lou

Hard Times In New York Town 1

Poor Boy Blues

Standing On The Highway

Dazu private Amateureinspielungen zahlreicher Fremdtitel, darunter die mittlerweile offiziell veröffentlichten:

Baby Please Don’t Go 3

Dink’s Song 2

I Ain’t Got No Home 3

I Was Young When I Left Home 2

Rambler, Gambler 2

The Story Of East Orange, New Jersey 3

This Land Is Your Land 2

Wade In The Water 3

Offiziell veröffentlicht auf:

1 Bootleg Series 1

2 Bootleg Series 7

3 Highway 61 Interactive

Weitere Veröffentlichungen auf Bootleg Series 9

Dylans erster publizistischer Mentor ist der Folkkritiker der ›New York Times‹, Robert Shelton (1926 – 1995). Am 29. September 1961 veröffentlicht er unter dem Titel »Bob Dylan – A Distinctive Stylist« einen ausführlichen Artikel, in dem er dem strubbeligen Youngster eine künstlerisch bedeutsame Zukunft vorhersagt. Auch wenn der Artikel heftigen Widerspruch hervorruft – »Dylan kann nicht singen, kann kaum spielen und hat von Musik wirklich keine Ahnung. Ich glaube, Sie haben nicht mehr alle Tassen im Schrank«, meint etwa Fred Hellerman von den Weavers–: Robert Shelton wird mit seiner Einschätzung Recht behalten.

Die wohl wichtigste Bezugsperson Dylans in den frühen New Yorker Jahren ist seine Freundin Suze Rotolo (geboren 1944). Sieist seine Muse, wäscht ihm die Kleider und sagt ihm, wann er zum Friseur gehen muss –, an ihrer Seite wird der nach außen hin oft schroff und abweisend wirkende Bobby sanft und weich. Schon bald spricht man in der Szene von den beiden als »Hänsel und Gretel« – welch ein Kontrast zu dem Etikett, das nur zweieinhalb Jahre später Dylan und Joan Baez erhalten werden: »King and Queen«. Vor allem aber weckt und verstärkt Suze Dylans Sensibilität für soziale Themen, die er in seiner frühen Songwriter-Phase auch intensiv verarbeitet. Als Sekretärin von CORE (Congress Of Racial Equality) sitzt sie an der Quelle und macht ihn mit vielen Persönlichkeiten der Bürgerrechtsbewegung bekannt. Allerdings – und das wird zum großen Problem der beiden – ist Suze nicht bereit, sich in die Rolle des Anhängsels eines berühmten Mannes zu fügen, und als Dylan rasch an Popularität und Ruhm gewinnt, ist ihre Beziehung zum Scheitern verurteilt.

Schließlich lernt Dylan Albert Grossman (1927 – 1986) kennen, den wohl besten, zugleich aber auch aggressivsten Manager New Yorks. Der clevere Geschäftsmann erkennt, dass nach den Jahren des Rock’n’Roll nun zu Beginn der Sechziger das große Geld eher mit Folk zu machen ist, und mit Peter, Paul& Mary sowie mit Odetta hat er schon zwei Zugpferde in seinem Stall (später werden noch Janis Joplin, The Band, Gordon Lightfoot und Todd Rundgren dazukommen). Grossmans Erfolgsgeheimnis basiert auf zwei Säulen: Zum einen lässt er seinen Künstlern größtmögliche kreative Freiheit, zum anderen fährt er gegenüber der Presse und Öffentlichkeit einen sehr scharfen und forcierten Kurs.

Als Dylan im November 1961 erstmals das Columbia Studio in New York für die Aufnahmen zu seinem Debütalbum betritt, hat er es bereits zur lokalen Szene-Bekanntheit gebracht. Immer wieder bekommt er die Gelegenheit, vor allem Bluesmusiker wie John Lee Hooker, Big Joe Williams oder Victoria Spivey bei deren Auftritten zu begleiten. Einen treffenden Eindruck von Dylans Repertoire dieser Tage gibt ein Band, das er im Mai bei einem Besuch in Minneapolis aufnimmt und das als so genanntes ›Minneapolis Party Tape‹ auf diversen Bootlegs kursiert. Dasselbe gilt für Aufnahmen ein gutes halbes Jahr später: Als Dylan im Winter seine Heimat besucht, nimmt er im Beecher Hotel am 22. Dezember 26 Songs auf, die später als ›The Minnesota Hotel Tapes‹ den Grundstock des Bootleg-Albums ›Great White Wonder‹ (siehe Seite 286) bilden.

Am 4. November veranstaltet das Folkore Center New York das erste Solokonzert Bob Dylans in der Carnegie Recital Hall, einem kleinen Konzertraum für rund 200 Personen. Doch nur 53 Zuhörer finden sich ein. Dennoch ist Dylan der Mittelpunkt einer einstündigen CBS-Radio-Sendung, ›Folksinger’s Choice‹, durch das Programm führt die prominente Moderatorin Cynthia Gooding; dies trägt natürlich sehr zu Dylans Bekanntheit bei (siehe hierzu auch unten Seite 310).

Nun betritt er am 20. November mit seiner Gitarre also das Columbia Studio, dort lässt John Hammond ihn einfach drauflosspielen. Nach einigen Anläufen bringt Dylan als Erstes den Titel »She’s No Good« aufs Band. Der Song heißt auf der Langspielplatte ursprünglich noch »You’re No Good« und stammt von Jesse Fuller. Fuller (1896 – 1976) macht sich vor allem in den Fünfzigern einen Namen als Ein-Mann-Band, eine abenteuerliche Konstruktion erlaubt ihm das gleichzeitige Spiel von Gitarre, Mundharmonika, Trommel und Kazoo, eine Art Blasekamm. »She’s No Good« ist eine der bekannteren Nummern Fullers und firmiert häufig auch unter dem Titel »Crazy About A Woman«.

»Fixin’ To Die« ist ein Blues des schwarzen Bukka White alias Booker T. Washington White (1906? –1977), den Dylan bei Dave van Ronk zum ersten Mal auf einer alten Bluesplatte aus den frühen Vierzigern hört.

Auch der berühmte Bordellsong »House Of The Risin’ Sun« geht auf eine Anregung Dave van Ronks zurück, denn dieser hat eigentlich vor, das Lied für seine nächste Platte selbst einzuspielen. Doch Dylan ist schneller und klaut dazu noch van Ronks Arrangement– ein übler Affront gegenüber seinem Freund. Natürlich ist dieser stinksauer und spricht einige...

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