positiv - Roman

positiv - Roman

von: Masande Ntshanga, Indra Wussow

Verlag Das Wunderhorn, 2018

ISBN: 9783884235850

Sprache: Deutsch

200 Seiten, Download: 478 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

geeignet für: geeignet für alle DRM-fähigen eReader geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen


 

eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

positiv - Roman



2. TEIL


ALS ICH AUF DEM RUGBY-FELD den ersten Jungen töte, denke ich außer, ich muss den Abzug loslassen, sofort, eigentlich gar nicht so schlimm. Ich meine, es ist grauenvoll, wie die Kugel – wir benutzen teilummantelte Hohlspitzgeschosse – ihm direkt über dem Ohr den Schädel wegpustet, er hinfällt, das Blut überall rumspritzt und Haare flattern, aber schließlich ist Harriet Tubman auch tot. Ruan späht mir über die Schulter, schaut runter auf das Blut, das im von Ameisen bevölkerten Rasen versinkt. Sauberer Kopfschuss, sagt er. Dann nimmt Cissie mir die Waffe aus der Hand und schießt einem anderen Jungen unbekümmert in die Gurgel. Schätze, so hoch, wie der springt, muss er im Team ein Zweite-Reihe-Stürmer gewesen sein. Sein Hals explodiert in Winglets aus Fleisch, und wir drei müssen die Augen schließen, damit kein Blut reinkommt. Ich gehe einen Schritt vorwärts und sage zu meinen Freunden: Weiß nicht, glaubt ihr, das funktioniert? Da drückt mir Cissie die Waffe in die Hand und zieht die Schuhe aus. Sie lächelt, als sich der grüne Rasen zwischen ihre Zehen durchschiebt, und ich schätze, so ist das, wenn man als Killer für die Regierung arbeitet. Die Waffe ist glitschig vom Schweiß, und wenn ich blinzle, sehe ich die Welt durch ein Prisma aus Blut. Dann geht noch einer zu Boden, und Ruan beugt sich über den blutenden Kopf von dem Typen und fragt, warum ausgerechnet wir? Wenn das solche Profikiller sind, warum machen die es dann nicht selbst? Ums Killen geht es nicht, sage ich, sondern um eine Säuberungsaktion. Diese Kids hier, die sind doch alle längst tot. Dann sagt Cissie, ist das gruslig und wir beide fragen, was? Und sie sagt, Schüsse ohne Knall. Ruan und ich sehen im anwachsenden Verkehrslärm zu ihr hoch. Sie öffnet den Mund, als wollte sie noch was sagen, aber in dem Moment, wo sie die Lippen schließt, erwache ich in der Toilettenkabine auf der Arbeit.

Da auf der Toilettenbrille verkrampft mein Rücken. Ich beuge mich vor und versuche es mit Dehnen. Dann nehme ich zwei weitere Schmerztabletten und schaue runter zwischen meine Beine. Das Handy blinkt blau im matten Licht, was heißt, ich habe eine neue Nachricht.

Ich höre, wie mein Kollege Dean in die Kabine neben mir stolpert, auf die Knie fällt und sich übergibt. Im ganzen Raum riecht es nach Erbrochenem. Dean kommt jeden Sonntag verkatert zur Schicht. Samstagabends spielt er Schlagzeug für die Hausband im Purple Turtle, einer angesagten PunkBar auf der Long Street. Der Besitzer, ein Rastafari namens Levi, streicht die Hälfte der Eintrittsgelder ein. Dafür dürfen die Musiker nach jedem Set trinken, so viel sie wollen. Ich stelle mich auf die Toilettenbrille und reiche Dean die noch übrigen Schmerztabletten rüber. Dann setze ich mich wieder hin und befreie mein Handy mit einem Knopfdruck aus dem Standby-Modus.

Ruan kümmert sich um den Mail-Account, den wir für unsere Bestellungen nutzen. In der neuen Nachricht, in CC an Cissie, geht es um einen Großauftrag. Ich öffne sie und lese die MMS noch auf der Toilettenbrille.

Sie ist ziemlich lang, lässt sich aber schnell wiedergeben. Der Kunde schreibt, er kauft uns alles ab und zahlt den doppelten Preis. Keine Pakete, keinen Kurier, wir müssen ihn persönlich treffen, sonst platzt der Deal. Ich lese die Nachricht ein zweites Mal und starre noch eine Weile auf mein Handy. Dann drücke ich auf die Spülung und wasche mir die Hände.

Als ich mich auf den Weg nach draußen mache, schaut Dean aus seiner offenen Kabine zu mir hoch und bedankt sich.

Alter, echt, sagt er, und ich nicke.

Er trägt ein altes, zerschlissenes Pantera-T-Shirt und sitzt zerknautscht auf dem Boden, die blonden Haare kleben ihm an der verschwitzten Stirn. Ich schließe die Tür zu seiner Kabine und gehe zurück auf meinen Posten.

Ich schätze, diesen Job hätte ich erwähnen sollen. Ich arbeite in einer Videothek namens Movie Monocle in Green Point, wo ich jeden Mittwoch bis Sonntag einchecke. Das Geld, das Ruan, Cissie und ich mit den Bestellungen einnehmen, und die monatliche Rate meiner Entschädigung, die ich für das bekomme, was mir vor Jahren an der Tech passierte, halten mich über Wasser, wenn am Monatsende mein Vermieter anruft.

Meine Aufgabe hier in der Videothek besteht darin, hinter einem lackverkleideten Tresen – einem dieser Halbkreisdinger – mit schwarzem T-Shirt und orangener Basecap den Captain zu geben, und eingerollte Zwanziger und Mitgliedsausweise der Stammkunden von Movie Monocle entgegenzunehmen. Falls mich wer sucht, kann er mich hier finden. Wenn ich aufschaue, sehe ich Filmposter, circa drei Meter oberhalb der grauen Teppichfliesen an den gelben Wänden aufgestellt, dicht an dicht, so dass sie sich an den Ecken berühren. Direkt über mir, zwischen Tresen und Rückwand, wirbeln zwei Deckenventilatoren die Luft auf.

Ich trockne mir die Hände an der Jeans, bevor ich mich wieder hinterm Tresen postiere. Dann lese ich Ruans Mail noch mal durch. Ich drücke auf Antworten und frage Cissie und Ruan, ob dieser Großabnehmer vielleicht ein Bulle ist.

Eine Weile kommt keine Antwort, dann schickt Cissie eine SMS, dass sie das mit der Bullen-Sache für voreilig hält …

Ich warte, was noch kommt.

Sie schreibt: Leute, ich meine, wir sollten nicht gleich Panik kriegen, oder? Vielleicht hat sich hier nur jemand einen schlechten Scherz erlaubt, meint ihr nicht?

Ich seufze.

An Sonntagen nimmt Cissie immer den Zug nach Muizenberg, um dort ihre Tante im Pflegeheim zu besuchen. Sie nutzt diese Zeit für einen sanften Comedown. Sie umgibt sich mit alternden Körpern, weil sie so den Dopamin-Abbau in ihrem Körper besser steuern und mit ihrer Angst vor der eigenen Endlichkeit besser klarkommen kann.

In einem achteckigen Innenhof reißen ihre Tante und sie Grashalme ab, aus denen sie kleine Schleifchen und Kränze binden. Und dort sehe ich sie jetzt vor mir: wie sie auf dem Rücken liegt und ihr beim Tippen die Sonne ins Gesicht scheint.

Ich beschließe das jetzt lieber sein zu lassen, da bekomme ich eine Nachricht von Ruan.

Der Gedanke mit der Polizei ist mir auch schon gekommen, schreibt er.

Das überrascht mich nicht. Die Ruhe weg, wie Cissie, hat er genauso selten wie ich. Seine Comedowns sind nicht besser oder schlechter als die von anderen. Für ihn ist ein Sonntag ein anderer Computer in einem anderen Raum. Er schreibt, er wüsste, wie ich darauf komme.

Gerade will ich nach unten scrollen, als ich höre, wie die Tür zum Lager aufgeht. Schnell lasse ich das Handy in die Hosentasche gleiten und lege die Hände auf den Tresen und versuche möglichst aufrecht dazustehen.

Mein Manager kommt mit einem Plastik-Clipboard durch die Tür hinten.

Das sehe ich gern, immer schön lächeln, sagt er.

Ich nicke.

Bis vor zwei Monaten hat Clifton hier im Monocel genauso wie ich als Sklave hinter dem Tresen gestanden. Er wurde befördert, nachdem Red, der vorige Manager, gekündigt hatte und nach Knysna gezogen ist. Seitdem kommandiert Clifton uns herum. Ich warte, bis er in die andere Richtung geht, bevor ich mein Handy wieder raushole.

Um auch noch den Rest der Nachricht lesen zu können, lege ich es vor mir auf den Tresen.

Der Typ ist kein Bulle, schreibt er, aber er weiß, wer wir sind.

Ruan leitet Cissie und mir eine zweite Mail von ihm weiter. Wir nehmen uns jeder kurz Zeit, um sie zu lesen. Die Mail wurde um 12 Uhr abgeschickt. Sie enthält unsere Namen, unsere Adressen und unseren Arbeitsort, ganz unten steht, ich bin kein Bulle. Er teilt uns außerdem mit, dass er im Voraus zahlt. Wir können entscheiden, was wir damit machen.

Heißt das, wir können das Geld einfach behalten, oder wie, fragt Cissie.

Ich will ihr gerade antworten, als ich Clifton höre, der durch unser Geschäftsabteil streift. Ihm sind mal wieder die Aufgaben ausgegangen. Er kratzt sich mit dem Clipboard hinten am Nacken, sein schwarzer Rollkragen wird von einem Dunstschleier aus Schuppen bestäubt. Ich wende mich wieder meinem Handy zu und schreibe an Ruan und Cissie: Okay, was läuft hier?

Als keiner der beiden reagiert, fange ich an, mir Sorgen zu machen. Das bringt mich zu Bhut’ Vuyo zurück und instinktiv öffne ich seine zweite Nachricht. Ich will ihm gerade zurückschreiben, als Clifton mit der Hand auf den Tresen klopft.

Hey, sagt er, während der Arbeit wird nicht geschlafen.

Ich nicke.

Auch kein Chatten übers Telefon.

Ich schließe die SMS von meinem Onkel und stecke das Handy weg.

Gut, sagt er.

Ich sehe, wie Clifton den Kopf dreht und hoch zum Gerät schaut, das über dem Tresen angebracht ist. Mit einem Mal verzieht er das Gesicht.

Verdammt, okes, sagt er. Das ist nicht euer Ernst, das geht überhaupt...

Kategorien

Service

Info/Kontakt