Tabaluga - Die Suche nach dem Feuer - Der Originalroman

Tabaluga - Die Suche nach dem Feuer - Der Originalroman

von: Helme Heine, Gisela von Radowitz

Beltz, 2018

ISBN: 9783407749529

Sprache: Deutsch

173 Seiten, Download: 6938 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Tabaluga - Die Suche nach dem Feuer - Der Originalroman



Zum Glück flog gerade der Specht vorbei, dem es gelang, die Nuss dank seines spitzen Schnabels zu öffnen. Tabaluga brach einen Ast vom Baum und schob sie mit dessen Hilfe dem Verletzten direkt vor’s Maul. Der Bär begriff. Er versuchte, die Nuss mit seinen Klauen zu fassen, sie an seine spröden, ausgetrockneten Lippen zu führen. Doch der gebrochene Arm knickte weg. Die Nuss fiel um, die Kokosmilch versickerte im Sand.

Es war ein kläglicher Anblick, wie hilflos dieser Koloss war. Schweigend nahm Ojo eine weitere Nuss und ging mit bebendem Herzen auf die Bestie zu. Aus der Nähe erschien ihr der Eisbär noch gigantischer als aus der Distanz. Sein Kopf, der auf dem massigen Körper von fern so winzig ausgesehen hatte, war größer als sie selbst. Sie nahm all ihren Mut zusammen und hielt ihm die geöffnete Frucht unter die Nase. Gierig schlürfte er sie leer.

Sie bückte sich erleichtert nach einer weiteren Nuss, aber Tabaluga schob sie zur Seite: »Immer der Reihe nach. Jetzt bin ich dran.«

Die Harmlosigkeit des Bären hatte seine Angst verdrängt. So wechselten sie einander ab, eine Nuss nach der anderen. Nach der zehnten Ladung fragte sich Ojo trocken: »Hat der ein Loch im Bauch?«

Sie lachten, aber es war immer noch nicht genug. Vier weitere Früchte mussten geöffnet werden, bis der Eisbär mit einem zufriedenen Seufzer zur Seite kippte und in einen tiefen Schlaf fiel.

Tabaluga und Ojo freuten sich, dass sie einem Bedürftigen geholfen hatten, obwohl alle gegen ihn gewesen waren.

»Und was machen wir jetzt?«, fragte Ojo.

»Jetzt gehen wir zum Biber.«

»Hat der Karotten?«

»Du denkst auch immer nur ans Essen!«

Ojo war erschöpft von der schweren Arbeit und wollte sich ein wenig ausruhen.

»Wenn du nicht willst, gehe ich eben alleine«, sagte Tabaluga. »Irgendwann wacht der Bär ja wieder auf. Und dann?«

Er zog los. Im Erlenbusch bei den hundert Teichen wohnte der Biber, der beste Holzfäller im ganzen Paradies. Er hatte gerade einen sauberen Sanduhrschnitt in den Stamm einer großen Birke genagt, als Tabaluga auftauchte und ihn freundlich begrüßte.

»Wie geht’s, Herr Nachbar? Schöner Tag heute, nicht wahr?«

Der Biber war skeptisch. Wer so nett zu einem Holzarbeiter war, der hatte einen Hintergedanken.

»Was willst du?«, brummte er schlecht gelaunt, ohne den Gruß zu erwidern.

»Ich brauche ein paar Weidenäste«, sagte Tabaluga.

»Die brauch ich selber!«

Tabaluga überlegte. So kam er nicht weiter. »Ich habe nur eine kleine Bitte. Vielleicht kann ich dir eines Tages auch mal einen Gefallen tun.«

»Das kannst du jetzt gleich«, sagte der Biber, »geh zur Seite!«

Tabaluga trat einen Schritt zurück, und im selben Augenblick fiel die Birke krachend und splitternd auf genau die Stelle, an der er gerade gestanden hatte.

Der Biber grinste. Er entblößte seine beiden Schneidezähne und schnarrte:

»Wie viel?«

»Ich … ich kann dich nicht bezahlen, ich …«

»Wie viele Äste brauchst du?«

»Einen starken Stecken, doppelt so groß wie ich. Und vier gerade Stöcke, so lang wie ... wie ein Schwanenhals.«

»Entrindet?«

Bevor Tabaluga antworten konnte, war alles fertig.

»Pass auf, dass der Holzwurm nicht reingeht!«, riet der Biber und drückte ihm die gesamte Bestellung in die Arme.

Dankbar machte Tabaluga sich auf den Rückweg und nahm die Abkürzung über den Biberdamm. Als er das Ufer erreichte, rutschte er aus und plumpste in den Teich. Das Gewicht der Weidenruten, die er gebündelt auf dem Kopf aufgetürmt hatte, drückte ihn unter Wasser. Verzweifelt versuchte er sich zu befreien, schlug um sich, um irgendwo Halt zu finden, verfing sich jedoch hoffnungslos in den Zweigen. Seine Lungen füllten sich mit Wasser. Er verlor das Bewusstsein.

Ojo, die es ohne ihn nicht ausgehalten hatte und ihm heimlich gefolgt war, erkannte augenblicklich die Todesgefahr. Ohne zu zögern, sprang sie hinterher, obwohl sie nicht schwimmen konnte. Mit einer Hand klammerte sie sich an das Holzbündel, mit der anderen paddelte sie zurück ans rettende Ufer. Es war schnelle Hilfe und doch kam sie zu spät. Tabaluga hatte bereits zu viel Wasser geschluckt. Sein Lebensfeuer war erloschen.

*

Misstrauisch starrte Arktos auf die Mattscheibe seines Monitors. Konnte er glauben, was sich da vor seinen Augen abspielte? Es war unfassbar: Die kleine Häsin schlug mit beiden Fäusten auf den Drachen ein und schrie: »Wach auf, Tabaluga, verdammt noch mal! Du kannst mich doch jetzt nicht im Stich lassen, nach allem, was wir zusammen erlebt haben. Wach auf!«

Arktos beobachtete die Szene distanziert wie ein Regisseur. War das echt oder nur gespielt? Demonstrierten die beiden ihre Schauspielkunst, um ihn zu täuschen? Oder war es ein Geschenk des Schicksals, das ihn in der Vergangenheit nicht gerade verwöhnt hatte? Alles, alles hatte er sich bisher ertrotzen müssen. Die Natur hatte ihm nichts geschenkt. Und nun? War der Feind ohne sein Zutun erledigt?

Ojo kämpfte, das war offensichtlich. Sie sprang auf den Bauch des Drachen, um Wasser aus ihm herauszupressen. Sie rüttelte und schüttelte ihn. Sie flehte ihn an und sah sich Hilfe suchend um. Tabaluga rührte sich nicht. In ihrer Verzweiflung verabreichte sie ihm eine schallende Ohrfeige. Das war echt!

Arktos gluckste und lachte vor Vergnügen und konnte sich nicht sattsehen an diesem Spektakel. Der Drache war ersoffen. Sein drohendes Feuer für immer erloschen. Tabaluga, der letzte Drache auf Erden, war tot. Endlich. Es war geschafft. Jetzt konnte ihn niemand mehr daran hindern, die Herrschaft über die gesamte Welt anzutreten. Überglücklich schaltete er den Monitor aus, ließ sich mit der Kantine verbinden und ordnete an, kostenlos eine Dose Ölsardinen für jeden Untertan auszuteilen – zur Feier des Tages.

*

Ojo weinte Tränen der Verzweiflung, der Wut und der Trauer. Wäre Tabaluga im Kampf gefallen, vom Eisbären erledigt, von Arktos im Zweikampf besiegt oder von einer Lawine erschlagen worden – sie hätte es akzeptiert. Aber auf dem Heimweg auszurutschen und zu ertrinken?

Starb so ein Held?

Sie sprang auf, um den Biber zu Hilfe zu holen, aber sie war blind vor Sorge und landete in einem Brennnesselfeld. Es brannte wie die Hölle, doch gleichzeitig entzündete es eine Idee in ihr.

Tabaluga hatte ihr von den Bienen erzählt. Wie er Honig klauen wollte und sie ihn zur Strafe gestochen hatten. Wie er gelitten hatte, aber der Schmerz hatte sein Feuer entzündet, wenn auch nur für kurze Zeit.

Ojo schöpfte neuen Mut. Sie nahm die Brennnesseln und wischte sie, klatsch-klatsch, über Tabalugas Gesicht. Und das Wunder geschah. Eine winzige durchsichtige Rauchwolke stieg aus seiner Nase. Seine Brust hob und senkte sich, seine Augenlider erzitterten, die Nerven zuckten und sein Drachenschwanz bäumte sich auf. Die Seele kehrte zurück in den Leib. Der brennende Schmerz schenkte ihm sein Lebensfeuer zurück und ließ alles Wasser, das er geschluckt hatte, verdampfen.

Er öffnete die Augen, erkannte die Freundin und versuchte zu lächeln.

*

Gemeinsam schienten Tabaluga und Ojo Arm und Bein des Eisbären, den sie Rex nannten. Sie zeigten ihm, wie er sich mithilfe der Krücke selbstständig fortbewegen konnte. Er war dankbar und lernte schnell.

So humpelte er mit ihnen durch die Tage und Wochen. Das Eis der Feindschaft und des Misstrauens zwischen Rex und den Bewohnern des Paradieses schmolz.

Der Eisbär fand manches merkwürdig in diesem Land. Er hatte viele Fragen, auf die er keine Antwort wusste. Warum knabberte Ojo von morgens bis abends diese Arktos-Nasen? Warum mochte sie keinen Fisch? Hatte sie Angst vor Gräten? Warum schätzte man hier die schweißtreibende Sonne mehr als einen herrlichen eisigen Schneesturm? Er wollte nicht glauben, dass es hier keinen Herrscher gab, der den Lauf der Dinge bestimmte. Vielleicht, vermutete er, hatten sie im Augenblick niemanden, der stark genug war. Sicher würde Tabaluga über das Land gebieten wollen, sobald er sein Feuer fände. Das wäre doch das Natürlichste von der Welt.

»Eine Diktatur wie unter Arktos?«, argwöhnte Tabaluga.

Der Eisbär nickte.

»Das wird es bei uns niemals geben.«

»Stimmt nicht«, widersprach der Eisbär. »Ich habe die Ameisen beobachtet, sie sind meine Zeugen. Sie leben in einem streng geordneten Staat, marschieren in Reih und Glied wie unsere Soldaten in Eisland. Alles ist geregelt und funktioniert auf Befehl der Königin.«

»Falsch! Die Ameisenkönigin bringt nur die Kinder zur Welt....

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