Echte Bäume weinen nicht - Warum wir die Natur Natur sein lassen sollten

Echte Bäume weinen nicht - Warum wir die Natur Natur sein lassen sollten

von: Gerbrand Bakker

Suhrkamp, 2019

ISBN: 9783518761564

Sprache: Deutsch

200 Seiten, Download: 2563 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Echte Bäume weinen nicht - Warum wir die Natur Natur sein lassen sollten



Aufregung


Vor ein paar Jahren hat die Tageszeitung Trouw einige Schriftsteller gebeten, Artikel zum Thema »Lernen« zu schreiben. Im Sinne von: etwas, das man früher nicht konnte, nun aber schon. Mein Text ging ungefähr so (beim erneuten Lesen füge ich hinzu und lasse weg, es kann ja nur besser werden):

Früher bemerkte ich es nicht einmal, wenn ich mich in einem Garten befand. Ein Garten war ein Ort, wo man saß und Getränke zu sich nahm oder Fleisch verkohlen ließ; ein Übergangsgebiet zwischen Straße und Vorder- oder Hintertür. Damals achtete ich auf Zargen, Dachrandpaneele, Fensterbänke und Haustüren. In meiner Freizeit war ich Anstreicher. Immer hatten Sträucher – meistens die stacheligen – unter mir zu leiden, weil die Mistdinger der Leiter im Weg standen und ich zu der Zeit ziemlich aufbrausend war. Einmal ist mir eine rotblättrige Berberitze in die Quere gekommen. In voller Absicht rammte ich meine Leiter mitten in sie hinein, und noch einmal, und noch einmal. Später, viel später, sollte ich eine Gärtnerlehre machen. So trat der Garten in mein Leben.

»Der Garten.« Nicht mein Garten. Das ist ein himmelweiter Unterschied. Die Gärten anderer Leute, vollendet, wie sie sind, wurden von mir – manchmal gemeinsam mit Gartenkumpel Han – nur gepflegt. Alles an ihnen war fertig, das Einzige, was ich tun musste oder wir tun mussten, war, die Auswüchse zu beseitigen, damit der Garten erneut fertig aussah. Muschelpfade rechen. Äste absägen. Hecken schneiden. Ordnung halten oder wiederherstellen.

Ich habe auch Gärten entworfen. Entwürfe richten sich in erster Linie nach den Wünschen der Auftraggeber. Natürlich bringt man sein eigenes Können ein, besonders beim Zeichnen, bei der Auswahl des Materials und der Entwicklung eines Bepflanzungsplans, aber es bleibt eine übernommene Arbeit. Ein Auftrag. Und es ist schon vorgekommen, dass ich, nachdem ich zum vierten Mal ein und denselben Garten entworfen hatte – das Ehepaar aus Almere konnte sich einfach nicht einigen –, den ganzen verdammten Papierkram mit einem kurzen Schreiben in einen Briefumschlag gesteckt habe: »Hier der allerletzte Entwurf, und wagen Sie es ja nicht, mich dafür zu bezahlen.« Aufbrausend will ich auch heute noch manchmal sein. Denn: Ein Gärtner ist kein Paartherapeut, schönen Dank auch. Ein Gärtner will draußen sein, er hat nämlich einfach keine Lust, eine Stunde lang in einer viel zu warmen Küche bei einem Kaffee zu sitzen und sich Dinge anzuhören, von denen er nichts wissen will. Oder im Garten immerzu von Auftraggebern mit ellenlangen Geschichten über die bevorstehende Scheidung aufgehalten zu werden.

Seit einem Jahr besitze ich ein Haus in Deutschland. Zum Haus gehören 1600 Quadratmeter Grund mit Anhöhe: Das Haus liegt mit seiner gesamten Rückseite an einem Hang. Das Erste, was ich getan habe: Ich habe keinen Entwurf gezeichnet. Sosehr ich es auch mag, mit meinen grünen Stiften in allen Farbnuancen, mit Geodreiecken oder mit dem Speziallineal, mit dem sich der Maßstab leicht ändern lässt, herumzuhantieren. Kein Entwurf. Nur bei Neubauprojekten ist ein Garten jungfräulich. Mein Garten war das nicht, auch wenn ich, als letztes Jahr im April endlich der Schnee geschmolzen war, außer einer verirrten Pfingstrose und einem uralten Rhabarber keine weiteren mehrjährigen Pflanzen entdecken konnte. Er war, und ist es teilweise immer noch, ein Urwald aus Brombeeren, Giersch und Brennnesseln. Grob gesagt, besteht mein deutscher Garten aus vier Teilen: dem Vorgarten, einem seitlichen Garten mit Terrassen (ich habe selbst zwei neue Schiefermauern gebaut und eine instand gesetzt), einem Garten hinterm Haus, praktisch in gleicher Höhe mit der Dachrinne, und einem schönen Stück Wald.

Den eigenen Garten habe ich letztes Jahr besitzen gelernt. Und jetzt, im neuen Jahr, lerne ich das immer noch. Manchmal ist es auf eine Weise entmutigend, wie ich es bei der Arbeit in den Gärten anderer nie empfunden habe. Denn: Aus so einem Garten gehe ich am Ende des Tages fort. Mein Garten aber ist immer hier. Er gehört mir. Gelegentlich bemerke ich, dass Besucher sich besonders aufmerksam umsehen. Der Garten eines Gärtners, na, da bin ich ja mal gespannt. Dann werde ich jedes Mal ganz aufgeregt. Genau aus dem Grund habe ich keinen Entwurf gezeichnet. Ich habe mir von Anfang an gesagt: »Dieser Garten soll langsam wachsen.« In diesem einen Jahr habe ich alle Tulpenzwiebeln ausgebuddelt und an anderer Stelle wieder gesteckt. Gerade erst habe ich Holunderbüsche umgesetzt (wieso gibt es die eigentlich in keinem Gartencenter zu kaufen?). Die geerbte Pfingstrose wurde schon drei Mal verpflanzt. Ich habe Dinge getan, über die ich im Nachhinein dachte: Nein, das ist wirklich viel zu kitschig, das geht nicht. Doch kurz darauf: Warum denn nicht? Immerhin ist es mein Garten, und wenn ich einen kitschigen Garten will, bitte sehr.

Übrigens, eine Beobachtung, die meine Aufregung etwas dämpft: Wie oft blättert die Farbe an den Fensterrahmen eines Malerbetriebs ab? Und auch die Dachrinne eines Dachdeckers kann undicht sein. Vielleicht gehört es einfach zum Schicksal eines Gärtners, dass sein Garten weniger schön und weniger gepflegt ist als die anderen Gärten, in denen er arbeitet.

Ich habe gelernt, Zement anzurühren. Das macht Spaß. Man schüttet ein paar Dinge zusammen (Sand, Zement, Wasser), und schon kann man bauen. Zement ist übrigens nicht das richtige Wort, ich sollte Mörtel schreiben. Mörtel ist die Kombination aus Wasser, Sand und Zement. Die Terrasse vorm Haus besteht aus Fliesenresten. Ich habe sie zum Teil mit falsch angerührtem Mörtel repariert, und so fingen die Fugen nach ein paar Monaten zu bröckeln an. Dieser Teil kommt nächsten Sommer noch mal dran. Später habe ich die Terrasse verbreitert und Natursteinverlegemörtel verwendet. Der scheint mehr zu taugen. Ich habe also gelernt, unbrauchbaren, falschen Mörtel herzustellen. Nachbar Klaus – ein Fliesenleger und mein Berater in diesen Dingen – sagt »so viele Teile Sand, so viele Teile Zement«. Aber nicht jedes Mauerwerk erfordert das gleiche Mischverhältnis. Die Schiefermauern, die neben dem Haus die nach oben ansteigenden Terrassenflächen voneinander trennen, benötigen – laut Nachbar Klaus – ein Eins-zu-eins-Verhältnis. Der Boden drückt dagegen, auf diese Mauern wirken enorme Kräfte. Doch auch hier wieder: bröckelnder Mörtel. Vielleicht muss ich länger mischen und kneten. Nachbar Klaus hat ein praktisches Elektrogerät dafür, ich mache es mit der Hand, weshalb ich immer nur kleine Mengen produziere. Und jeder Eimer Mörtel ist in seiner Zusammensetzung ein wenig anders. Vielleicht sollte ich lieber meinem eigenen Mörtelgefühl vertrauen und etwas weniger auf Nachbar Klaus hören.

Ich habe gelernt, der Besitzer eines Gartens zu sein. Ich kenne nun die Verantwortung, die das Zähmen der Natur im kleinen Maßstab mit sich bringt. Und mehr noch als in den Gärten anderer ist mir bewusst, dass man niemals wirklich etwas falsch machen kann: Ein Garten lebt, wächst, stirbt ab, kann eine Weile »blöd« sein und einen Monat später »hübsch«. Ich lerne, geduldig zu sein und einen ganzen Sommertag im Liegestuhl zu verbringen, um in den blauen Himmel zu starren. Morgen ist auch noch ein Tag, um etwas einzupflanzen oder wieder auszugraben. Und wenn nicht morgen, dann eben übermorgen.

Woran mein Auge jetzt, ein paar Jahre nach dem Schreiben des Artikels, hängen bleibt, ist diese Aufregung, dieses Gefühl, einen Garten zu besitzen, der – für einen Gärtner – nicht schön genug ist, der die Erwartungen der Besucher nicht erfüllt. Das ist etwas, das zu mir gehört. Wenn sich schon Jarmans verbissene, urteilende und prüfende Art in seinem Garten widergespiegelt hat, ist dann mein Garten nicht auch ein Spiegelbild meiner Aufregung, oder besser, meiner Unsicherheit? Teilweise schon. Erst gestern habe ich das wieder einmal erlebt, als ich am Rand der Terrassenflächen seitlich vom Haus das letzte Ziergras (Carex morrowii »Variegata«) ausgebuddelt habe. Ursprünglich hatten dort sieben Büschel gestanden, umgeben von einem Zaun, den ich aus geschnitzten Zweigen geflochten hatte. Der...

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