Zazie in der Metro - Roman

Zazie in der Metro - Roman

von: Raymond Queneau

Suhrkamp, 2019

ISBN: 9783518761328

Sprache: Deutsch

237 Seiten, Download: 1922 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Zazie in der Metro - Roman



I


Waschtinkndiso, dachte Gabriel entnervt. Unglaublich, waschen die sich nie. In der Zeitung steht, nur jede neunte Pariser Wohnung hat ein Bad, mag ja sein, aber waschen kann man sich auch ohne. Die vor meiner Nase haben sich jedenfalls nicht besonders angestrengt. Andererseits ist das hier nicht die allerverdreckteste Auswahl von ganz Paris. Wieso auch, kein Grund. Die hat der Zufall zusammengebracht. Warum sollten die Leute, die an der Gare d’Austerlitz warten, übler riechen als die an der Gare de Lyon? Kein Grund, ehrlich mal. Aber puh, dieser Geruch.

Gabriel förderte ein malvenfarbenes Seidentüchlein aus dem Ärmel zutage und riegelte sich damit den Rüssel ab.

»Was stinkt hier bloß dermaßen?«, verkündete lautstark eine Tante.

Damit meinte sie nicht sich, so ichbezogen war sie nicht, sondern den Duft, den der Mussjöh da verströmte.

»Das, meine Gutste«, antwortete Gabriel mit der ihm eigenen Schlagfertigkeit, »ist Gorilla, ein Parfüm aus dem Hause Myves St. Fleurant.«

»Müsste verboten werden, die Welt dermaßen zu verpesten«, legte die Schachtel selbstgewiss nach.

»Wenn ich dich recht verstehe, meine Gutste, dann schlägt dein Naturduft deiner Meinung nach den der Rosen. Tja, da hast du recht, bloß anders, als du denkst.«

»Hast du das gehört?«, fragte die Tante einen Kleinen nebendran, wahrscheinlich den Typen, der sie legal besteigen durfte. »Hast du gehört, wie dieses fette Schwein mich hier beleidigt?«

Der Kleine beäugte Gabriels Format und sagte sich, aha, ein Muskelprotz, die sind ja gutmütig, die nutzen ihre Kraft nie aus, wär ja feige. Also riss er ordentlich das Maul auf:

»Hey Orang-Utan, du stinkst.«

Gabriel seufzte. Schon wieder Gewalt anwenden. Widerlich, so genötigt zu werden. Nichts Neues seit Neandertal. Aber was muss, das muss. Konnte er doch nix dafür, wenn immer die Schwächlinge allen auf die Eier gingen. Na gut, lassen wir dem Würstchen noch ne Chance.

Also er: »Sag das nochmal.«

Etwas verwundert, dass der Kleiderschrank überhaupt antwortete, ließ sich der Kleine ausreichend Zeit für die folgende ausgefeilte Replik:

»Sag was nochmal?«

Ziemlich stolz auf die Retourkutsche, der Kleine. Nur dass das Trumm nicht nachgab, es beugte sich vielmehr vor, um diesen einphasigen Sechssilber auszustoßen:

»Wasdegradgesachthas …«

Der Kleine bekam es mit der Angst. Es wurde wohl Zeit, höchste Zeit wurde es, sich einen verbalen Schutzschild zu schmieden. Der Erstbeste war ein Alexandriner:

»Dieses Du möchte ich mir verbeten haben.«

»Lusche.« Gabriel hielt es ganz schlicht.

Und hob den Arm, als wollte er seinem Gesprächspartner eine langen. Ohne Umschweife ging dieser ganz von allein zu Boden, zwischen den Beinen der Leute, und hätte am liebsten losgeweint. Doch zum Glück kommt hastenichgesehn der Zug eingefahren, das sorgt für Kulissenwechsel. Die duftende Menge richtet ihre tausend Augen auf die Parade der Ankommenden; ganz vorn im Laufschritt Geschäftsmänner, die Aktentasche in der Hand, sonst kein Gepäck, und ins Gesicht geschrieben, dass nur sie vom Reisen Ahnung haben.

Gabriel lässt den Blick in die Ferne schweifen; die beiden sind bestimmt ganz hinten, Frauen halt, immer ganz hinten; aber von wegen, taucht da eine Rotznase auf und haut ihn an:

»Chbin Zazie, und du bist mein Oheim Gabriel, wetten?«

»Ja, der bin ich«, erwidert Gabriel und legt ein gewisses Oho in seinen Ton. »Und jetzt fährst du mit deinem Oheim heim.«

Die Göre lacht sich weg. Gabriel nimmt sie mit höflichem Lächeln in die Arme, hebt sie an seine Lippen, küsst sie, sie küsst ihn, er setzt sie ab.

»Du riechst ja sowas von gut«, sagt das Kind.

»Gorilla von Myves St. Fleurant«, erklärt der Tarzan.

»Tust du mir davon was hinter die Ohren?«

»Das ist ein Herrenparfüm.«

»Du siehst, womit du es zu tun hast.« Endlich schafft sich Jeanne Grossestittes bei. »Du wolltest ja drauf aufpassen, bitte, da hast dus.«

»Läuft«, sagt Gabriel.

»Kann ich mich auf dich verlassen? Weil, verstehst du, ich will nicht, dass sich die ganze Familie an ihr vergreift.«

»Aber Mami, letztes Mal warst du doch grad noch rechtzeitig!«

»Wie auch immer«, sagt Jeanne Grossestittes, »das kommt mir nicht nochmal vor.«

»Sei ganz unbesorgt«, sagt Gabriel.

»Gut. Dann treffen wir uns übermorgen hier, der Zug geht um 18 Uhr 60

»Bahnsteig Abfahrt«, sagt Gabriel.

»Natürlisch«, sagt Jeanne Grossestittes, sie hat die Besatzung hautnah erlebt. »Ach übrigens, wie gehts deiner Frau?«

»Besten Dank. Du kommst uns nicht besuchen?«

»Schaff ich nicht.«

»So ist sie halt, wenn sie einen Kerl am Start hat«, sagt Zazie, »da zählt Familie garnix mehr.«

»Tschau, Liebes. Tschau, Gabri.«

Sie verdrückt sich.

Zazies Kommentar:

»Die ist verknallt.«

Gabriel zuckt die Achseln und sagt nichts. Er schnappt sich Zazies Köfferchen.

Jetzt sagt er was.

»Abmarsch«, sagt er.

Dann schießt er los, schubst alles, was ihm in den Weg kommt, nach links und rechts. Zazie trappelt hinterher.

Und schreit: »He Oheim, nehmwer die Metro?«

»Nö.«

»Wie, nö?«

Sie blieb stehen. Gabriel stoppt auch, dreht sich um, setzt das Köfferchen ab und erläutert:

»Ja eben: nö. Heut läuft nix. Streik.«

»Wie, Streik?«

»Ja eben: Streik. Heut schlummert dieses überaus pariserische Transportmittel namens Metro unter der Erde, weil die Männer mit den Knipsezangen ihre Arbeit eingestellt haben.«

»Diese Drecksäcke«, schreit Zazie, »diese Saftärsche. Und das mir!«

»Das tun sie nicht bloß dir an.« Vollkommen objektiv.

»Mir doch egal. Passiert ja trotzdem mir. Und ich hatte mich so irrsinnig drauf gefreut, mit der Metro rumzukutschen. Verdammter Mist, sone Kacke.«

»Bedien dich mal deiner Vernunft.« Zuweilen zeichneten sich Gabriels Äußerungen durch einen leicht kantischen Thomismus aus.

Sodann fügte er, auf die Ebene der Kosubjektivität wechselnd, hinzu:

»Außerdem sollten wir uns jetzt tummeln. Ich sag nur: Charles watet.«

»Ha! Den Witz kenn ich schon«, rief Zazie wütend, »aus den Memoiren des General Vermot

»Aber nein«, sagte Gabriel, »nein. Charles ist ein Kumpel, und er hat ne Taxe. Die er wir uns eben wegen dem Streik reserviert hat, äh, haben, die Taxe. Alles klar? Abmarsch.«

Mit der einen Hand schnappte er sich das Köfferchen wieder, mit der anderen zerrte er Zazie hinter sich her.

Tatsächlich wartete Charles, vertieft in ein Wochenblatt mit Chronik der blutenden Herzen. Er suchte, und zwar schon seit Jahren, eine gut Abgehangene, der er die fünfundvierzig Kirschen seines Frühlings verehren konnte. Aber die Jenigen, die sich so in dieser Gazette ausmärten, waren ihm immer zu sehr Zicke oder Gans. Verschlagen oder falsch. Im Balken ihres Lamentos erschnüffelte er den Splitter, und noch in dem zerquältesten Mauerblümchen entdeckte er die potenzielle Quertreiberin.

»Tachchen, Kleine.« Keinen Blick für Zazie, stattdessen sorgfältig das Druckwerk unter seinem Hinterteil verstaut.

Sie drauf: »Sowas von hässlich, diese Karre.«

»Steig ein«, Gabriel, »und sei nicht so ein Snob.«

»Snob? Leck mich!«

»Lustich, deine kleine Nichte.« Charles drückt auf den Nippel und wirft die Kiste an.

Mit leichter, aber starker Hand schickt Gabriel Zazie auf die Rückbank der Taxe und lässt sich dann neben ihr nieder.

Zazie protestiert.

»Mach dich nicht so breit«, kreischt sie wutentbrannt.

»Vielversprechend«, bemerkt Charles knapp und friedfertig.

Er fährt an.

Nachdem sie etwas Strecke gemacht haben, weist Gabriel mit großartiger Geste auf die Gegend.

»Ah! Paris«, verkündet...

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