Ausgezählt - Thriller

Ausgezählt - Thriller

von: David Baldacci

Heyne, 2019

ISBN: 9783641244880

Sprache: Deutsch

496 Seiten, Download: 2759 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Ausgezählt - Thriller



1


Ene, mene, muh.

FBI Special Agent Atlee Pine betrachtete die strenge, düstere Fassade des Gefängniskomplexes, in dem einige der gefährlichsten Exemplare der Gattung Mensch verwahrt wurden.

Mit dem schlimmsten von ihnen wollte Pine heute Abend sprechen.

Das ADX Florence, ungefähr hundert Meilen südlich von Denver, war das einzige Hochsicherheitsgefängnis im US-Bundesstrafvollzug, das den »Supermax«-Standard erfüllte, die maximale Sicherheitsstufe, die man durch Haftbedingungen erreichte, die einer Isolationshaft nahekamen. Insgesamt saßen mehr als neunhundert Sträflinge auf diesem abgelegenen Flecken Erde hinter Gittern.

Nachts, wenn alle Lichter brannten, funkelten die Gebäude des Gefängniskomplexes, vom Himmel aus betrachtet, wie Diamanten auf schwarzem Samt – so kalt und hart wie die Männer in diesen Mauern, ob Wärter oder Häftling. Es war kein Ort für Leute mit schwachen Nerven. Es war ein Ort, an dem Bestien in Menschengestalt untergebracht waren, Psychopathen übelster Sorte.

So beherbergte das Supermax unter anderem den Unabomber, den Attentäter vom Boston-Marathon, die 9/11-Terroristen, mehrere Serienkiller, einen Mittäter des Anschlags von Oklahoma, verschiedene Spione, Anführer der White-Supremacy-Bewegung sowie eine Reihe von Mafia- und Drogenbossen. Die Jüngsten unter ihnen waren Mitte zwanzig, die Ältesten gingen auf die achtzig zu. Die meisten würden in diesen Mauern sterben. Wer zu mehrfach lebenslänglich verurteilt war, konnte sich keine Hoffnungen machen, jemals freizukommen.

Das Hochsicherheitsgefängnis lag fernab der menschlichen Zivilisation in einem kargen Landstrich in Colorado. Noch nie war es einem Häftling gelungen, aus dem ADX Florence auszubrechen. Sollte es wider Erwarten doch jemand schaffen – er hätte keine Chance. Hier gab es kein Versteck, keine Deckung, keinen Schutz in der flachen, offenen Landschaft, in der es nicht die winzigste Erhebung gab, so weit das Auge reichte. Nirgends wuchs ein Grashalm, geschweige denn ein Baum oder Strauch. Der Gefängniskomplex wurde von vier Meter hohen, von Stacheldraht gekrönten Mauern umschlossen. Auf dem Gelände patrouillierten rund um die Uhr bewaffnete Wärter mit Kampfhunden. Falls doch einmal ein Häftling bis zur Mauer durchkam, würde er mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer Kugel oder scharfen Hundezähnen getötet. Und niemand würde ihm auch nur eine Träne nachweinen.

Durch die schmalen, einen Meter hohen Fenster der Zellen sah man nur den Himmel oder das Dach des Gefängnisbaus. ADX Florence war so angelegt, dass die Insassen zu keinem Zeitpunkt wussten, in welchem Teil der Anlage sie sich befanden. Die Zellen waren dreieinhalb mal zwei Meter groß, und praktisch alles im Innern, außer dem Häftling, war aus Stahlbeton. Die Duschen schalteten sich nach kurzer Zeit von selbst ab, und die Wände waren schallisoliert, sodass kein Häftling mit einem anderen Kontakt aufnehmen konnte. Die massiven Stahltüren wurden hydraulisch betätigt, und die Essensausgabe erfolgte durch einen schmalen Schlitz in der Zellentür. Außerhalb der Zellen war jede Kommunikation untersagt; die einzige Ausnahme bildete der Besucherraum. Für aufmüpfige Häftlinge und Notfälle gab es die Z-Einheit, »Schwarzes Loch« genannt – ein Bereich, in dem die Zellen völlig dunkel blieben und die Betonbetten mit Riemen versehen waren.

Einzelhaft war in dieser Anstalt nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Das Supermax war nicht dafür gedacht, den Insassen in seinen Mauern Freude und Zerstreuung zu bieten.

Atlee Pines Wagen war sorgfältig durchsucht, ihr Name und Ausweis anhand der Besucherliste gecheckt worden. Erst danach hatte man sie zum Haupteingang geführt, wo sie den Sicherheitsmännern ihre Papiere zeigte, die sie als FBI Special Agent auswiesen.

Pine war fünfunddreißig und trug seit zwölf Jahren die FBI-Dienstmarke am Gürtel. Auf der golden schimmernden Plakette prangte ein Adler mit ausgebreiteten Schwingen; darunter war Justitia mit Waage und Schwert zu sehen. Pine fand es irgendwie passend, dass eine weibliche Figur das Abzeichen der weltweit bekanntesten Polizeibehörde zierte.

Nachdem sie den Sicherheitsleuten ihre Glock 23 ausgehändigt hatte, war Pine unbewaffnet, denn die Beretta Nano, die sie normalerweise in einem Fußholster trug, war im Auto geblieben. Vermutlich war es das erste Mal, dass Pine freiwillig ihre Waffe herausgab. Beim FBI gab man seine Pistole nur ab, wenn man tot war. Doch Amerikas einziges Supermax-Gefängnis hatte seine eigenen Regeln, an die auch Pine sich halten musste, wenn sie hineinwollte – und das wollte sie.

Um jeden Preis.

Atlee Pine war groß, eins einundachtzig ohne Schuhe, und athletisch. Die Größe hatte sie von ihrer Mutter geerbt, den durchtrainierten Körper verdankte sie jahrelangem Krafttraining. Die Muskulatur an Oberschenkeln und Waden, Schultern und Oberarmen war ausgeprägt und gut definiert. Neben Gewichtheben hatte Pine Mixed Martial Arts und Kickboxen betrieben und sich dabei so ziemlich alle Tricks und Kniffe angeeignet, um sich gegen einen größeren, schwereren Gegner zu behaupten.

All diese körperlichen Vorzüge und Fertigkeiten hatte Pine mit einem ganz bestimmten Ziel vor Augen erworben: in einer männlich dominierten Welt zu überleben. Ihre physische Kraft, ihre Ausdauer und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten waren dabei extrem hilfreich. Pines Gesicht war kantig, doch auf seine eigene Weise attraktiv. Ihr Haar war dunkel und schulterlang, und das verwaschene Blau ihrer Augen strahlte etwas Unergründliches aus.

Pine hatte das ADX Florence noch nie besucht. Während zwei stämmige Wärter, die bislang kein Wort gesprochen hatten, sie durch die Gänge führten, fiel ihr als Erstes auf, wie still es hier war. Als FBI-Agentin hatte sie schon mehr als einen Knast von innen gesehen. Normalerweise herrschte eine lebhafte Geräuschkulisse: Schreie, Flüche, wüste Drohungen, vermischt mit banalem, meist lautstarkem Gequatsche; man sah Finger, die Gitterstäbe umklammerten, und drohende Blicke aus den schummrigen Tiefen der Zellen. Wer noch nicht völlig verroht war, würde es spätestens bei seiner Entlassung sein. Falls er bis zur Entlassung überlebte. In Florence lag die Todesrate extrem hoch.

Es war wie in Herr der Fliegen.

Mit dem Unterschied, dass es hier Stahltüren und Toiletten gab.

Doch anders als in anderen Gefängnissen war es hier so still wie in einer Kirche. Pine war beeindruckt. Es war bemerkenswert, wenn man bedachte, dass hier Männer einsaßen, die zusammengenommen Tausende Mitmenschen abgeschlachtet hatten – mit Bomben, Schusswaffen, Messern, Gift oder bloßen Fäusten. Oder, im Fall der Spione, mit Heimtücke und Verrat.

Ene, mene, muh,

und raus bist du.

Pine war von St. George, Utah, herübergefahren, wo sie einige Jahre zuvor gewohnt und gearbeitet hatte. Es war eine lange Strecke; sie hatte den gesamten Bundesstaat Utah und die Hälfte von Colorado durchquert. Ihrem Navi zufolge hätte sie für die 650 Meilen etwas mehr als elf Stunden benötigen müssen; sie hatte die Strecke in knapp zehn Stunden bewältigt, dank des bärenstarken Motors ihres SUV und des elektronischen Warngeräts, das sie durch die allgegenwärtigen Radarfallen gelotst hatte.

Einmal hatte sie haltgemacht, um die Toilette aufzusuchen und sich einen Happen für unterwegs zu besorgen. Den Rest der Zeit hatte sie einfach nur das Gaspedal voll durchgetreten.

Sicher, sie hätte nach Denver fliegen und nur das letzte Stück mit dem Auto fahren können, doch sie hatte Urlaub und brauchte ohnehin ein bisschen Zeit, um darüber nachzudenken, wie sie vorgehen würde, sobald sie ihr Reiseziel erreicht hatte. Eine lange Fahrt durch weite, menschenleere Landschaften bot dafür ideale Voraussetzungen.

Pine war im Osten aufgewachsen, hatte aber den Großteil ihres Berufslebens in den schier endlosen Ebenen des amerikanischen Südwestens verbracht. Und sie hatte nicht die Absicht, von hier wegzugehen. Sie liebte die Weite und die wilde Schönheit der Natur.

Nach ein paar Jahren beim FBI war Pine in der glücklichen Lage gewesen, sich ihre Dienststelle aussuchen zu können, denn sie war bereit gewesen, in die Provinz zu gehen, wohin sonst niemand wollte. Die meisten Agenten zog es an eines der sechsundfünfzig FBI Field Offices. Manche mochten es heiß und bevorzugten Miami, Houston oder Phoenix. Andere hofften auf eine steile Karriere und bemühten sich um einen Posten in New York oder Washington, D.C. Auch Los Angeles und Boston waren aus verschiedenen Gründen äußerst beliebt. Doch Pine hatte nie Interesse gehabt, in einer dieser Städte zu landen. Sie bevorzugte die Abgeschiedenheit einer Resident Agency, kurz RA, einer kleinen FBI-Niederlassung mitten im Nirgendwo. Und solange sie ihre Arbeit tat und Ergebnisse lieferte, ließ man sie in Ruhe.

In den einsamen Landstrichen des Südwestens war Pine oft die einzige Vertreterin der Bundespolizei in vielen Hundert...

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