Ein gemachter Mann - Die lichtscheuen Studienjahre des Robert Bley. Roman

Ein gemachter Mann - Die lichtscheuen Studienjahre des Robert Bley. Roman

von: Berni Mayer

DuMont Buchverlag , 2019

ISBN: 9783832184469

Sprache: Deutsch

432 Seiten, Download: 1311 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Ein gemachter Mann - Die lichtscheuen Studienjahre des Robert Bley. Roman



1

HAUNTING THE CHAPEL

Robert Bley hält seinen Zeigefinger ins Licht. Ein roter Tropfen perlt an ihm herunter, gefolgt von einem Blutfaden, überquert die Lebenslinie und fällt auf den karminroten Boden, wo er einen kleinen dunklen Fleck hinterlässt. Robert hat noch fünf Sekunden Zeit, bevor das Chaos ausbricht.

Es ist Feierabend in der Kapelle.

Links von ihm, unter der gusseisernen Wendeltreppe, die nach oben zum Ausgang und zur Toilette führt, sitzen die Punker in Unterhemden und Lederjacken und lachen ihn aus. Rechts davon auf der Bank mit den kleinen runden Tischen aus Metall, entlang der Wand mit dem gerahmten Filmplakat von Jesus Christ Superstar und einer Kopie von Gnadenbild Mariahilf von Cranach dem Älteren, sitzen die Stammgäste, die im Gegensatz zu den Punks noch bleiben dürfen. Thomas, der permanent schwitzende Türsteher, hat sie aus allen Winkeln der Kapelle zusammengetrieben und gegenüber der Theke auf der Bank aufgereiht. Sie beobachten stumm, wie Robert Bley seine blutende Hand ins matte Deckenlicht hält, nur einer ist aufgestanden, als wollte er etwas unternehmen, umklammert aber gleichzeitig sein Bierglas, als hätte er Angst, man könne es ihm wegnehmen.

Wer in der Kapelle arbeitet, nennt sie auch »Tropfsteinhöhle«, denn sie liegt unter dem Donauspiegel, und bei ernsthaftem Hochwasser wird sie mindestens bis auf Kniehöhe durchgespült. Beim letzten Jahrhundertregen stand das Wasser fast bis zum Tresen. Die Treppe von oben führte direkt ins Wasser, wie die Stufen ins Nichtschwimmerbecken drüben im Westbad.

Robert Bley hat jetzt noch drei Sekunden Zeit. Aus dem Augenwinkel sieht er, wie sein Chef, der heute als zweiter Keeper eingesprungen ist, sein Geschirrtuch weglegt und mit finsterer Entschlossenheit zum Tresenausgang schreitet. Er kann beinahe sein tieffrequentes Schnaufen hören, obwohl im Hintergrund immer noch New Model Army läuft. Noch zwei Sekunden. Ein neuer Blutstropfen macht sich in Richtung Lebenslinie auf.

 Gerade noch hat Robert im Nebenraum ein paar Tische abgeräumt, als der schwitzende Thomas ihn darauf ansprach, dass Mona Ärger mit einem Gast habe. Robert hat sich umgehend in den Hauptraum begeben, da stand dann dieser ausgezehrte Mann mit einem abgebrochenen Flaschenhals vor Mona und hat sie satt und selbstgefällig angegrinst, während sie ihn anschrie. Irgendwas von lebenslangem Hausverbot und kleinem Schwanz. Classic Mona. Robert hat sich dazugestellt und so was gesagt wie: »Meister, du legst jetzt sofort die Flasche weg, sonst rufen wir die Bullen«, worauf ihn Mona mit dem linken Arm auf Abstand gehalten hat, so als wollte sie nicht, dass er sich einmische oder ihre Autorität untergrabe.

Dann ist ihm aufgefallen, dass es sich bei der zerbrochenen Flasche um ein Budweiser handelte, und er hat nicht anders gekonnt als zu denken, dass ihm damit eine Pfandflasche für die Metro am Montag fehlen würde.

»Einen Scheißdreck mach ich«, hat der Gast gesagt, jetzt nur noch ihm zugewandt. »Ich bleib da und trink in aller Ruhe mein Bier aus. Dazu habe ich als Gast ein Recht«, hat er gesagt. Robert hat sich den Hinweis gespart, dass da überhaupt kein Bier mehr sei, das der Gast hätte austrinken können, und er wollte auch nicht jemandem zum hundertsten Mal erklären, dass das Hausrecht beim Gastwirt liegt und jemand, der nicht gehen will, Hausfriedensbruch begeht. Also hat er an Mona vorbei nach dem Handgelenk des ausgezehrten Gastes gegriffen, der hat es zurückgezogen und eine Zacke der abgebrochenen Flasche hat Roberts Finger aufgeschlitzt.

Daraufhin ist Robert zurück hinter den Tresen getreten, hat abwechselnd seinen blutenden Finger und den Gast angeschaut und gewusst, dass er sich eine Eskalation wünschte, aber nicht unbeträchtliche Angst davor verspürte. Der Gast hat ein Gesicht, als wäre er in der Jugend an Akne gestorben. Ein Gesicht zum Hineinschlagen, denkt Robert. Gelbliche Zähne, die das eklige Lächeln orchestrieren. Haare dunkelblond, kurz und doch fettig, hinten einen Tick zu lang. Eine bis ins Farblose ausgewaschene Jeans, ein brauner Wollpullover, ein schwarzer, offener Mantel darüber, an dem zwei Knöpfe fehlen.

Die fünf Sekunden sind vorbei, jetzt beginnt es.

Mona rennt nach hinten zur Stereoanlage, wo auch das Telefon steht, und ruft die Polizei. Sein stämmiger Chef kommt hinter dem halbmondförmigen Tresen hervorgerumpelt. Robert tritt einen Schritt zurück, damit der Chef sein Ziel nicht verfehlt. Der Chef heißt mit Spitznamen Turkey – lange muss man nicht nach dem Ursprung des Spitznamens suchen, er trinkt am liebsten Wild Turkey auf Eis.

Der Chef rammt den Gast mit der rechten Schulter gegen einen der Tische vor der Bank, auf der die Stammgäste aufgereiht sind. Robert schickt einen Fuß hinterher, während der Gast sich krümmt, und tritt ihm damit den abgebrochenen Flaschenhals aus der Hand. Er und Turkey sind wie ein Tag Team im Wrestling, das einen kombinierten Angriff einstudiert hat.

Erledigt ist die Sache damit aber noch nicht. Der Gast erhebt sich und springt den Chef an, klammert sich an seinen Hals. Turkey taumelt und kippt mitsamt Gast auf die untersten Stufen der Wendeltreppe. Als Robert den Gast von seinem Chef herunterziehen will, haut ihm jemand auf den Hinterkopf, und die Punker lachen. Ein anderer Gast, der schon lange kurz vorm Hausverbot steht, hat sich offenbar spontan solidarisch erklärt und schlägt mittlerweile von hinten mit der Faust auf Roberts Nacken ein, wenn auch nicht fest.

Wo bin ich denn hier?, denkt Robert, während die Schläge in seinen Nacken regnen. Als ob er alle Zeit der Welt hätte. In diesem mittelguten Leben bist du immer noch, antwortet er sich selbst in diesen verlangsamten Sekunden. In diesem mittelguten Leben, das einfach nicht aufhört, nur mittelgut zu sein. Immerhin passiert was, denkt er dann und ist vorerst beruhigt. Immerhin schlägt jemand von hinten auf mich ein, und aus meinem Finger fließt ein bisschen Blut. Immerhin passiert was. Jetzt hat er Lust, etwas zu unternehmen, rechnet aber noch kurz im Kopf zusammen, dass er zehn dieser kleinen Underberg-Fläschchen, drei Gimlets und zwei Bier getrunken hat und natürlich den Wild Turkey auf Eis zum Schichtende. Er dürfte eigentlich gar nicht mehr stehen können, und trotzdem ist er jetzt hellwach.

Er dreht sich um und packt den anderen aufsässigen Gast, der bis eben auf ihn eingetrommelt hat, bei den Schultern, dreht ihn um und nimmt ihn von hinten in den Schwitzkasten. Es ist ein junger, freundlich aussehender Jordanier namens Renan, der mit einem anderen Jordanier befreundet ist, der Hausverbot hat, nicht weil er Jordanier ist, sondern weil er der Vorgängerbedienung von Mona einmal während der Schicht ein Messer unter seinem Pullover gezeigt hat mit dem Hinweis, er lasse sich nicht einfach so von der Belegschaft um drei Uhr rausschmeißen. Womit er durchaus recht behalten hat, denn die Polizei hat das letztlich übernommen. Robert hat keine Ahnung, warum ausgerechnet der freundliche Renan dem Gelbzähnigen beispringt, vermutlich sind sie befreundet. Diese Art von Loyalität weiß Robert zu schätzen, aber jetzt muss er Renan in Schach halten, damit die Situation nicht noch weiter außer Kontrolle gerät und sich noch mehr Gäste einmischen.

Der Schwitzkasten um Renan geht so lange gut, bis der junge Jordanier seinen Hinterkopf gegen Roberts Kinn hämmert, sodass der nach hinten auf den gelbzähnigen Gast und seinen Chef fällt.

Jetzt wird es unübersichtlich.

Ein menschlicher Knoten aus vier Kombattanten müht sich die Treppe hinauf. Der Impuls nach oben kommt natürlich von Robert und Turkey, schließlich ist oben der Ausgang, die schwere Stahltür, durch die keiner kommt, außer der schwitzende Thomas öffnet sie nach einem Blick durch sein Guckloch. Thomas ist übrigens durchaus so gebaut, dass er eingreifen könnte, aber er saß schon mehrmals für kurze Zeit im Gefängnis; er hat von Turkey die Erlaubnis, sich nicht in eine Prügelei einmischen zu müssen, außer es geht um Leben und Tod. Auch deshalb wünscht Robert sich schon lange einen neuen Türsteher, doch der Chef hält zum schwitzenden Thomas, der gerade an einem Methadon-Programm teilnimmt.

Jetzt gerät Robert selbst in einen Aufgabegriff. Irgendein Unterarm würgt ihn von hinten, sodass er kurz in Panik verfällt. Doch dann sieht er den Ehering seines Chefs an der geballten Faust vor seinem Brustkorb. Er ist ganz leicht an dem roten Stein zu erkennen. Indianischer Ehering, hat ihm Turkey, der große Amerika-Fan, mal erklärt.

»Turkey, lass los, ich bin’s«, keucht Robert mit ersterbender Stimme.

Augenblicklich lässt der Druck nach, und Robert hört ein »Scheiße, sorry«, bevor er sich umdreht und sieht, wie Turkey sich stattdessen den freundlichen Jordanier packt und sich ihn über die Schulter hängt.

Jemand beißt Robert in den Arm. Es tut eigentlich nicht besonders weh, aber natürlich muss er sofort an AIDS denken. »Hast du den Arsch offen?«, stößt er aus und schlägt dem beißenden Gast mit der flachen Hand ins Gesicht, worauf der Gelbzähnige seinen Kiefer wieder entspannt. Er hat noch nie jemanden unmittelbar ins Gesicht geschlagen, seit er kein Kind mehr ist. Es fühlt sich verboten, doch nicht schlecht an. Robert rappelt sich auf und nimmt den Gast noch auf der Treppe in einen doppelten Nelson, den er sich beim Ringen abgeschaut hat. Schiebt ihn im Doppelnelson nach oben, wo schon der Chef mit Renan wartet. Endlich hastet auch der schwitzende Thomas hinterher und macht oben die schwere Eisentür auf.

Robert entlässt den Gast aus dem Doppelnelson und schubst ihn zur Tür hinaus. Hinter ihm kommt Turkey mit Renan über der Schulter...

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