Fake und Fiktion - Über die Erfindung von Wahrheit

Fake und Fiktion - Über die Erfindung von Wahrheit

von: Thomas Strässle

Carl Hanser Verlag München, 2019

ISBN: 9783446262980

Sprache: Deutsch

96 Seiten, Download: 1711 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Fake und Fiktion - Über die Erfindung von Wahrheit



II

Dunkler Ursprung


Ach wie gut, dass niemand weiß …

Die Schwierigkeiten mit dem Fake beginnen damit, dass niemand weiß, wo das Wort genau herkommt. Die Etymologie kann keine gesicherte Erklärung geben, bietet aber eine interessante Auswahl an Erklärungsmöglichkeiten. Unzweideutig scheint, dass der oder das Fake ein Anglizismus ist, der es als solcher innert kürzester Zeit in den Duden geschafft hat.5 Im Deutschen wird das Wort seit Anfang der 1990er Jahre verwendet6 und ist inzwischen mehr als geläufig, auch wenn ihm seine fremdsprachige Herkunft sofort anzusehen und anzuhören ist.

›Fremd‹ und ›eigen‹ sind allerdings nicht so leicht unterscheidbar: Womöglich stammt der englische Begriff wiederum aus dem Deutschen. So behauptet es jedenfalls der Oxford English Dictionary. Auch er, selbst er, kann die Frage nach der Herkunft des Wortes nicht beantworten, wartet aber mit einer erstaunlichen Vermutung auf. Zum Verb fake, aus dem sich das gleichlautende Substantiv herleitet, schreibt er:

Of obscure origin. There appears to be some ground for regarding it as a variant of the older FEAK, FEAGUE, which are prob. ad. Ger. fegen (or the equivalent Du. or LG.) to furbish up, clean, sweep.7

[Dunklen Ursprungs. Es scheint einigen Grund dafür zu geben, es als eine Variante der älteren FEAK, FEAGUE zu betrachten, die vermutlich auf das deutsche fegen zurückgehen (oder das niederländische oder niederdeutsche Äquivalent), herrichten, reinigen, kehren.]

Faken kommt von fegen: Das ist, auch wenn sie nicht auf sicherem Grund steht, eine ebenso überraschende wie anregende etymologische Erläuterung, da sie viele Richtungen andeutet, in die der Fake gedacht werden kann. Das deutsche Verb fegen hat, sprachgeschichtlich gesehen, selbst einen Bedeutungshorizont, der uns nur noch teilweise gegenwärtig ist. Das Grimm’sche Wörterbuch schreibt dazu:

FEGEN, purgare, mundare, rein oder schön reiben, wie purgare zu purus, mundare zu mundus, scheuern = goth. skeirjan zu skeirs, gehörig zum goth. fagrs aptus, ahd. fagar pulcher, ags. fäger, engl. fair, und nah verwandt mit fügen, aptare, ahd. fuogan, mhd. vüegen […].8

Gegenstand des Fegens können zum Beispiel Waffen sein: Ein Schwert wird gefegt, damit es scharf sei, wenn es schlachten soll, und es wird gefegt, damit es blinke, wenn es Eindruck machen soll. Man kann aber auch Gold fegen, es also reinigen und läutern, Hirsche fegen ihr Geweih, indem sie es an Bäumen wetzen, wenn sie brünstig sind, mit einem Gläschen Rum kann man den Magen fegen, ihn durchputzen, oder man kann, das ist die heute gebräuchlichste Verwendung des Worts, den Staub oder Unrat fegen, ihn wegmachen, oder umgekehrt den Herd oder den Ofen, um sie von allem zu befreien, was ihre Sauberkeit stört. Ein anderes Wort für fegen in diesem Sinne wäre wischen — ein Wischen, das in seinem Bewegungsraum frei ist und nicht notwendigerweise nur zwei Richtungen kennt. Swipe or sweep, that’s the question.

Gemeinsam ist all diesen Verwendungen, dass die Tätigkeit des Fegens darauf abzielt, etwas zu schärfen oder zu reinigen, um es den eigenen Vorstellungen und Zielen gemäß zu machen. Was gefegt wird, soll danach im doppelten Wortsinn besser wirken, im Interesse dessen, der fegt. Im Hinblick auf die Absichten des Fegens ist besonders der Hinweis interessant, es sei »nah verwandt mit fügen, aptare«. Denn darin wird eine Absicht, die über fegen qua fügen auch in faken steckt, geradezu technisch ausbuchstabiert: Der Grimm umschreibt sie mit den Wendungen »passend verbinden, wolanschlieszend verbinden, wolanschlieszend fest machen, in verbindung bringen«, »genau und fest aufeinander- oder anpassen«, »passlich gestalten« oder »ordnend gestalten«.9 Die Absicht ist klar: Fügen heißt, etwas so zu bearbeiten, dass es passt — möglichst so wohlanschließend, dass man es nachher nicht mehr bemerkt.

Es gibt jedoch auch ganz anders lautende etymologische Herleitungen. In seinem Buch über den Fake in Mythos, Literatur und Wissenschaft zitiert Manfred Geier die folgende Variante:

FAKE, amerik. Slang: Täuschung, Schwindel; so tun, als ob. Abgeleitet aus »factitious« (unecht, künstlich), in dem »factual« (tatsächlich, wirklich) und »fictitious« (eingebildet, erfunden) verbunden sind. Von lat. »facere« (machen) bzw. »fingere« (erdichten); indogerm. »fakli«: was sich machen lässt.10

An dieser Worterklärung lässt sich im Grundzug die Dynamik studieren, die den Fake ausmacht. Sie speist sich aus zwei Quellen, wie sie im schwierigen Wort factitious zusammenfließen: aus dem factual und dem fictitious, dem Tatsächlichen und dem Erfundenen, die nicht mehr voneinander loskommen und um die Vorherrschaft streiten. Leitet man den Fake von factitious her, wird besonders seine Künstlichkeit betont, wobei künstlich keineswegs künstlerisch heißen muss, sondern eher in Richtung von »Machwerk« oder »Mache« geht. Der Oxford English Dictionary paraphrasiert factitious mit »made by or resulting from art; artificial« (wie im lateinischen facticius = gemacht, künstlich nachgemacht), »made up for a particular occasion or purpose«, »not natural or spontaneous«.11 Woran auch immer diese Künstlichkeit erkennbar wird: Die Fiktion (fictitious, fingere) hat maßgeblichen Anteil daran, mindestens so sehr wie der Fakt.

Am geläufigsten ist factitious im Englischen zur Beschreibung eines psychopathologischen Syndroms: der Factitious Disorder (Münchhausen-Syndrom). Damit ist eine artifizielle Störung gemeint, in der sich eine Person aus innerem Zwang verhält, als ob sie eine körperliche oder geistige Krankheit hätte. Sie tut dies durch absichtliches Erzeugen oder Vortäuschen von physischen oder psychischen Symptomen. Abzüglich seiner medizinischen Implikationen findet sich dieser Aspekt auch in der Definition von Fake, wenn er beschrieben wird mit »so tun, als ob«. Der Fake ist somit auch eine Form der Verstellungskunst, die nach antiker rhetorischer Lehre grundsätzlich zwei Spielarten kennt: die simulatio, also zum Beispiel die vorgebliche Übernahme einer anderen Position, oder die dissimulatio, also zum Beispiel das Verschleiern der eigenen Position. Man kann nicht nur so tun, als ob, man kann auch so tun, als ob nicht.

Es fallen in der etymologischen Erläuterung aber noch zwei weitere Wörter, und die sind schwerwiegend: Täuschung und Schwindel. Schwerwiegend einerseits, weil sie Fragen von Ethik und Moral aufwerfen, und andererseits, weil sich daran eine kulturelle Differenz zwischen englischem und deutschem Sprachgebrauch festmachen zu lassen scheint. Es liegen hier offenbar grundlegend verschiedene Vorstellungen vor, wie die einschlägigen Studien aus Kunst- und Kulturwissenschaft betonen. So schreibt Martin Doll in seiner Abhandlung über Fälschung und Fake:

Der englische Begriff fake wird etwa gleichbedeutend mit Fälschung (forgery/counterfeit) oder Hochstapelei (imposture) gebraucht, »a counterfeit person or thing«; »a person who appears or claims to be something that they are not«. Im Deutschen hingegen lässt sich das Fake als eine Verfahrensweise des Fälschens bestimmen, in der die Aufdeckung oder Enttäuschung nicht wie beim Letzteren als akzidentiell, sondern als konstitutiv einzustufen ist.12

So scholastisch diese Unterscheidung zwischen akzidentiell und konstitutiv auch anmutet: Hier wird eine handfeste moralische Differenz gezogen. Wenn der englische Fake eine Verfahrensweise des Fälschens ist, bei der die Aufdeckung nur ein »akzidentielles«, das heißt zufälliges Moment darstellt, so handelt es sich um eine Form der Täuschung, die ihre unlauteren Absichten möglichst bis zum Ende durchziehen will. Es gehört zu ihrem Programm, unentdeckt zu bleiben. Der deutsche Fake hingegen kennt keine solche Unlauterkeit, er rechnet von Anfang an mit seiner Ent-täuschung: Sie ist für ihn »konstitutiv«, wesentlich. Er...

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