Deutsch für alle - Das endgültige Lehrbuch

Deutsch für alle - Das endgültige Lehrbuch

von: Abbas Khider

Carl Hanser Verlag München, 2019

ISBN: 9783446263543

Sprache: Deutsch

128 Seiten, Download: 1224 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Deutsch für alle - Das endgültige Lehrbuch



 

 

Die Traumata der Nomina in der deutschen Deklinationsanstalt

 

 

Genus und Kasus


 

Zu Beginn meines Studiums gab es in Deutschland wunderschöne Studienabschlüsse: Magister und Diplom. Man studierte, genoss das Studentenleben ohne allzu viel Anwesenheitspflicht und sammelte Studienscheine. Man durfte so lange studieren, wie man wollte. Man konnte selbstverständlich in der Studienzeit auch politisch und kulturell aktiv werden. Auch hatte man genügend Zeit, nebenbei zu jobben. Meine Studienzeit gehört tatsächlich zu den schönsten Jahren meines Lebens. Sie dauerte aber nicht lange an. Ein paar Typen waren auf die Idee gekommen, das Studium in eine Bolognese-Soße zu verwandeln. Der Bologna-Prozess. Danach war es mit der Kultur und der Politik, dem Studentenleben und der schönen Zeit vorbei. Sie schafften den Magister ab und ersetzten ihn durch Bachelor und Master, und die Studienscheine heißen nun »Creditpoints«. Sogar im Duden wurde er eingeführt und als Maskulinum akzeptiert.

 

DER CREDITPOINT

 

Singular

Plural

Nominativ

der Creditpoint

die Creditpoints

Genitiv

des Creditpoints

der Creditpoints

Akkusativ

den Creditpoint

die Creditpoints

Dativ

dem Creditpoint

den Creditpoints

 

Der arme Sprachwissenschaftler, der dazu gezwungen wurde, dieses neue Maskulinum einzutragen! Sie verschulten die Universität und machten die Seminarräume mit den Anwesenheitslisten zu den langweiligsten Orten der Bundesrepublik. Studieren und nebenbei jobben oder politisch und kulturell aktiv werden ist seitdem viel schwieriger geworden. Normalerweise bekomme ich Gänsehaut, wenn ich Rechtsradikalen dabei zuhöre, wie sie von den »urdeutschen« Werten und Taten reden, aber im Bereich der Magister-Nostalgie, da bin ich selbst urdeutsch. Statt des Bachelor-Master-Systems fordere ich eine Rückkehr zu Diplom und Magister. Nur durch eine solche Rückkehr hätten die Studentinnen und Studenten genügend Zeit für eine intensive Beschäftigung mit Politik und Kultur und könnten dadurch herausfinden, wie man sie im Namen der Creditpoints oder falscher Werte verarscht.

Genauso sinnlos und bekloppt wie manche politische Entscheidung ist die unbegreifliche Entschlossenheit der deutschen Linguisten und Politiker, den Artikel und die Deklination in der deutschen Sprache für immer zu behalten.

Die deutsche Sprache hat wie fast alle Sprachen das Genus. Dies gibt an, ob etwas maskulin = männlich, feminin = weiblich oder neutral = sächlich ist. Es ist relativ normal, dass eine Sprache so etwas bietet. Es ermöglicht, die vielen Dinge dieser Welt zu unterscheiden. Schließlich ist jede Sprache ein Spiegelbild unseres Lebens. Aber im Deutschen sind diese Kategorien sehr kompliziert. An dem Nomen erkennen wir nicht, ob es männlich, weiblich oder sächlich ist. Einfach so, ohne Argument. Am besten ist es deshalb, die deutschen Nomen immer mit den Artikeln auswendig zu lernen.

 

Das heißt: Ein Lernender weiß nicht, ob ein Tisch oder ein Mädchen weiblich, sächlich oder männlich sind, er kann es sich nicht logisch aus seinem eigenen Leben erschließen, sondern nur aus Regeln: zum Beispiel aus der Regel, dass alle Substantive Neutren sind, die mit einer speziellen Endung wie -chen, -lein, -tum oder -um auftauchen.

 

Das Mädchen und das Fräulein sind das Eigentum des Neutrums.

 

All die Genus-Bestimmungen kann man in vielen Lehrwerken nachlesen. Aber Vorsicht: Hier gibt es natürlich auch wieder jede Menge Ausnahmen. IRRtum und REICHtum sind zum Beispiel Maskulina, obwohl sie mit -tum enden. Wenn Sie sich trotzdem weiter damit beschäftigen wollen, besorgen Sie sich bitte eine Packung Aspirin oder Paracetamol.

 

Als Anfänger versucht man aber natürlich, erst einmal logisch an die Dinge heranzugehen: Ein Mädchen ist weiblich: die Mädchen. Oder ein Tisch: Es ist kein Mensch und kein Tier. Etwas Sächliches vielleicht: das Tisch. Das wäre logisch, überlegt sich der Lernende. Aber der deutsche Artikel hat seine eigene spezielle Logik.

Ein Deutscher weiß ganz genau, dass Frauen wie Anna Seghers, Marilyn Monroe oder Simone de Beauvoir zwar feminin sind, grammatikalisch aber etwas Sächliches werden können, wenn man sie nicht als »Frau«, sondern als »Weib«, »Fräulein« oder »Mädchen« ansieht und anspricht. Der Rest der Menschheit muss diese erleuchtende Erkenntnis aber mühsam begreifen lernen und damit zurechtkommen, dass Marilyn Monroe grammatikalisch gesehen nicht feminin sein könnte. Das sächliche Marilyn Monroe. Eine enorme Belastung für alle Gehirnzellen. Es ist sagenhaft und skurril zugleich, wie das Deutsche funktioniert. Mädchen sind darin sächliche Gestalten, aber eine Mannschaft wiederum ist zu hundert Prozent weiblich. Die Mannschaft. Wenn man das nicht begreift und den richtigen Artikel nicht kennt, bildet man fehlerhafte Hauptsätze und automatisch auch einen falschen, unverständlichen Relativ- oder Nebensatz.

Ein Nomen ist zunächst ein Fremder, und erst wenn man dessen Artikel kennt, wird es zu einem Freund. Das ist die einzige Regel. Aber wie viele Wörter gibt es in dieser Sprache? Hunderttausende. Und wer will mit unzähligen Nomina befreundet sein? Warum sollte man überhaupt alle als Freunde gewinnen wollen? Das Leben besteht aus mehr als nur daraus, Nomen mit ihren Artikeln auswendig zu lernen.

Man sollte dringend etwas gegen die Autorität des Artikels unternehmen. Wenn man daran festhalten will, dass die Zeit der autoritären Regime seit dem Mauerfall vorbei ist, dann sollte auch in der deutschen Sprache die Zeit reif dafür sein, diesen grammatikalisch-diktatorischen Albtraum, der zwischen dem Rest der Menschheit und den Deutschen steht, zu beseitigen. Dafür braucht es auch keinen Dritten Weltkrieg, keine russische oder amerikanische Hilfe.

Aber wie? Ich habe einen einfachen und praktischen Vorschlag: Man führt einen Universal-Artikel für die ganze Sprache ein. Die Lernenden müssen dann den Artikel nicht mehr auswendig lernen. Man macht sich dadurch alles leichter. Also – für männlich, weiblich und sächlich wird es nur einen bestimmten Artikel und einen unbestimmten Artikel geben.

 

Bestimmter Artikel: DE

Unbestimmter Artikel: E

Plural: DIE

 

Wenn die Ausländer in Deutschland von meinem Vorschlag erfahren, vermute ich, werden alle auf die Straßen gehen, tagelang tanzen, feiern und jubeln. Bestimmt lassen einige ihrem Hass auf die Artikel freien Lauf und brüllen: »Wir sind de Volk!« Ich stelle es mir ebenfalls sehr lustig vor, die verblüfften Gesichter der Urbewohner anzuschauen, wie sie diese jubelnden Menschen betrachten, den Kopf schütteln und glauben, alle Ausländer und Migranten seien verrückt geworden.

DE und E. Sind sie nicht wunderschön?

Beide können als Orientierung für Lehrende und Lernende im Akkusativ durch einen Apostroph gekennzeichnet werden: DE’ und E’. (Wie zur Veranschaulichung in den hier folgenden Tabellen und Beispielen dieses Kapitels.) Mündlich kann man im Akkusativ einfach den letzten Buchstaben stark betonen und in einem dominierenden höheren Ton in die Länge ziehen, wie die Araber es tun, wenn sie etwas Wichtiges hervorheben wollen: Männer.rrr. Im Nominativ soll die letzte Silbe jedoch sanft im Flüsterton ausgesprochen werden, wie die Franzosen es machen, wenn sie mit jemandem liebäugeln: die Frau.en. Die Einführung des französischen Nominativs und des arabischen Akkusativs kann in der gesprochenen Sprache sehr hilfreich sein.

 

De Frau.en rufen de’ Männer.rrr.

De Männ.er rufen de’ Frauen.nnn.

 

Bezüglich Dativ und Genitiv hingegen soll überhaupt gar nichts mehr unternommen werden, sonst funktioniert es mit dem neuen Artikel nicht. Dativ und Genitiv sollen in ihrer jetzigen Form einfach abgeschafft und neu strukturiert werden. Den Dativ nenne ich in diesem NEUEN Deutsch »Akkusativ II«, er wird genauso behandelt wie der Akkusativ, aber ohne Apostroph, dadurch kann man ihn sofort vom »Akkusativ I« unterscheiden. Es wird niemals zu Schwierigkeiten kommen, das versichere ich Ihnen. Der Genitiv ist der reinste Schwachsinn. Es ist vorteilhaft, ihn aufzugeben, wie die Bayern es bereits tun. Auch wenn die Gehirnzellen mancher bayerischen Politiker noch aus dem Mittelalter zu stammen scheinen, sind die Bayern im Bereich des Genitivs erstaunlicherweise sehr fortschrittlich. Genitiv ist für sie nur die Verknüpfung der Präposition VON mit einem Nomen:

 

des Buach von dem Mo

 

Das finde ich gut. Man erkennt die Wendung auch im Neudeutschen also daran, dass vor dem Artikel immer die Präposition VON...

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