Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück - Roman

Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück - Roman

von: Tomer Gardi

Droschl, M, 2019

ISBN: 9783990590317

Sprache: Deutsch

160 Seiten, Download: 1177 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück - Roman



Die Geschichte beginnt so.

Ein arbeitsloser Mann geht zum Amt. Stempeln. Er durchläuft alle Kreise des Sicherheitschecks, der Kontrolle, der Überwachung, Piepsen, Gürtel abnehmen, Taschen leeren, alle Sachen hier hinein, jetzt durchgehn, Gürtel anziehn, alle Sachen wieder zurück, danke. Er geht zum Aufzug, fährt rauf zum Amt, zweiter Stock. Kriegt einen Zettel mit der Nummer des Schalters, wartet bis er drankommt, wartet bis er drankommt, wartet bis er drankommt, er ist dran.

Er ist dran, setzt sich, dem Beamten gegenüber. Der Beamte schaut ihn nicht an. Die Augen des Beamten ruhen konzentriert auf dem Bildschirm. Der Beamte fragt den Mann ihm gegenüber nach seinem Beruf. Der Mann ihm gegenüber sagt, ich bin Schriftsteller.

Der Beamte hält inne, spielt nicht mehr mit der Maus. Schaut nicht mehr auf den Bildschirm. Der Beamte wendet den Blick vom Bildschirm. Er schaut den Menschen gegenüber an. Er sagt, so einen Beruf gibt es nicht, Schriftsteller. Der Arbeitslose schaut ihm in die Augen, Auge in Auge schaut er ihn an, erwidert seinen Blick, sagt: Und ob es den gibt. Das ist mein Beruf, sagt er. Der Arbeitslose. Schriftsteller, sagt er. Der Beamte holt tief Luft, stößt sie ungeduldig aus der Nase. Ich sagte bereits, sagt er, das ist kein Beruf, Schriftsteller. Schriftsteller ist wohl ein Beruf, sagt der Arbeitslose, mein Beruf nämlich, beharrt er. Der Beamte streitet ab, der Arbeitslose beharrt und so weiter.

Und so fort, her und hin und hin und her, es hätte endlos weitergehen können, ziemlich festgefahrne Situation, doch dann schlägt der arbeitslose Mann dem Beamten eine Art Geschäft vor. Einen Deal. Ein Angebot. Ich, sagt er zu dem verblüfften, dem überraschten Beamten, ich, sagt er dem Beamten, erzähl Ihnen eine Geschichte. Und wenn Sie die gut finden, sagt er dem Beamten, und schön, und wenn Sie die mögen, dann stempeln Sie meine Karte. Arbeitslosengeld. Eine Art Bezahlung, sagt er. Ist ja Arbeit. Und wenn nicht, dann stempeln Sie eben nicht, sagt er, der arbeitslose Mann, wartet die Antwort nicht ab, fängt einfach an zu erzählen, füllt die Leere zwischen ihnen, zwischen sich und dem Beamten, mit Wörtern, noch bevor der Beamte vom Amt ihn stoppen kann, bevor er zuknallen, zuklappen kann. Dieser Morgen hatte überhaupt schon am Abend zuvor begonnen. Ich war von einem weiteren Tag auf der Straße nach Hause gekommen, einem weiteren Tag arbeitslos. Ohne Arbeit. Müd vom Müßiggang. Wollte endlich schlafen, abschließen mit diesem Tag, seinen letzten Stummel ausdrücken. Vom Tor führt zu dem Block, in dem ich wohne, ein Weg, erst am Haus lang und dann ins Treppenhaus. Entlang diesem Weg steht eine angepflanzte Reihe Büsche. Schön sind sie, die Büsche. Angenehm und schön anzusehn, sie bescheren den Augen einen Moment grüner Erholung, obschon sie auch Nachteile haben, ihre Wurzeln drücken die ohnehin überlasteten und vergammelnden Abwasserrohre nach oben, sodass sie bersten, und die Zweige der Büsche laden gradezu dazu ein, allerlei Gebrauchtes dort hinzuwerfen, Binden, Klopapier, Nadeln, Kondome.

Entlang dieser dubiosen, kurzen Allee, auf den schmalen Streifen Erde, dem entlang die Büsche gepflanzt sind, stellen die Bewohner des Blocks ihre Gasballons hin. Gelbe Leitungen führen über die Köpfe der Ein- und Ausgehenden von den Gasballons hinauf in die Wohnungen, wie ein riesiges Beatmungsgerät an einem siechen Haus. Als sei jede Wohnung ein Nasenloch, und der greise Sterbliche, das Gebäude, weilt, müde von all dem, noch immer hienieden, ein nur noch künstliches, erschöpftes Verweilen, das sich längst überholt hat. Ist vielleicht ein überflüssiges Bild, dieses Beatmungsgerät, aber so wirken diese Ballons mit ihren dünnen Leitungen auf mich. Entlang dem Weg, also zwischen dem Weg, der zum Treppenhaus führt und den angepflanzten Büschen, gibt es so eine horizontale rostige Stange, zugegeben, es ist lächerlich, in diesen aussichtslosen, rostig-muffigen Kontext einen Horizont reinzubringen. Hier ein Horizont?! Eine rostige Eisenstange jedenfalls, an welche die Hausbewohner mit Ketten und Schlössern ihre Gasballons anketten, kost ja ’ne Menge Geld so’n Gasballon, jeder Ballon hier, und steht ganz schutzlos da draußen und säuselt dem Dieb sein feines Säuseln zu, ein leises Wispern von Butan, na komm schon, Dieb, psss psssssssss.

Ich war durchs Tor gegangen, und auf dem Weg, schon dicht beim Eingang, blieb ich stehn, den Nachbarn Hallo sagen. Eine Frau mit schlafendem Kind im Tragetuch auf dem Rücken, neben ihr ein viel zu müder Mann. Gleichsam not in tune, nicht geeicht, nicht richtig gestimmt, orchestriert wie ein Chor, auf Hebräisch-Arabisch-Englisch, Zubin Mehta dirigiert mit Körperbewegungen und Gebärden, alle drei sind Flüchtlinge aus Eritrea, sie zeigten mir etwas, was ich, nachdem die Augen sich dran gewöhnt hatten, irgendwann im Dunkel auch sah: Man hatte ihren Gasballon geklaut. Das Schloss, das den Ballon mit einer Kette an der Stange befestigt hatte, aufgebrochen, die gelbe Leitung durchtrennt.

Der Weg war feucht vom Regen, wir redeten im Dunkel ein paar Minuten. Über die Diebe und wie schwer und ungerecht das Leben war, begleitet von kapitulierendem Schulterzucken, Gesten der Resignation, liegt doch alles in der Hand des Himmels und so weiter. Wir waren dermaßen damit beschäftigt, uns dem Urteil zu beugen, vielleicht nicht beschäftigt, das Wort ist zu geschäftig dafür, wir waren einfach so sehr dabei, uns zu fügen, dass ich sie noch nicht einmal gefragt habe, das kam mir erst später, als es natürlich zu spät war, ob sie ihr Essen vielleicht bei mir warmmachen wollen, auf dem Gas. Das war um neun Uhr abends gewesen. Dieser Gedanke keimte oder schlüpfte in meinem schläfrigen Hirn irgendwann später gegen zwei Uhr nachts. Lächerliche Zeit für einen großzügigen Vorschlag. Auch ich bin nicht richtig in tune, nicht geeicht, nicht richtig gestimmt. Immer entweder zu schlaff oder zu gespannt. Eine Stunde später fiel mir ein, dass auch dieser nachträgliche hypothetische Gedanke nichts geändert hätte, mein Ballon war überhaupt leer, ich musste einen neuen bestellen, ich schlief ein. Knackte weg. Beendete diesen Tag. Genug.

Am Morgen, der wie gesagt bereits am Abend zuvor begonnen hatte, rief ich unseren Piraten-Gaslieferant an, dass er meinen Ballon austauscht. Ein Palästinenser aus Hebron, der hier im Viertel wohnt, wenn er gefragt wird, erzählt er meistens, er sei aus Akko, vielleicht, damit er keine Schwierigkeiten kriegt, und vielleicht ist er auch wirklich von dort, er, seine Eltern, seine Großeltern. Binnen zwanzig Minuten war er da, den schweren Ballon in einer grünen Plastikkiste auf dem Gepäckträger seines Fahrrads. Wir schüttelten Hände, Hallo, verloren ein paar Worte übers Wetter, verfluchten den Ministerpräsidenten, einen Anlass gibt es immer, und dann öffnete ich das Schloss, das meinen Gasballon an die rostige Stange kettet, die den Weg entlang führt. Er hievte den vollen Ballon aus der grünen Kiste auf dem Gepäckträger seines Fahrrads und rollte ihn, ein schweres Fass voll Gas, bis dahin, wo mein Gasanschluss war. Er bückte sich, um den neuen Gasballon an die gelbe Leitung anzuschrauben, und dann hob er von der Erde unter einem der Büsche ein großes Messer auf.

Wir schauten einander an. Die gelbe Gasleitung der Nachbarn hing noch da, gekappt, tastete im Nichts wie der verwaiste Mund eines ausgesetzten Babys. Das weggeworfne billige Fahrradschloss lag auch noch da, aufgebrochen. Wir lächelten, beide. Klar, wozu man das Messer gebraucht hatte. Ein gutes Messer, sagte er zu mir. Siehst du, was für ein gutes Messer das ist. Er hat es liegen lassen, der, der das hier gemacht hat, sagte er. Ich trat näher heran, er trat näher heran. Er zeigte mir die Klinge. Siehst du die Schichten, sagte er. Die Stahlschichten? Ich sah sie, wie Baumringe, Spuren vom Schleifen. Ein gutes Messer, sagte er. Ich sagte zu ihm, nimm’s mit, es gehört dir, sagte ich ihm. Nimm’s mit, sagte ich ihm mit einer Großzügigkeit, obwohl es mir gar nicht gehörte. Er hatte es gefunden, nicht ich. Es war nicht an mir, es ihm zu überlassen. Trotzdem hab ich es so gesagt. Weiß nicht warum. Er lächelte. Als verstehe er etwas Verborgenes. Er schloss meinen Gasballon an die gelbe Leitung, und ich bezahlte ihn. Er nahm das Messer und ging.

Ich bückte mich, um meinen neuen, vollen Ballon an die Kette zu legen, an die Stange zu ketten, anzustangen. Ich war mit der rostigen Kette, dem Schloss, dem Schlüssel und der rostigen Stange beschäftigt, sie war das einzig Horizontale hier im Viertel, und ich klapperte so vor mich hin, kurz, als ich ihn hörte, genauer gesagt, als ich jemanden hinter mir hörte, wusste ich nicht, wer da kam. Ich drehte den Kopf, und es war Abu Amran, er kam zurück, das Messer in der Hand. Ich schaute ihn an, mit einem Blick wie: Was ist jetzt passiert? Vergiss es, sagte er zu mir, zu viel Polizei unterwegs. Mit so einem Messer in der Tasche bist du lieber kein Araber auf der Straße, sagte er. Besser, wenn mich niemand mit dem Messer erwischt. Ich lächelte. Bitter. Das war doch lachhaft. Abu Amran, den kenn ich schon seit Jahren. Er radelt im ganzen Süden der Stadt herum, mit seinen Gasballons auf dem Rad, und liefert sie aus. Ein Messer? Lächerlich. Die ganze Stadt könnt er hochjagen, wenn er nur wollte. Er beugte sich zu mir herunter, legte das Messer auf den Weg, nimm du es, sagte er zu mir, ist ein gutes Messer, sagte er, nimm du’s, und ging.

Ich schloss den Ballon ab und ging hoch in die Wohnung. Legte das Messer auf den Küchentisch, wusch mir den Rost von den Händen und ging, zum Amt.

Am Eingang zum Arbeitsamt haben sie ein Aquarium mit einem Fisch aufgestellt. Ein seltsamer rosa...

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