Hat die überhaupt ne Erlaubnis, sich außerhalb der Küche aufzuhalten?

Hat die überhaupt ne Erlaubnis, sich außerhalb der Küche aufzuhalten?

von: Claudia Neumann

HarperCollins, 2020

ISBN: 9783959679107

Sprache: Deutsch

272 Seiten, Download: 1451 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Hat die überhaupt ne Erlaubnis, sich außerhalb der Küche aufzuhalten?



2:0

Traumberuf »Rasende Reporterin« oder wie alles begann

Auf dem Bolzplatz

Klick-Klack, Klick-Klack. Alu-Stollen auf Asphalt. Ein elektrisierendes, unverwechselbares Geräusch. Man geht mit der Zeit, buchstäblich.

Es ist vierzehn Uhr dreißig am frühen Nachmittag, jeder Tag ist auf diesen Zeitpunkt ausgerichtet. Kinder, mal vier, mal sechs, mal acht, marschieren die knapp hundert Meter rauf zum Bolzplatz. Alle haben diese modernen Schraubstollen unter den Füßen, nur ich nicht. Meine Eltern mögen es nicht, wenn ich Fußball spiele mit den Jungs. Ganz verhindern können sie es aber nicht. Der Preis, den ich als einziges Mädchen weit und breit zahle, ist, dass ich in Turnschuhen laufe oder in den ausgelatschten Nockenschuhen meines Bruders. Auf diese coole Melodie der Schraubstollen-Schuhe muss ich verzichten, bis mein älterer Bruder Frank rausgewachsen ist aus seinen brandneuen Tretern.

Grundsätzlich bewege ich mich in einer komfortablen, heilen Kinderwelt, aber ich registriere schon früh dieses Gefühl innerer Reibung. »Das macht man nicht, das tut man nicht«, konservative Übernahme gängiger Umgangsformen. Mädchen spielen kein Fußball, Ausnahmen bestätigen die Regel. Aber latent fühle ich schon so einen permanenten Rechtfertigungsdruck.

Sozialisiert auf dem Bolzplatz, gleich um die Ecke. Neunkirchen-Seelscheid in den 1970ern, zwei Orte, eine Gemeinde. Ziemlich verschlafen, jenseits der Metropolen im Rheinland, dreißig Kilometer südöstlich von Köln auf der »schäl Sick«, der sogenannten falschen Seite des Rheins. Hier gibt’s noch jede Menge Landwirtschaft, Bauern, Kühe, Wald, Felder und eben Fußballplätze. Nicht gerade die ganz große Reizüberflutung für Kinder und Jugendliche der heutigen Generation.

Eine lange, große Wiese, eingeteilt in drei Fußballfelder unmittelbar vor unserem Haus, wird zur Heimat aller Jungs in der Umgebung. Aller Jungs und eines Mädchens. Es ist die unbeschwerte Kindheit eines vom Fußballspiel geprägten Tagesablaufs: Schule, Mittagessen, Hausaufgaben so schnell wie möglich, und dann liegt die Wahrheit auf dem Platz. Der ältere Bruder ist der Boss, die kleine Schwester nur anfangs eine Exotin.

Geboren in Düren, in der Vor-Eifel, dann drei Jahre Lissabon, ein paar Monate Köln, ein halbes Jahr Dänemark, und nun also Neunkirchen. Wir Kids sind gut rumgekommen in jungen Jahren. Mein Vater ist in jener Zeit als Starfighter-Pilot bei der Bundeswehr besonders temporeich unterwegs. Zuständig für die Entwicklung und Erprobung moderner Kampfflugzeuge. An die Zeit in Portugal, im Alter zwischen drei und fünf, habe ich nur blasse Erinnerungen. Ein hübsches Haus mit großem Garten, den Strand fast vor der Haustür, viele Kinder aus aller Herren Länder um uns herum. Mein zwei Jahre älterer Bruder Frank und ich lernen spielend leicht die portugiesische Sprache. Kinder haben ein ausgezeichnetes Gedächtnis und überhaupt keine Hemmungen, das Gehörte einfach nachzubrabbeln. Beim Ballspielen versteht man sich ohnehin, mit und ohne Worte. Sprachlich bleibt leider nichts hängen, das ärgert mich Jahrzehnte später schon gewaltig.

Nach Ablauf der Stationierung meines Vaters in Portugal beschließen meine Eltern einen Eigenheimbau in Neunkirchen, weil seine neue Start- und Landebahn auf dem Luftwaffenstützpunkt Nörvenich beheimatet ist. Viele Bundeswehrangehörige sind in diese Gegend gezogen. Man könnte fast vom Bauboom sprechen, der Neunkirchen-Seelscheid in den 1970er-Jahren erfasst hat. Weil sich die Fertigstellung unseres neuen Heims verzögert, bleibt erst mal nur die Auftragslage des ortansässigen Bauunternehmers rosig. Unsere als Kurzaufenthalt in Köln geplante Übergangszeit reicht nicht aus. Zudem sind wir mittlerweile zu fünft, Baby Oliver ist 1968 in Lissabon geboren.

Der Junge ist übrigens ein bisschen aus der Art gefallen. Mit Fußbällen kann er nichts anfangen. Autos faszinieren ihn umso mehr. Mit zwölf rangiert er das Wohnwagengespann so traumwandlerisch sicher auf engstem Raum, dass mein Vater vor Neid erblasst. Heute komme ich mit jedem Blech-Pups bei ihm vorbei, das spart ein paar Euro beim überteuerten Autohändler.

Meine Eltern ziehen samt Baby vorübergehend ins einzige Hotel nach Neunkirchen. Frank und ich leben derweil ein paar Monate in Viborg, in Dänemark, bei unseren Großeltern.

Was ich mitnehme aus dieser Zeit, ist eine fette Narbe an der Nase. Ein spektakulärer Fahrradsturz hat mein Gesicht ziemlich in Mitleidenschaft genommen, viele offene Wunden, nicht alle verheilen perfekt. Erstes Zeugnis einer wilden Kindheit.

Eine Moderatorenkarriere kann ich mir schon früh abschminken.

Frühe Kicks

Einschulung 1970 in Neunkirchen. Fußball ist zu jener Zeit in Deutschland längst Volkssport Nummer eins. Fast alle Jungs spielen Fußball, auch ich bin fasziniert von diesem Spiel. Immer in Bewegung, der Umgang mit dem Ball fällt mir leicht. Es ergibt sich einfach so. Ist ja keine bewusste, sorgfältig abgewogene Entscheidung eines kleinen, gerade eingeschulten Mädchens, gegen den Strom zu schwimmen.

Frank ist eingefleischter Bayern-Fan, ich entwickle eine große Sympathie für den 1. FC Köln. Beide Klubs, das ist speziell für den jungen Leser durchaus erwähnenswert, sind seinerzeit sehr erfolgreich, direkte Konkurrenten. Heute kaum mehr vorstellbar, so weit haben sich diese Vereine auseinanderentwickelt.

Maier, Beckenbauer, Müller gegen Schäfer, Overath, später Schumacher, Flohe und Dieter Müller. Jeder hat seine Lieblinge. Vom Taschengeld kaufen wir uns die Panini-Heftchen, sammeln die Bilder der Fußballstars, tauschen mit den Freunden, bis die Sammlung komplett ist.

Auf dem Platz ist Frank einer der älteren, einer der besten Fußballer. Ich bin von Anfang an akzeptiert, weil ich den Ball auch ganz gut behandle und weiß, wo das Tor steht. Wenn die Mannschaften gewählt werden, komme ich immer so an dritter oder vierter Stelle dran. Untrügliches Indiz für gewisse Spielstärke, der Letzte hingegen muss ins Tor. Francis, ein leicht fülliger Nachbarsjunge, hat sich mit seiner Rolle abgefunden, aber er ist dabei, gehört dazu. Kinder entwickeln eine eigene, natürliche, zuweilen raue soziale Kompetenz. Meine Position ist ganz vorne, Mittelstürmer. Ich schieße Tore am Fließband, oft mit rechts, seltener mit links, häufig genug mit dem Kopf. Klassischer Torjägerinstinkt.

Allerdings schleicht sich bei mir schon früh eine Eigenschaft ein, die die anderen, allen voran mein Bruder, nicht so lustig finden. Gewinnen ist nicht meine Priorität. Stattdessen versuche ich ,das Spiel schön aussehen zu lassen, den Ball laufen zu lassen.

Ich bilde mir ein, ein Gespür für Lauf- und Passwege zu entwickeln, die Statik eines Spiels zu erkennen. Immer wieder rufe ich meinen Mitspielern zu, wohin sie sich bewegen sollen, wohin der Pass gespielt werden soll. Wenn ich dann aber den Ball oder einen Zweikampf verliere, ist das Theater groß. Als Schönspielerin beschimpft, gibt’s die ganze Palette des Unmuts. Frank kennt kein Pardon, seine kleine Schwester hat keinen Mädchen-Bonus, wird keinesfalls in Watte gepackt. Erwartet sie auch nicht.

Wir kicken stundenlang. Irgendwann können wir den Ball fast nicht mehr erkennen, so dunkel ist es bereits geworden. Aber niemand mag aufhören, bis der Ruf meiner Mutter durch die Dämmerung hallt. Sie steht vor der Haustür und ruft, so laut sie kann: »Fraaaaaank, Claudiiii, Abendbrot!«

Nächstes Tor entscheidet. Dann trotten wir müde, aber glücklich nach Hause. So geht das fast jeden Tag.

Oben auf dem Dachboden hat mein Vater einen Spielraum für uns eingerichtet. Alles ausgebaut, mit Holz verkleidet. Eine Carrerabahn, ein alter Schwarz-Weiß-Fernseher, diverse Spiele, und natürlich Bälle in allen Größen. Hier darf alles rumliegen. Nichts muss abends aufgeräumt werden.

Gelegentlich erfreuen wir uns an Abendeinladungen für die Eltern, die selbstverständlich nicht ungenutzt bleiben. Sofort rufen wir Ralf an, Franks bester Freund wohnt gleich nebenan. »Komm rüber, wir spielen«, bittet er ihn am Telefon.

Jetzt wird’s laut. Oliver ist schon im Bett, er ist schließlich erst zwei oder drei, aber er hört nichts, da sein Zimmer zwei Etagen tiefer liegt. Bilden wir uns wenigstens ein. Frank, Ralf und ich basteln ein Dreierfeld, heißt, jeder hat ein Tor zu verteidigen, zwei zur Auswahl, um Treffer zu erzielen. Derjenige, der zuerst zehn kassiert hat, ist der Verlierer. Weil der Dachboden selbst für Kinder nicht an allen Stellen begehbar ist, findet die Bewegung auf den Knien statt, geschützt von klassischen Torhüter-Knieschonern. So was Antiquiertes gibt’s heute gar nicht mehr. Gedribbelt und geschossen wird mit der flachen Hand, der Ball ist aus Plastik, etwa so groß wie ein Tennisball. Es kracht ganz schön, denn jeder Holztreffer verursacht ein heftiges Plärren. Dieses Spiel funktioniert also nur in Abwesenheit der Eltern.

Manchmal kicken wir auch im Garten oder mit dem Tennisball auf dem Parkplatz vorm Haus und natürlich immer wieder auf dem Schulhof. Alles dreht sich um den Ball. Wenn es schlecht für mich läuft, wenn wir uns streiten, muss ich sehen, dass ich Land gewinne. Streit unter Geschwistern endet auch mal mit ’ner Ohrfeige oder einem Tritt in den Hintern. Zimperlichkeiten machen wenig Sinn. Wer mitmacht, muss auch einstecken, es herrscht das Gesetz des Stärkeren. Welpenschutz für Mädchen existiert nicht mal im Ansatz.

Provinzmief

Die Haare sind lang in den 1970ern, auch bei den Jungs. Auf den ersten Blick das einzige Zugeständnis an die 1968er-Bewegung und die Selbstverwirklichungsgeneration der Hippies. Das Dorfleben aber ist...

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