Der Mann, der den perfekten Roman schrieb - 'Stoner' und das Leben des John Williams Biographie

Der Mann, der den perfekten Roman schrieb - 'Stoner' und das Leben des John Williams Biographie

von: Charles J. Shields

dtv, 2019

ISBN: 9783423436267

Sprache: Deutsch

384 Seiten, Download: 2710 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Der Mann, der den perfekten Roman schrieb - 'Stoner' und das Leben des John Williams Biographie



Kapitel 1


Er kommt aus Texas

Lies nicht so viel, sonst wird dein Gehirn müde.

John Williams’ Großvater, 1930er-Jahre

 

Die Arbeitslosen, die 1939 in Wichita Falls die Zeit totschlugen, schauten zweimal hin, wenn John Ed Williams – der Sohn des Hausmeisters im Postamt – auf dem Weg zu seinem Job im Lovelace Bookstore nach dem College an ihnen vorbeiging.

Seit der Eröffnung des Hardin Junior College vor ein paar Jahren bekam man Studenten wie den Williams-Jungen ziemlich häufig zu Gesicht. Anfang der 1920er-Jahre hatten sich College-Klassen von rund fünfundsiebzig Studenten im zweiten Stock der High School Ecke Avenue H und Coyote Boulevard versammelt. Aber nachdem der Erdöl-Magnat John G. Hardin fast eine Million Dollar in ein völlig neues Hochschulgelände von sechzehn Hektar ehemaligen Weidelands am Südrand der Stadt investiert hatte, war fast zweitausend High-School-Absolventen ein Studienplatz vor Ort ermöglicht worden. Wichita Falls, das bisher nur ein Endbahnhof im nördlichen Texas für den Viehtrieb gewesen war, hatte jetzt ein Zwei-Jahres-College für die Enkel von Pionieren – für die Bürger der Stadt ein Grund, stolz zu sein –, das dazu noch mitten in der schlimmsten wirtschaftlichen Depression gebaut worden war, die das Land erlebt hatte. Die Banken hatten Pleite gemacht, die Großen Ebenen waren aufgerissen und ausgelaugt durch übermäßige landwirtschaftliche Nutzung, und die berghohen Staubstürme, die durch Nordtexas fegten, hatten die Farbe von schmutzigem Rotz.

Aber hier kam ein extravagant gekleideter junger Mann, an dem so gut wie gar nichts nach Texas aussah. Anders als die meisten seiner Altersgenossen, die in der Innenstadt arbeiteten, trug John Ed anstelle eines Straßenanzugs einen Blazer und eine Bundfaltenhose. Statt einer Krawatte hatte er einen Seidenschal um den Hals geschlungen, als wollte er eine Art englischen Landjunker oder Dichter nachahmen. Er benahm sich so, als käme er von einem anderen Stern. Und in seiner Vorstellung zumindest kam er tatsächlich von einem andern Stern.

 

Die Großeltern mütterlicherseits von John Edward Williams, Elbert und Laura Lee Walker, kamen aus den Südstaaten Virginia und Tennessee. Elbert G. Walker war fünfundzwanzig und Laura Belle Lee erst sechzehn, als sie 1886 heirateten. Innerhalb weniger Jahre brachen sie westwärts auf, angezogen vom Oklahoma Land Run 1889, der rund achttausend Quadratkilometer des besten freien öffentlichen Landes in den Vereinigten Staaten zur Besiedelung freigab. Die beiden Töchter der Walkers, Emma und ihre jüngere Schwester Amelia – John Eds Mutter – kamen 1896 und 1898 im Indianer-Territorium Oklahomas zur Welt, wo manche Weiße und viele Indianer immer noch in Hütten lebten.

Elbert Walkers Metier war der Gartenbau – er baute Gemüse an, um es in der näheren Umgebung zu verkaufen. Aber er schien überzeugt zu sein, dass er woanders immer noch bessere Umstände vorfinden würde. Im Lauf der nächsten zwanzig Jahre zogen die Walkers durch die südlichen Großen Ebenen, packten zusammen und fingen jedes Mal wieder von vorn an. 1910 hatten sie Oklahoma den Rücken gekehrt und sich auf einer Farm in Texas außerhalb von Young niedergelassen, ein wohlhabendes Nest von Baumwollfarmern und Viehzüchtern. Zehn Jahre später wiederum konnte man sie als Kleinbauern in Logan im Tal des Arkansas River finden, wo viele ihrer Nachbarn auch aus Kentucky und Tennessee gekommen waren. Amelia und Emma – inzwischen zwei junge Damen Anfang zwanzig – wohnten zu Hause, obwohl Emma in der Schule unterrichtete. Aber Elbert war immer noch nicht zufrieden mit seinem Los, und er beschloss mit Anfang fünfzig, dass sie es in Clarksville in Texas besser treffen würden, wo seine Mutter bis zu ihrem Tod im Jahr 1908 gelebt hatte. Jedenfalls zogen sie dorthin.

Und vielleicht hatte er richtig gelegen mit dem Umzug, weil Clarksville sich in den 1920er-Jahren wacker schlug. Wenn man sich Texas als Pferd vorstellt, liegt Clarksville auf seinem Rücken, vierundzwanzig Kilometer südwestlich des Red River, der vor einigen Jahren noch die Grenze zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko gebildet hatte. Seinen dreitausendfünfhundert Einwohnern standen zwei Banken zur Verfügung, zwei Zeitungen, zwei Getreidemühlen und ein Elektrizitätswerk, das Wohnhäuser und Geschäfte mit Licht erfüllte. Der größte Arbeitgeber in der Stadt war eine Fabrik, die Baumwollsamen presste, um das hellgelbe Öl zu gewinnen, und die Luft mit einem Duft erfüllte, der süß und nussartig war. Am Samstag verkauften Farmer Wassermelonen, Vieh und Gemüse von ihren Lastern und Fuhrwerken herab auf dem Marktplatz. In der Mitte des Platzes stand die Statue eines konföderierten Soldaten auf einem sieben Meter hohen Sockel und schaute nach Norden – und dort steht sie immer noch, Gesicht und Uniform von Wind und Regen glatt geschliffen wie eine Salzsäule –, allzeit bereit, eine weitere Invasion der Yankees zurückzuschlagen. Sonntags predigten die Priester von sieben Kirchen, fünf weißen und zwei schwarzen, zu ihren Gemeinden.

In Clarksville lernte die fünfundzwanzigjährige Amelia Walker J.E. Jewell kennen, der ein paar Jahre älter war als sie. Sie heirateten am 21. Januar 1921. Neunzehn Monate später brachte sie einen Sohn zur Welt, der die Vornamen seines Vaters erhielt: John Edward.

Zu dieser Zeit war die Geschichte der Familie Walker von Unbeständigkeit und dauernder Abwechslung geprägt. J.E. Jewell war auch der Sehnsucht seines Schwiegervaters verfallen, den Erfolg auf dem Weg nach anderswo zu suchen. Die beiden Männer hatten ihre Familien gemeinsam zu ihrem nächsten Bestimmungsort Wichita Falls geführt – vierhundert Kilometer nach Norden –, dem Schauplatz der ersten Erinnerungen des kleinen Jungen, aus dem John Ed Williams wurde.

 

In den frühen 1920er-Jahren war Wichita Falls vom Erdölfieber angesteckt worden. Seit im Jahr 1901 das »schwarze Gold« aus dem Bohrloch Lucas Nr. 1 in der Nähe der Stadt Beaumont an der Golfküste hochgeschossen war, hatte das Erdölfieber Texas ergriffen. Frisches Wasser, das nach faulen Eiern roch, bedeutete, dass irgendwo dort unter der Erde Petroleum – vielleicht ein ganzer See – in einem Salzstock eingeschlossen war. Riesige Bohrkronen, die von einem Derrickkran mit A-förmigem Gerüst zentriert wurden, drehten sich wie eiserne hypodermische Nadeln immer tiefer in die Erde. In Sour Lake Springs, wo das Wasser nach brennendem Schwefel stank, blähte sich eine schwarze klebrige Petroleumfahne dreißig Meter hoch in die Luft. Das unterirdische Erdölreservoir war so gewaltig, dass schon bald überall Derrickkräne aus dem Boden sprossen, sodass man glauben konnte, es mit einem Feld von hölzernen Eiffeltürmen zu tun zu haben, bedient von Tausenden Bohrarbeitern, die sich in zweiundfünfzig Saloons den Staub und Grieß aus der Kehle spülten.

1918 brach »Texas-Tee« am Stadtrand von Wichita Falls aus der Erde hervor. Glücksritter überrannten die Pensionen und waren bereit, absurde Zimmerpreise zu bezahlen. Wenn keine Zimmer verfügbar waren, schliefen die Neuankömmlinge in Hütten, Zelten, in Wagen und Lastern und überschwemmten die Schulen vor Ort mit verwirrten Kindern. Der Wert aller Bankguthaben stieg um vierhundert Prozent. Straßenecken wurden zu Börsen im Freien, wo Käufer und Verkäufer sich um Immobilien, wasserrechtliche Genehmigungen und Bohrrechte stritten. Firmen, die nur auf dem Papier existierten, warben mit Fantasienamen wie Over the Top, Sam’s Clover Leaf, Bit Hit und O Boy! für sich.

Die Walkers und die Jewells folgten dem Strom. J.E. fand eine Wohnung für seine Frau und seinen kleinen Sohn und einen Job als Verkäufer für Tierfutter und landwirtschaftliches Zubehör im Miracle Coal and Feed Store. Die Walkers, deren ältere Tochter in Clarksville geblieben war, um dort in einer Schule zu arbeiten, mieteten eine Farm ein paar Kilometer außerhalb der Stadt an der Walnut Road. Wenigstens hielten sich alle in der Nähe von Reichtümern auf.

 

Die Arbeit in der Futtermittelhandlung war sicher, aber J.E. wollte ein besseres Leben haben. In der Wichita Falls Times standen Kleinanzeigen, die darauf hinwiesen, dass ein schlauer Mann höher klettern könne. Eine versprach beispielsweise: »Eine Gelegenheit, richtiges Geld zu verdienen. Schnelles Geld außerdem. Falls Sie ein paar hundert Dollar in bar haben, kommen Sie zu Mr. McKinney ins Morgan Bldg.« Die Art der Gelegenheit für »richtiges Geld« bedurfte keiner weiteren Erklärung. Man hätte auf dem Mond leben müssen, um nicht zu wissen, dass es was mit Erdöl zu tun haben musste.

Mit Gelegenheiten für »schnelles Geld« gingen allerdings auch Schwindeleien, Betrug und die üblichen Ausflüchte einher. Das Spiel, das schnellen Reichtum versprach, war nichts für die Leichtgläubigen. Eine der größten Betrugsaffären hatte die Stadtväter von Wichita Falls 1919 zum Gespött des Landes gemacht. Ein Ermittler von Rechtsansprüchen auf Grundbesitz namens J.D. McMahon machte ihnen das Angebot, den ersten Wolkenkratzer in Texas an der Ecke Seventh und La Salle Street zu bauen und so der steigenden Nachfrage nach Büroraum gerecht zu werden. Kapitalanleger vor Ort malten sich ein Geschäftszentrum aus, einen Turm von...

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