al-Andalus - Geschichte des islamischen Spanien

al-Andalus - Geschichte des islamischen Spanien

von: Brian A. Catlos

Verlag C.H.Beck, 2019

ISBN: 9783406742347

Sprache: Deutsch

492 Seiten, Download: 7158 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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al-Andalus - Geschichte des islamischen Spanien



Einleitung


Frontlinie eines «Kampfes der Kulturen»; Einfall auf europäischen Boden; Schauplatz der Reconquista, Kreuzzug und Heiliger Krieg; ein Land multireligiöser Toleranz und convivencia: die Geschichte des islamischen Spanien ist viele Male und auf sehr unterschiedliche Weise erzählt worden. Typischerweise beginnt das Narrativ mit der Landung des Militärbefehlshabers Tariq ibn Ziyad im christlichen Spanien im Jahr 711 und seinem dramatischen Sieg über die westgotischen Könige. Mit der Herrschaft der arabischen Umayyaden habe die Blütezeit von al-Andalus begonnen, dem islamischen Spanien. Muslime, Christen und Juden lebten in Eintracht zusammen, machten al-Andalus zu einer kosmopolitischen arabisch-islamischen Gesellschaft und Córdoba zur «Zierde des Erdkreises», zu einem Anziehungspunkt für Gelehrte und Wissenschaftler und zum Modell einer kosmopolitischen Aufklärung. Dieses Reich zerbrach kurz nach 1000 und war danach zwischen kreuzfahrenden Christen, die Spanien «zurückerobern» wollten, und puritanischen Berbern umkämpft, die Christen und Juden verfolgten. Nach dem Sieg der Christen blieb den Muslimen nur noch das Königreich Granada als letzte Enklave des Islams in Spanien. 1492 eroberten die «Katholischen Könige» Ferdinand und Isabella die Stadt und zwangen den besiegten König Boabdil ins Exil. Damit besiegelten sie das definitive Ende von al-Andalus, und es begann ein Zeitalter der Intoleranz und Unterdrückung.

Fast alle diese historischen Erzählungen teilen die Überzeugung, dass die Religion im Mittelpunkt der Geschehnisse stand: dass muslimische und christliche Reiche einen von religiöser Identität und Ideologie geprägten Konflikt austrugen. Christentum, Judentum und Islam werden als Protagonisten einer opernhaften, auf der Bühne der Jahrhunderte aufgeführten Geschichte von Kämpfen betrachtet. Mit Betonung ihrer vermeintlichen kulturellen Unterschiede werden Christen und Juden als «Europäer» und die Muslime als fremdländische «Mauren» dargestellt – eine Sicht, die nostalgische Sehnsüchte und Moralisierungen geradezu heraufbeschwört und mit ihren melodramatischen Vereinfachungen ansprechend wirkt.

Historiographisch weist diese Sicht jedoch bedenkliche Defizite auf. Denn erstens liegen die Wurzeln des islamischen Spanien nicht im Jahr 711 oder gar bereits im Jahr 622, als Mohammed Mekka verließ, sondern in der mediterranen Welt der Spätantike mit ihren zerfallenden Weltreichen und «Barbaren»-Stürmen. Christentum, Judentum und Islam in all ihrer Verschiedenartigkeit und Zersplitterung standen noch am Anfang eines Prozesses der Selbstdefinition, in dem sie weiterhin eng miteinander verflochten blieben. Auch das Ende des islamischen Spanien kann nicht auf den 2. Januar 1492 festgesetzt werden, als Boabdil die Schlüssel der Alhambra an Ferdinand und Isabella übergab. Noch bis 1614 blieben Hunderttausende Muslime in Spanien und erlebten Diskriminierung, Zwangsbekehrung und schließlich die Vertreibung. Die muslimische Eroberung von al-Andalus war auch nicht Teil eines strategisch durchdachten Feldzugs, um die Weltherrschaft zu erlangen und einen heiligen Krieg zu führen. Die Gründe für diese Eroberung waren komplex und unreflektiert, Chance und Zufall spielten dabei eine ebenso große Rolle wie die Ideologie. Die Vorstellung von Rückeroberung und Kreuzzug wiederum stammt aus einer sehr viel späteren Epoche und wurde immer dann beschworen, wenn sie der Agenda der christlichen Mächte entsprach. Zwischen 711 und 1492 gab es nicht pausenlos religiöse Kriege; Muslime und Christen lebten auf der Iberischen Halbinsel sehr viel länger in Friedens- als in Kriegszeiten, und sie kämpften nicht nur gegen äußere Feinde, sondern ebenso oft gegeneinander. Christliche Herrscher vertrieben die Muslime in der Regel nicht aus den Gebieten, die sie erobert hatten; sie versuchten vielmehr, sie zum Bleiben zu bewegen, meist mit Erfolg. Denn viele zogen ein Leben im Land ihrer Ahnen vor, auch wenn sie damit Untertanen ungläubiger Könige wurden.

Die Bezeichnung Mauren schließlich bezieht sich auf die Bewohner Mauretaniens, wie die Römer ein Gebiet nannten, das die Araber als al-Maghrib («der Westen») bezeichneten und das einen Großteil des heutigen Marokko und Algerien umfasste. Die Bewohner dieser Region wurden von frühen lateinischen Chronisten mauri genannt, in der spanischen Volkssprache moro. Im kastilischen Spanisch schließlich bezeichnete moro ganz allgemein einen «Muslim», während der Begriff im Deutschen zusätzlich die rassifizierte Konnotation des «Mohren» (im Englischen «Blackamoor», einem Erbe der elisabethanischen Ära) annahm, das Stereotyp des dunkelhäutigen, sozial geächteten Afrikaners. Problematisch an dem Begriff «Mauren» oder «maurisch» zur Bezeichnung der Muslime des mittelalterlichen Spanien ist die implizite Vorstellung, sie seien Fremde und würden sich von der alteingesessenen Bevölkerung ethnisch unterscheiden. Tatsächlich kamen nur wenige Muslime von außerhalb auf die Iberische Halbinsel. Al-Andalus wurde durch Konversion islamisch, und die allermeisten Muslime waren indigener Abstammung, waren also nicht weniger fremd und nicht weniger europäisch als die Christen Spaniens.

Natürlich ist auch «Spanien» als Bezeichnung für das mittelalterliche Spanien irreführend. Spanien und seine Kultur ist ein modernes, kein mittelalterliches Phänomen. Die von der spanischen Nationalkultur beschworene nationale Einheit ist bis heute flüchtig, im Mittelalter war sie schlichtweg inexistent. Für diesen Zeitraum sollte man von den christlich regierten Reichen besser als «Spanien» im Plural sprechen. Wenn in diesem Buch von «Spanien» die Rede ist, ist die Iberische Halbinsel gemeint, die von den Westgoten und vor ihnen den Römern Hispanien und von den Arabern al-Andalus (wahrscheinlich eine korrumpierte Form des westgotischen landahlauts, «ererbtes Land») genannt wurde. Mit anderen Worten: der Begriff «maurisches Spanien» – eine anachronistische angloamerikanische Erfindung – lädt geradezu ein zu einer rassifizierten, romantisierenden, orientalisierten und ungenauen Sicht der Geschichte von al-Andalus und des Islams auf der Iberischen Halbinsel und hat falschen Vorstellungen und Darstellungen dieses Kapitels der europäischen Geschichte Vorschub geleistet. Auch «Europa» ist ein heikler Begriff und ein modernes Konzept. Wie die Muslime, die ihre Welt dar al-Islam («Gebiet des Islam») nannten, betrachteten auch die europäischen Christen das Territorium, in dem sie lebten, als «Christentum», nicht als «Europa», und sich selbst sahen sie ganz sicher nicht als «Europäer».

Es gilt also, die historischen Fakten von tendenziösen mythischen Überhöhungen und Spekulationen zu trennen, denn das islamische Spanien ist nicht nur eine wichtige Komponente der Geschichte der mediterranen Welt, Europas, des Islams und des Westens, es besitzt auch heute noch große Relevanz. Viele Politiker und öffentliche Personen (und nicht wenige Wissenschaftler) verstehen die Geschichte des Westens immer noch als einen Widerstreit zweier grundsätzlich inkompatibler Kulturen: der christlichen (oder neuerdings jüdisch-christlichen) und der islamischen Kultur. Aufgrund ihrer Einfachheit und der mit ihr verbundenen Selbstaufwertung findet diese Sicht großen Anklang und wird von Fachleuten und von Demagogen jeglicher Couleur gern instrumentalisiert, um Aggression und Unterdrückung zu rechtfertigen. Für andere steht al-Andalus idealisierend für eine vormoderne Aufklärung, der wir in unserer heutigen, angeblich weniger toleranten Welt nacheifern sollten. Aber auch das ist ein Trugbild. In Spanien selbst beschwören rechte Politiker bis heute das Ethos der Reconquista als wirkmächtigen Nationalmythos, der die Herrschaft Kastiliens über die anderen Regionen der Iberischen Halbinsel auf bequeme Weise legitimiert, während Tourismusverbände ein weichgespültes Bild Spaniens als dem «Land der drei Religionen» und der christlich-muslimisch-jüdischen Harmonie propagieren.

Es gibt gute Gründe, die Bedeutung der religiösen Identität in dieser Geschichte zu unterstreichen, angefangen mit der schlichten Tatsache, dass wir das islamische Spanien als «islamisches Spanien» bezeichnen. Die religiöse Identität war in vielen Fällen der wichtigste Aspekt der Vorstellung des Menschen von sich selbst. Sie diktierte das Rechtssystem, dem er unterworfen war, und bestimmte, jedenfalls theoretisch, wen er heiraten, mit wem er sexuelle Beziehungen haben und welchen Beruf er ausüben durfte; die religiöse Identität definierte seine soziale und wirtschaftliche Stellung, die Höhe...

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