Lesereise Bhutan - Einlass in das Reich des Donnerdrachens

Lesereise Bhutan - Einlass in das Reich des Donnerdrachens

von: Martin Uitz

Picus, 2011

ISBN: 9783711750389

Sprache: Deutsch

132 Seiten, Download: 232 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Lesereise Bhutan - Einlass in das Reich des Donnerdrachens



Gross National Happiness (S. 95-96)

Bhutans Staatsphilosophie auf dem Prüfstand


»Tu weniger, iss weniger, schränke deinen Stress ein, strebe weniger nach Besitz – und sei glücklicher!« So definiert Karma Ura auf meine Frage sein Verständnis von Gross National Happiness. Bhutans bemerkenswerte Staatsphilosophie leitet sich zwar aus dem Widerspruch von »Bruttonationalglück« und Bruttonationalprodukt ab, hat aber bei näherer Betrachtung nur wenig mit dem aus der Wirtschaft stammenden Terminus gemein. Karma Ura ist Bhutans bekanntester Schriftsteller, sein historischer Roman »The Hero with a Thousand Eyes« so etwas wie ein modernes Nationalepos.

Heute steht er dem Centre for Bhutan Studies vor, dessen Aufgabe es ist, wissenschaftliche Arbeiten über Bhutan auf internationaler Ebene zu initiieren, zu publizieren und zu sammeln. Dort werden mittlerweile Dutzende Aufsätze und Forschungsberichte zur Gross National Happiness archiviert. Doch wie sieht es tatsächlich mit dem Glücksgefühl der Bhutaner aus? Eines der statistischen Ergebnisse der großen Volkszählung von 2005 ist die scheinbare Bestätigung des nationalen Glücksgefühls: Nur drei Prozent der Bevölkerung beantworten die Frage nach ihrem persönlichen Glücklichsein negativ, siebenundneunzig Prozent bezeichnen sich als »glücklich« oder »sehr glücklich«. Aber sogar Bhutans Sonntagszeitung Bhutan Times hinterfragt kritisch, ob das denn tatsächlich so sei.

Schließlich werde den Menschen seit Jahrzehnten [117]eingeredet, sie lebten im einzigen Land der Welt, in dem Gross National Happiness als oberstes Staatsziel durchgesetzt sei. Ross McDonald, Soziologe aus Neuseeland, befasst sich ausführlich mit der Frage, ob das nationale Glück und die individuelle Zufriedenheit überhaupt von wirtschaftlichen Verhältnissen und Erfolgen abhängen. Seine Schlussfolgerung: Dies sei nicht der Fall, die Bhutaner würden Gross National Happiness wohl anders verstehen denn einfach als das Gefühl, sich über erreichten Wohlstand zu freuen. Denn der buddhistische Hintergrund schließe aus, dass man Glück allein über rücksichtsloses Durchsetzen der eigenen materiellen Ziele erreichen kann.

Der König selbst definiert die vier Säulen des Konzepts der Gross National Happiness mit Respekt vor Kultur und Religion, guter politischer Verwaltung (good governance), wirtschaftlichem Wohlergehen und Bewahrung einer intakten Umwelt. Damit wird klar, dass Wohlstand zwar ein Faktor ist, das eigentliche Glück aber nicht in materiellen Gütern, sondern in einer Balance aller vier Komponenten besteht. Angesichts einer Armada von sündteuren Toyota Landcruisern, mit denen Thimphus Oberschicht die kurzen Wegstrecken in der Hauptstadt zurücklegt, sind Zweifel angebracht, ob die materielle Bescheidenheit tatsächlich eine weit verbreitete Tugend des buddhistischen Drachenvolks ist.

Gerade die letzten Jahre mit ihrem rasanten wirtschaftlichen Aufschwung in Bhutan haben wohl eher mehr Unzufriedenheit, Geschäftsneid und Missgunst in die Gesellschaft eingeschleust. Karma Ura bezeichnet diesen Wechsel prägnant als »change from feudalism to bureaucracy«, obwohl Bhutan eigentlich kein Feudalsystem im europäischen Sinne hatte. Den Herrschenden habe es zu jeder [118]Zeit an materiellem Reichtum gefehlt, ihre Macht war nur hierarchisch oder religiös begründet, äußerte sich jedoch nicht in einem deutlichen Mehr an Besitz oder Luxus.

»Herrscher und Sklave aßen vom gleichen Teller«, umschreibt der Schriftsteller dieses einzigartige System, in dem die Mächtigen mehr als religiöse Führer und philosophische Ratgeber zu interpretieren seien denn als Feudalherren. Die historisch gewachsenen Eliten Bhutans waren seit Jahrhunderten zum einen die Mönchsorden, in die Knaben unabhängig von ihrer sozialen Herkunft bereits in ganz jungen Jahren aufgenommen wurden. Andererseits war es der Beamtenstand, wobei Staatsdiener wie Mönche bereits in früher Jugend aus ihrem Familienverband ausschieden und einer speziellen Ausbildung unterzogen wurden – während die verbliebene Bevölkerung auf dem Land ohne Bildung blieb. Auch wenn das heute nicht mehr so ist, das Selbstverständnis der bhutanischen Beamtenklasse ist noch immer von dieser Eliteposition bestimmt.

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