Der Fuchs von oben und der Fuchs von unten

Der Fuchs von oben und der Fuchs von unten

von: José María Arguedas

Verlag Klaus Wagenbach, 2019

ISBN: 9783803142634

Sprache: Deutsch

320 Seiten, Download: 533 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Der Fuchs von oben und der Fuchs von unten



Marco Thomas Bosshard
Literatur als Vermächtnis


Der Jahrhundertroman Der Fuchs von oben und der
Fuchs von unten und das Leben und Sterben seines Autors

Vor fünfzig Jahren setzte José María Arguedas, der wichtigste peruanische Romancier des 20. Jahrhunderts, seinem Leben ein Ende. Am 28. November 1969 schoss er sich in der Universidad Nacional Agraria in Lima, wo der gelernte Ethnologe seit 1967 dem soziologischen Institut vorstand, in die Schläfe und verstarb vier Tage später, am 2. Dezember 1969, im Krankenhaus. Sein letzter und erst 1971 postum veröffentlichter Roman Der Fuchs von oben und der Fuchs von unten (im Original El zorro de arriba y el zorro de abajo), den der Wagenbach Verlag anlässlich seines fünfzigsten Todestages hiermit erstmals in der ergreifenden Übersetzung von Matthias Strobel dem deutschsprachigen Publikum zugänglich macht, zeugt von der wachsenden Verzweiflung und Depression Arguedas’, denn Teile seiner Tagebücher sind fester Bestandteil dieses Fragment gebliebenen Romans.

Verglichen mit unserer Zeit, in der das Spiel mit autobiographischen Referenzen und Autofiktionen in der Gegenwartsliteratur manch postmoderne Blüte treibt, ist Arguedas’ Roman  – authentischer Bericht und Fiktion in einem – von anderem Kaliber. Literatur war für Arguedas nie ein Selbstzweck, auch kein Mittel zur Evasion oder gar zur Befriedigung von Leserbedürfnissen. Im Gegenteil bildeten Kunst und Leben bei ihm eine unzertrennliche Einheit – und das, wie das Beispiel von Der Fuchs von oben und der Fuchs von unten zeigt, bis zum bitteren, letzten Ende.

Ein Jahr vor seinem Tod, in einer vorübergehenden Phase des Optimismus und des kreativen Schaffens an seinem letzten Roman, hat Arguedas anlässlich der Verleihung des Premio Inca Garcilaso in seiner Dankesrede die wohl programmatischsten Äußerungen zu seinem Selbstverständnis als Künstler und seinem Werk getätigt. Diese Rede sollte nach dem letzten Willen Arguedas’ seinem Roman Der Fuchs von oben und der Fuchs von unten als Prolog vorangestellt werden (in dieser Ausgabe findet sie sich, in Anlehnung an die kritische spanischsprachige Ausgabe, die der vorliegenden Übersetzung zugrunde liegt, am Ende des Romans). In ihr verkündet der Autor mit Blick auf den in seinen Texten allgegenwärtigen Zusammenprall der indianischen mit der europäischen Kultur, an die sich erstere in den Augen der westlich geprägten Eliten Perus anzupassen beziehungsweise zu »akkulturieren« habe: »Ich bin kein Akkulturierter; ich bin ein Peruaner, der mit dem Stolz eines glücklichen Teufels sprechen kann wie ein Christ und wie ein Indio, auf Spanisch und auf Quechua.« Und er fährt fort, indem er dem westlichen Fortschrittsdenken den Reichtum der andinen Kultur entgegensetzt: »In der Technik sind sie uns überlegen, beherrschen sie uns, wer weiß wie lange noch, aber in der Kunst können wir sie bereits zwingen, von uns zu lernen, können es sogar tun, ohne uns von hier zu entfernen.« Denn mit ihren »sprechenden Enten« in Seen auf 4000 Metern Höhe, wo »alle Insekten Europas ersticken würden«, und mit ihren »Kolibris, die bis zur Sonne fliegen, um ihr Feuer zu trinken«, bildet die Mythenwelt der Anden die Keimzelle von Arguedas’ Schaffen. Die beiden titelgebenden sprechenden Füchse aus seinem letzten Roman, die wie ein in die Anden versetzter griechischer Chor das Schicksal von Arguedas’ Romanfiguren kommentieren, gehören in dieselbe Reihe mythischer Gestalten, die in einen Dialog mit der westlichen Moderne treten.

Diese Spannungen zwischen der andinen, indianischen Kultur und dem Okzident haben Arguedas zeit seines Lebens geprägt. Geboren 1911 in dem Andenstädtchen Andahuaylas, ist Arguedas’ Kindheit und Jugend gekennzeichnet von steten Ortswechseln in ganz Peru. Arguedas’ Mutter, Tochter eines wohlhabenden Großgrundbesitzers, stirbt schon früh. Der Vater heiratet wenig später erneut und siedelt mit seinen beiden Söhnen Arístides und José María nach Puquio und dann nach San Juan de Lucanas über. Während Arguedas’ älterer Bruder schon bald nach Lima geht, um dort die Schule zu besuchen, und der Vater oft monatelang beruflich unterwegs ist, bleibt José María allein bei seiner Stiefmutter und seinem verhassten Stiefbruder Pablo zurück, den Arguedas als Inbegriff eines gamonal porträtiert, eines ausbeuterischen, die indianischen Bediensteten und Arbeiter verachtenden Großgrundbesitzersöhnchens. Arguedas hat behauptet, dass er in Abwesenheit seines Vaters gezwungen wurde, mit den indianischen Dienstboten der Hazienda in der Küche zu essen und dort zu schlafen. Die emotionalen Bezugspersonen während seiner Kindheit waren deshalb, neben dem selten anwesenden Vater, mehrheitlich Indigene, sodass Arguedas eine besondere affektive Beziehung zum Quechua aufbaut, das er nicht nur einfach – wie jedermann im peruanischen Hochland zu jener Zeit  – spricht, sondern in dem er sich vor allem in seiner Lyrik auch künstlerisch ausdrücken wird.

Im Alter von zwölf Jahren begleitete Arguedas seinen Vater, der als Anwalt tätig war und auf der Suche nach Arbeit von einem Ort zum nächsten zog, auf einer seiner langen Reisen, die ihn unter anderem in die großen andinen Städte Huamanga (Ayacucho), Cuzco und Abancay führte, wo er zwei Jahre lang ein Klosterinternat besuchte. Diese einschneidend-eindrückliche Erfahrung bildet den – wie so oft bei Arguedas – autobiographischen Hintergrund des 1958 erschienenen Romans Die tiefen Flüsse (im Wagenbach Verlag als Taschenbuch lieferbar). Die Sekundarschule absolvierte er dann, weiterhin nomadenhaft, zunächst in Ica an der peruanischen Pazifikküste, später wiederum im andinen Huancayo – um schließlich das letzte Schuljahr in der Hauptstadt Lima zu verbringen, wo er 1931 an der Universidad Nacional Mayor de San Marcos, der ältesten Universität Südamerikas, zu studieren begann.

Aus jenen Jahren stammen Arguedas’ erste literarische Veröffentlichungen: 1933 die erste Kurzgeschichte mit einem Titel auf Quechua – Warma kuyay (»Kinderliebe«) –, 1935 der erste Erzählband Agua (»Wasser«). 1937 wird Arguedas für ein Jahr inhaftiert, nachdem er öffentlich gegen einen Gesandten Mussolinis protestiert hat, was er Jahre später in seinem Roman El Sexto von 1961 (der Titel bezieht sich auf den Namen des Gefängnisses) verarbeiten wird. Wieder in Freiheit, veröffentlicht er 1941 seinen ersten Roman, Yawar fiesta, in dessen Titel sich das Quechua programmatisch mit dem Spanischen verbindet. Yawar bedeutet »Blut«, fiesta das »Fest« – und der Titel als Ganzer (»Das Blutfest«) spielt auf ein Ritual in den andinen Dörfern und Städten an, in dem sich die Fusion spanischer und indianischer Elemente manifestiert: Es besteht in einem Stierkampf, bei welchem dem Stier ein Kondor auf dem Nacken festgebunden wird und der so lange dauert, bis der Stier – gereizt und ermattet von den Schnabelhieben des Vogels und seiner Krallen – stirbt. Das Ritual suggeriert die potentielle Besiegbarkeit der europäisch-spanischen Kultur der Invasoren, für die der Stier metaphorisch steht, durch die mit dem Kondor assoziierte andine Tradition.

Neben seinem Schreiben wird Arguedas in jenen Jahren zu einem der wichtigsten Förderer der andinen Folklore. Er sammelt und ediert nicht nur das Liedgut der Quechua und publiziert und interpretiert andine Mythen – etwa denjenigen von der Wiederkehr des Inkarri, des Königs der Inka –, sondern ist in verschiedenen Funktionen für das Erziehungsministerium tätig, sitzt Kulturkommissionen vor, leitet Museen und verschafft den großen, von den kreolischen Eliten bisher belächelten andinen Volksmusikern und huayno-Interpreten ihre ersten Plattenverträge. Parallel setzt er sein Studium an der Universität San Marcos fort und promoviert dort im Alter von 52 Jahren in Ethnologie. Für seine Dissertation betrieb er Feldforschung nicht nur in den Anden, sondern auch in Dorfgemeinschaften der spanischen Provinz Zamora, hält Europa also gleichsam seinen eigenen völkerkundlichen Spiegel vor. Bis 1968 unterrichtet er Ethnologie an seiner Alma mater und bis zu seinem Tod auch an der Universidad Nacional Agraria La Molina.

1964 veröffentlicht Arguedas den auf Deutsch manchmal noch antiquarisch in DDR-Ausgaben auffindbaren Roman mit dem in der Übersetzung irreführenden Titel Trink mein Blut, trink meine Tränen (im Original Todas las sangres), sein bis dato ambitioniertestes Buch, das – unter anderem – die Enteignung von Ländereien zugunsten eines ausländischen Bergbauunternehmens zum Thema hat. An dem Roman entzündet sich eine Polemik, die Arguedas an sich und seiner künstlerischen Schaffenskraft zweifeln lässt und 1966 – im Zusammenspiel mit vielen anderen, persönlichen Faktoren, etwa der Scheidung von seiner ersten Frau Celia – einen ersten Selbstmordversuch nach sich zieht: Eine Gruppe von Schriftstellern, Wissenschaftlern und Kritikern bezeichnet den Roman als soziologisch unpräzise. Und nicht nur auf nationaler Ebene mehren sich die Angriffe auf den zunehmend dünnhäutig reagierenden Arguedas: Der gefeierte shooting star des lateinamerikanischen Booms, der Argentinier Julio Cortázar, äußert sich in einem Interview abfällig über Arguedas und bezeichnet den peruanischen Schriftsteller als Provinzautor. Nur halbherzig wird er von seinem Landsmann Mario Vargas Llosa verteidigt, der in jener Zeit gemeinsam mit Julio Cortázar, Gabriel García Márquez und Carlos Fuentes zu einem der international erfolgreichsten Vertreter der neuen lateinamerikanischen Literatur avanciert und 1978 ein ganzes Buch über...

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