Margarete Schütte-Lihotzky - Architektin - Widerstandskämpferin - Aktivistin

Margarete Schütte-Lihotzky - Architektin - Widerstandskämpferin - Aktivistin

von: Mona Horncastle

Molden Verlag , 2019

ISBN: 9783990405246

Sprache: Deutsch

304 Seiten, Download: 12991 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Mehr zum Inhalt

Margarete Schütte-Lihotzky - Architektin - Widerstandskämpferin - Aktivistin



I
Die Anfänge in Wien


„Wir waren ein echt österreichisches Gemisch.“

Die Sommerfrische 1899 verbringt die Familie Lihotzky am Achensee. Margarete steht neben ihrer Mutter Julie, vorne im Boot sitzt Schwester Adele, die Ruder hält der Vater, Erwin Lihotzky.

Im Bestreben, den Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn durch eine einheitliche Verwaltung zusammenzuhalten, haben die Habsburger einen riesigen bürokratischen Apparat geschaffen. Das Beamtentum ist mit Würde und Sicherheit verbunden, einmal aufgenommen, erfolgen Beförderungen in vorgeschriebenen Intervallen, bis man nach gewöhnlich dreißig Jahren in Pension geht.1 Die väterliche Linie der Familie Margarete Lihotzkys ist fest in dieser Tradition verankert. Der Urgroßvater Franz Lihotzky (1791–1852) war Bürgermeister von Czernowitz, der Hauptstadt der Bukowina. Der Großvater Gustav Lihotzky (1817–1900) ist im Dienst der K.-u.-k.-Monarchie zunächst Richter in seiner Geburtsstadt Czernowitz und beendet seine Karriere als Hofrat im Justizministerium in Wien. Für den Entwurf eines Witwen- und Waisengesetzes wird ihm der Leopold-Orden verliehen, das dazugehörige Adelsprädikat „von“ lehnt er jedoch ab.2 Margaretes Vater Erwin Lihotzky (1856–1923) tritt in die Fußstapfen seiner Vorfahren und arbeitet als Staatsbeamter in der Verwaltung des Wiener Stadterweiterungsfonds.

Der Großvater mütterlicherseits Rudolf Bode (1837–1920) ist Direktor der Ersten Wiener Baugesellschaft und Träger des Franz-Josephs-Ordens.4

Das Haus von Rudolf Bode ist „voll von Bildung, aber frei von jeglicher materieller Protzerei oder geistigem Hochmut“.6 Mit ihrer vier Jahre älteren Schwester Adele (1893–1968), genannt Dele, darf sie schon als Kind an den Musikabenden teilnehmen, die Großvater Bode regelmäßig veranstaltet. Einmal im Jahr wird ein Kinderball ausgerichtet, es wird Theater gespielt und gesungen. Auch Margaretes Vater Erwin Lihotzky ist sehr musikalisch. Er spielt so gut Geige, dass er ursprünglich sogar Konzertmusiker werden wollte.

Das Buch mag sie beeinflusst haben, aber sie ist natürlich bereits durch das Vorbild ihrer Mutter geprägt. Julie Lihotzky ist eine sozial engagierte, pazifistisch eingestellte Frau, die bis zum Ersten Weltkrieg in Frauenorganisationen aktiv ist – wodurch sie Bertha von Suttner auch persönlich kennt. Während des Ersten Weltkriegs arbeitet Julie Lihotzky beim Roten Kreuz und später beim Jugendgericht. Eine Tätigkeit, die einem Grundethos entspringt, mit dem sie Verantwortung für ihre Mitmenschen übernimmt.

Prägungen


„Wir, die wir in Wien geboren waren, (…) genossen die herrliche Stadt, die so voller Eleganz und schön war, und dachten keinen Augenblick daran, dass das Licht, das über ihr strahlte, das eines farbigen Sonnenuntergangs sein könnte.“8

Um 1900 ist Wien geprägt von Gegensätzen: Während sich an der prachtvollen Ringstraße Palais, Theater, Cafés und Museen aneinanderreihen, herrscht in den Vorstädten bittere Armut und Wohnungsnot. Die meisten Arbeiterfamilien leben in unerträglich beengten Verhältnissen, die noch nicht einmal dem Mindestmaß an Wohnraum entsprechen, der für Gefängnisse vorgeschrieben ist.9 Wer eine Wohnung hat, wie klein auch immer, nimmt zusätzliche Mitbewohner auf, um Miete zu sparen. Margarete Lihotzky beschreibt die prekären Umstände: „1869 wohnten 37 Prozent der Arbeiter als sogenannte Bettgeher bei Unternehmern. Nur für ein Bett, das oft abwechselnd benutzt wurde, zahlten sie bis zu 25 Prozent ihres Lohns. (…) 1907 zählte man über 66.000 Bettgeher in Wien und 22 Prozent aller Wiener Wohnungen beherbergten Untermieter oder Bettgeher. Chaotisch entstanden zur Zeit der frühen Industrialisierung die großen Zinskasernen in den Arbeiterbezirken, jene Zinskasernen mit elenden Höfen ohne Licht und Luft, mit den berüchtigten Gangküchenwohnungen, mit für mehrere Familien gemeinsamen Aborten, mit Wasserzuführung nur am gemeinsamen Gang. Als Folge der schrecklichen Wohnungsverhältnisse nistete sich die Tuberkulose in Wien ein wie kaum in einer anderen Stadt Europas. Sie blieb die Volkskrankheit bis weit in die 1920er Jahre. (…) 1912, kurz vor dem Ersten Weltkrieg, wurden in Wien 96.000 Menschen in Obdachlosenasyle eingewiesen, darunter 20.000 Kinder.“10

Margarete (vorne links) mit Freundinnen und ihrer Schwester Adele (vorne, vierte von links) 1909 beim alljährlichen Kinderball.

Die Wohnungsnot und Armut der Arbeiter ist die negative Seite der Dynamik der industriellen Revolution. Doch die Vorstädte sind eine Welt, die niemand aus den bürgerlichen Schichten je zu sehen bekommt. Die Wiener Gesellschaft bestehend aus Adel, Großbürgertum und Beamten lebt im Zentrum und den Villenvierteln rund um das Belvedere und an den Hängen des Wienerwalds. Hinter den Fassaden der Palais ist eine Vier- bis Fünfzimmerwohnung Standard, aber auch Zehnzimmerwohnungen mit Empfangsraum, Esszimmer, Bibliothek, Musik-, Wohn- und einem Damen- sowie Herrenzimmer sowie Schlaf-, Kinder-, Gäste- und Badezimmer sind keine Seltenheit.

Auch als im November 1918 vor dem Parlament die Republik ausgerufen wird, lässt er sich das nicht entgehen. Margarete begleitet ihn, um begeistert die Proklamation der neuen Staatsform zu begrüßen.

Bis 1914 lebt Margarete mit ihrer Familie im großväterlichen Haus in der Blechturmgasse im fünften Wiener Gemeindebezirk. Die Aufnahme aus dem Jahr 1899 zeigt Vater Lihotzky mit seinen Töchtern im Garten. Auf dem Balkon sitzen mehrere Damen, darunter auch Julie Lihotzky, die das Bild ihrem Mann widmet: „Prosit-Namenstag!“

Dann muss das schöne Haus in der Blechturmgasse im fünften Bezirk aus finanziellen Gründen verkauft werden. Die Eltern Lihotzky ziehen mit ihren beiden Töchtern in eine Wohnung in der Hamburgerstraße 14 bei der Wienzeile im selben Bezirk. Mit dem Zusammenbruch der Monarchie verliert Erwin Lihotzky im Alter von 62 Jahren seine für sicher gehaltene und gut bezahlte Stelle in der Stadtverwaltung. Er beginnt als Vertreter zu arbeiten, um die Familie zu ernähren. Der Statusverlust setzt ihm wohl nicht sehr zu und ein überzeugter Monarchist ist er sowieso nie gewesen. Er nimmt die berufliche Wendung gelassen und sieht ihre Vorteile: Die Arbeit als Beamter hat ihn gelangweilt, nun trifft er viele Menschen und ist mittendrin in der sich politisierenden Stadt mit all ihren Stimmungslagen. Eines Tages kommt er ganz glücklich nach Hause und ruft: „Kinder, jetzt werden uns die Motten ernähren. Heuer ist ein Mottenjahr prophezeit.“13

Ausbildung


„Hätte ich nochmals zu wählen, ich würde wieder Architektin werden.“

1911 geht Margarete Lihotzky ohne einen höheren Abschluss von der Schule ab, denn der wird Mädchen damals noch genauso verwehrt, wie auch die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten für Frauen beschränkt sind. Ihre Schwester hat vier Jahre zuvor entschieden, Lehrerin zu werden, doch für Margarete ist das keine Option. Die Eltern beschließen daher, der Vierzehnjährigen ein Orientierungsjahr zu gewähren, in dem sie ihr zeichnerisches Talent weiterentwickeln soll. Eine konkrete berufliche Zukunft haben sie damit wohl nicht vor Augen, denn Frauen wird im Bereich der kreativen Berufe noch jede Kompetenz abgesprochen. Über den Status der Muse oder Dilettantin kommen sie nicht hinaus, aus der ernst zu nehmenden bildenden Kunst, Literatur und Musik werden sie ausgegrenzt oder diffamiert, wenn der Erfolg sich wider Erwarten doch einstellt.14 Der Philosoph Otto Weininger, dem eine zentrale Stellung innerhalb der frauenfeindlich-zeitgenössischen Geschlechterforschung zukommt, konstatiert 1903: „In der Tat gehört viel Milde und Laxheit dazu, [Künstlerinnen oder Literatinnen] auch nur ein Titelchen von Bedeutung beizulegen. Es genüge die allgemeine Feststellung, dass keine einzige und allen (selbst den männlichsten) Frauen der Geistesgeschichte auch nur mit männlichen Genien fünften und sechsten Ranges, (…) in concreto wahrhaft verglichen werden kann.“15

Das Empfehlungsschreiben wird dann doch noch bei den Eltern abgegeben, allerdings erst, als Margarete bereits in der Prüfung sitzt. Auf einer Visitenkarte hat Klimt notiert:

Lieber Roller,

zu meinem Leidwesen bin ich gezwungen, die Überbringerin Dieses zu empfehlen. Bitte handle ganz nach deinem Gutdenken.

Margarete (vorne Mitte) als junge Studentin 1919 mit ihrer Klasse an der Kunstgewerbeschule in Wien.

Dieses Schreiben wird dem Direktor natürlich nie überreicht, das ist aber auch nicht nötig: „Na, ich bin ohne Klimt auch aufgenommen worden.“18

Über diese Einstellung kann sich Margarete Lihotzky noch Jahre später empören, sie findet sie ungerecht und zeitfremd. Auch Oskar Strnad ist skeptisch, obwohl er seine Studentin durchaus schätzt. „Offensichtlich hielt er das für eine vorübergehende Idee eines unreifen Mädchens, die er mir auszureden hatte. Humoristisch und mit allen möglichen, phantasievollen Ausschmückungen schilderte er, mit welchen Schwierigkeiten er als Mann zu kämpfen hatte und wie schwer dieser Beruf für ein...

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