NOVA Science-Fiction 28

NOVA Science-Fiction 28

von: Dirk Alt, Victor Boden, Tino Falke, Marcus Hammerschmitt, Wolfgang Mörth, Paul Sanker, Uwe Schimunek

p.machinery, 2019

ISBN: 9783957659057

Sprache: Deutsch

224 Seiten, Download: 1341 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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NOVA Science-Fiction 28




Dirk Alt: Meine insektoiden Nachbarn


 

 

Sie mögen mich für undankbar halten, doch frage ich mich häufig, ob mich ein schlimmeres Schicksal hätte treffen können als jenes, das ich Ihnen nun schildern will. Vielleicht, so beantworte ich meine Frage, wenn meine Rakete über einem Vulkan- oder Eisplaneten oder einem namenlosen, vagabundierenden Gesteinsbrocken havariert wäre. Stattdessen habe ich einen geologisch reizvollen, wenn auch nicht übermäßig artenreichen Planeten mit erträglichem Klima und zur Sauerstoffgewinnung tauglicher Atmosphäre erwischt. In diesem Quadranten hätte es sicher keinen geeigneteren Ort für eine Notlandung gegeben. Und doch: Wenn ich nach einer weiteren durchwachten Nacht meinen trüben, feindseligen Blick durch die Panoramafenster der Rakete über die starre Wüstenlandschaft von Insula V schweifen lasse, überfällt mich eine Wehmut, die sich mit Worten kaum beschreiben lässt. Es zerreißt mir das Herz, wenn ich an die Fliederbüsche, die Rosenstöcke und Hortensien in der Heimat denke. Um ehrlich zu sein, zerreißt es mir schon das Herz, wenn ich an Brennnesseln denke oder an Kletten oder an Pilze, die am Waldboden faulen.

Das weitgehende Fehlen von Vegetation gehört zu den weniger ansprechenden Eigenschaften des Planeten, auf den es mich verschlagen hat. Als Hinterlassenschaft der Jahrtausende währenden Erosionszyklen seiner Jugend dehnt sich über den Großteil seiner Oberfläche ein gleichförmiges Dünenmeer, aus dem sich hier und dort mehr oder weniger einfallsreiche Felsformationen erheben und, wesentlich seltener, geduckte, eigenartig gewachsene Bäume, die stets in Grüppchen zusammenstehen, als verschaffte ihnen die Gemeinschaft Schutz. Bemerkenswert – ein Touristenführer würde vielleicht sagen: von unvergesslicher Schönheit – ist die Färbung des Himmels, der sich morgens mit einem violetten Dämmerschein überzieht. Während die beiden unterschiedlich großen Monde emporsteigen, erstrahlt er in stechendem Purpur, um schließlich ein mit fortschreitender Tageszeit eindunkelndes Rot anzunehmen, das in den relativ kurzen Nachtstunden der von der Erde vertrauten Finsternis weicht. Ohne Frage, für den Neuankömmling stellt der Himmel von Insula V eine Attraktion dar. Wenn man sich an seinem Farbenspiel einmal sattgesehen hat – wie ja alles sättigt, was im Überfluss vorhanden ist –, findet man es bald ermüdend, um nicht zu sagen: penetrant. Da die einzige markante Wetterveränderung in den unaufgeregt fallenden Niederschlägen besteht, bleiben als Abwechslung, die man dankbar zur Kenntnis nimmt, lediglich die Lichtphänomene, deren bunte Reflexe gelegentlich über dem Dünenmeer eine flüchtige Gestalt annehmen. Das Licht scheint sich am Himmel als farbenfroher Dunst zu sammeln und allmählich zu einem Gewirr pulsierender Schlangen zu verdichten, die einander wie flüssige Amethyste, Rubine, Smaragde und Türkise in kaleidoskopartiger Weise umspielen, bis – nach Minuten oder auch Stunden – ihre Leuchtkraft versiegt. Dann zerfließen sie, zerstreuen sich funkelnd über das Firmament, glühen aus oder verblassen wie die Erinnerung an ein einstiges Königreich – ein Anblick, vergleichbar mit jenem, der im 18. Jahrhundert die Pioniere der Polarforschung in Ehrfurcht und Erstaunen versetzte.

Auch die Bewohner von Insula V scheinen diesem Schauspiel zugetan zu sein, denn sie kommen häufig in Gruppen zusammen, um den sich in der Ferne entspinnenden Lichterzauber zu beobachten, und gehen, sobald er verebbt, wieder auseinander. Das ist nicht verwunderlich, denn sie befinden sich zweifellos auf einer recht niedrigen Entwicklungsstufe und zeigen auch keine Ansätze, in den kommenden Jahrmillionen darüber hinauszuwachsen. Ich will sie nicht schlechter machen, als sie sind. Auch wenn sie aufrecht gehen, bleiben sie Insektoiden, und an Insektoide sollte man grundsätzlich keine gesteigerten zivilisatorischen Ansprüche stellen. Ihre Spezies erreicht eine Größe von bis zu einem Meter fünfzig, hat einen schmalen, schwarz gepanzerten Körper, an dem die beiden oberen Gliedmaßenpaare meist untätig hinabbaumeln, und einen überdimensionierten Wulstschädel, der von einem Paar über der Stirn gefalteter Fühler gekrönt wird und eine beunruhigende Ähnlichkeit mit einem menschlichen Totenschädel aufweist. Unterhalb der Augen, die tief in den Höhlen verborgen sind, befinden sich gefährlich aussehende Mundwerkzeuge, die sich mechanisch öffnen und schließen, wenn die Insektoiden etwas erkunden oder unerwartet auf einen Artgenossen stoßen. Auf ihren etwas zu lang geratenen Hinterbeinen stolzieren sie mehr, als dass sie gehen. Wenn zwei von ihnen gegeneinanderprallen, kommt es oft vor, dass beide das Gleichgewicht verlieren, umkippen und dann sämtliche Gliedmaßen einsetzen müssen, um sich wieder auf die Hinterbeine zu hieven.

Ihrem unheimlichen Aussehen zum Trotz ist ihnen ein friedfertiges Naturell zu eigen. Das habe ich bereits unmittelbar nach meiner Ankunft feststellen können, als ich die Schotten öffnete und einen ersten Erkundungsgang vorbereitete. Ein Dutzend von ihnen hatte sich unweit der Absturzstelle versammelt und schien darauf zu warten, dass sich der Zweck jenes ungewohnten Objektes enthüllte, das sich in die Oberfläche ihres Planeten gebohrt hatte. Als ich mit gezückter Strahlenpistole die ausgefahrene Rampe herunterkam, war ich unsicher, ob ich das plötzliche Aufrichten ihrer Fühler als Zeichen von Furcht oder von Angriffslust deuten sollte. Sobald ich meinen Fuß auf den Boden gesetzt hatte, wichen sie jedoch geschlossen vor mir zurück. Erst nachdem ich stehen geblieben war und eine Weile beschwichtigend auf sie eingeredet hatte, wagten sie sich näher und schließlich ganz nah heran, um mich von allen Seiten mit ihren Fühlern abzutasten. Anscheinend sind sie dabei zu dem Schluss gekommen, dass meine Anwesenheit für sie weder eine Gefahr noch eine Bereicherung darstellt, denn sie gingen nach dieser ersten Begegnung dazu über, mich konsequent zu ignorieren. Nur wenn ich mich sehr weit von der Rakete entferne, kommt es noch gelegentlich vor, dass ich mich von den Fühlern eines Insektoiden abtasten lassen darf, der meine Bekanntschaft noch nicht gemacht hat, aber umgehend das Interesse verliert, sobald dieser Vorgang abgeschlossen ist. Während der gesamten Zeit, die ich hier zugebracht habe, ist es mir nicht gelungen, irgendeine nennenswerte Kommunikation aufzubauen: Sofern ich ihnen nicht im Weg stehe, bin ich praktisch Luft für sie. Das ist von meinem Standpunkt aus natürlich sehr zu bedauern, denn die Zeit auf Insula V verginge schneller, wenn sie mir irgendeine Art von Gesellschaft bieten würden.

Zeit habe ich nämlich im Überfluss. Zunächst habe ich sie mit der Fortsetzung meiner wissenschaftlichen Studien zugebracht, derentwillen ich in den Kosmos aufgebrochen war – ein ziemlich dummer Ehrgeiz, wie ich inzwischen finde, aber das ändert nichts daran, dass meine Neugierde und Abenteuerlust seit Jugendtagen der Raumfahrt gegolten hatten. Sollten Sie zufällig Kinder haben, deren Fantasie ebenfalls von den romantischen Stereotypen unerforschter Weiten und kühner Raumfahrer verseucht wurde, so rate ich Ihnen dringend, alles zu unterlassen, was diese Schwärmerei nähren könnte – dazu gehören auch Verbote. Versuchen Sie stattdessen unaufdringlich, Ihren Sprösslingen bewusst zu machen, dass nur der allergeringste Teil jener fremden Welten, deren Zahl dem Meersand entspricht, überhaupt die Erforschung lohnt. Was dazwischen liegt, sind finstere Tiefen, über die ihr Schöpfer selbst erschrecken müsste. So wie ich erschrak, als ich durch einen unbehebbaren technischen Defekt aus dem Kurs geworfen wurde und mir der Bordrechner eine Anzahl möglicher Zielplaneten vorschlug, auf denen ich in der kurzen, noch zur Verfügung stehenden Zeit eine manuelle Notlandung versuchen konnte. Meine Alternativen hatten darin bestanden, das vollständige Versagen der Antriebssysteme und den infolge meiner dann einsetzenden Irrfahrt unabwendbaren Tod durch Ersticken oder Langeweile abzuwarten – oder aber mich in Kryostasis versetzen und im stählernen Sarg einer Rettungskapsel dorthin schießen zu lassen, wo schon mancher Schiffbrüchige sein Heil gesucht hatte: in der eiskalten, ewigen Nacht, in der die Gestirne ihre Bahnen ziehen und die Chancen, einer solchen Bahn jemals wieder entzogen zu werden, bei einer Million zu eins stehen. Vielleicht auch etwas besser: Ich erinnere mich dunkel an einen brabbelnden Greis aus dem vorvergangenen Jahrhundert, den sie aus dem Weltraummüll gefischt und mittels Frischzellenkur ins, euphemistisch gesprochen, Leben zurückgeholt hatten. Nein, diese Option war mir unheimlich, obwohl mir im Rückblick scheint, ich hätte in der Kryostasis erholsamer geschlafen als hier. Damals war ich jedenfalls noch der Meinung, etwas Besseres als den Tod überall finden zu können. Also versuchte ich mich zunächst an der Notlandung und, nachdem ich diese gemeistert hatte, an den Herausforderungen des Robinson-Schicksals, dem ich mich auf Insula V ausgeliefert sah. In den ersten Wochen imponierte ich mir selbst mit heroischer Gelassenheit. Als Entdecker war ich aufgebrochen, und wenn mir der Weg zurück in den Weltraum versperrt war, so wollte ich mich wenigstens als Ergründer und Bezwinger meines Gastplaneten verewigen. Ich ging sofort an die Arbeit, machte Beobachtungen, Messungen und Aufzeichnungen aller Art und berichtete darüber so gewissenhaft und umfassend in die Heimat, wie es die dürre Datenübertragung erlaubte. Unter anderem fand ich heraus, dass es mindestens dreißig verschiedene Unterarten der insektoiden Spezies gibt, deren Unterschiede allerdings so geringfügig sind, dass ich sie hier nicht...

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