Klinische Hypnose und Hypnotherapie mit Kindern und Jugendlichen

Klinische Hypnose und Hypnotherapie mit Kindern und Jugendlichen

von: Hiltrud Bierbaum-Luttermann, Siegfried Mrochen

Junfermann, 2020

ISBN: 9783955719203

Sprache: Deutsch

208 Seiten, Download: 4185 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Klinische Hypnose und Hypnotherapie mit Kindern und Jugendlichen



2. Beziehungsaufbau und Rapportstrategien


„Resonanz [ist] ein Schwingungsverhältnis, das uns mit der Welt um uns herum emotional verbindet. Sie ist wie ein Klebstoff, der verhindert, dass die Welt in hunderttausend unzusammenhängende Einzelteile, anders ausgedrückt, in neutrale, unzusammenhängende Informationen zerfällt. Resonanz ist das Element des Berührt- und Ergriffenseins. (…) [Z]ugleich spüre ich, dass ich andere erreiche und in der Welt etwas erreichen kann.

(Armbruster et al., 2015)

2.1 Dem Kind Rückmeldung geben über das, was man bereits von ihm weiß


Da der erste Kontakt mit dem Kind und den Eltern erfahrungsgemäß eine prägende Wirkung hat, kommt es in dieser Phase der Behandlung besonders darauf an, dem Betroffenen kongruent das Gefühl zu vermitteln, willkommen und interessant zu sein. „Get their Attention“ betont Kinderarzt Prof. Dr. Daniel P. Kohen, der als einer der international renommiertesten Begründer der Klinischen Hypnose für Kinder und Jugendliche nach Milton Erickson bezeichnet werden kann, in all seinen Workshops. Gemeint ist damit, die Aufmerksamkeit des Kindes für den Prozess zu gewinnen, es neugierig auf sich selbst und seine (unbewussten) Fähigkeiten zu machen sowie seinen Entwicklungsprozess zu aktivieren. Dem Kind in seinem Weltbild und persönlichen Referenzrahmen zu begegnen, seinen natürlichen Wunsch nach Wachstum und Meisterschaft anzusprechen ist vor allem sein Anliegen. Help children to help themselves ist seine grundlegende Idee von Hypnotherapie.

Dafür ist es hilfreich, zunächst etwas zu finden, was man an dem Kind mag, besonders oder anrührend findet. Das ist natürlich weniger ein Problem, wenn das Kind ohnehin sympathisch, aufgeweckt und zugewandt ist. Wenn aber ein Kind oder Jugendlicher auf den ersten Blick unsympathisch, provokant, desinteressiert, abweisend oder gelangweilt erscheint, bekommt diese Suche nach Ressourcen eine besondere Bedeutung.

Christoph ist übergewichtig, verweigert die Begrüßung, bemängelt sofort Staub am Boden und betont, dass er jetzt schon wisse, dass es hier langweilig ist. Er setzt sich hin, verschränkt die Arme und guckt zur Decke. Der Therapeut wartet eine Weile, betrachtet ihn und sagt: „Christoph, so heißt du doch, Christoph, oder?“

Keine Reaktion, außer deutliches Wippen auf dem Stuhl.

Therapeut: „Ich hab das mitbekommen, verstanden, dass du wahrscheinlich nicht selbst auf die Idee gekommen bist, hierherzukommen.“

Christoph: „Nee, echt nicht!“

Therapeut: „Und mir fällt auf, dass du ein genauer Beobachter bist. Und ehrlich. Kann man das so sagen von dir?“

Christoph (leicht irritiert, grinst etwas): „Könnte man so sagen, ja. (Und dann wieder etwas schnippisch:) Sehen aber nicht alle so als Vorteil.“

Therapeut: „Und ist das manchmal ein Problem?“

Christoph zuckt mit den Schultern.

Therapeut: „Ich persönlich, Christoph, finde es interessant zu erfahren, was du so mitbekommst, und vielleicht bist du auch ein bisschen stolz darauf, ein guter Beobachter zu sein. Ich kann mir vorstellen, dass es Spaß machen kann, sich mit dir zu unterhalten …“

Die Frage, ob das Kind wisse, wofür dieses Treffen gut sein soll, oder was man ihm gesagt habe, wo „man hingeht“, wird oftmals mit Schulterzucken oder „Hab ich vergessen!“ / „Weiß ich nicht“ beantwortet.

Bewährt hat sich, beim Erstkontakt mit einer kurzen Rückmeldung über das zu beginnen, was man vom Kind oder Jugendlichen bereits erfahren hat, weil man einen Brief (s. o.) bekommen hat oder mit den Eltern z. B. schon telefonisch im Kontakt war. Dabei nutzt man die für die Hypnotherapie spezifische Sprachgestaltung, d. h. bedeutungsvolle Pausen und Wiederholungen. Auch sogenannte Yes Sets können hilfreich sein. Yes Sets sind eine Reihe von Fragen, von denen man weiß, dass der Klient sie mit Ja beantworten wird. Das fördert die Zustimmungshaltung für dann folgende offenen Fragen.

Paul wird unter anderem wegen seiner Streitereien mit der kleinen Schwester vorgestellt. Therapeut: „Ich weiß von dir, Paul, dass du zehn Jahre bist und dass du gerne Fußball spielst. (Yes Set) Und dass du eine Schwester hast. (Pause und Wahrnehmen der Reaktion: Paul rümpft leicht die Nase) … eine kleine Schwester, die drei Jahre jünger ist …“

„Vier Jahre jünger!“, sagt Paul bestimmt (manchmal erhöht es die Aufmerksamkeit, wenn man kleine „Fehler“ einbaut). „Also vier Jahre … Dann bist du ganze vier Jahre älter also! Ich nehme mal an, dass dir das wichtig ist. Ein großer Bruder … (einweben von Botschaften, die Suchprozesse auslösen) Und ich frage mich, Paul … ob du manchmal schon gemerkt hast, wie wichtig große Brüder für so kleine Schwestern sind … Sie möchten alles tun, was die Brüder tun, und dass sie deswegen auch manchmal nerven …

Auch die Technik der angefangenen Sätze erhöht die Aufmerksamkeit und Beteiligung am Prozess. „Kevin … du bist acht … und jetzt in der …“ – „Dritten Klasse“, ergänzt das Kind. „Also in der dritten Klasse, und ich hab schon gehört von dir, dass du gerne …“ Kind: „Fußball spielst?“ „… dass du gerne Fußball spielst …“

Die Verwendung von Yes Sets kann helfen, einen Prozess in Gang zu bringen. Solche Yes Sets können sich darauf beziehen, was ein Kind allgemein in dem entsprechenden Alter bereits kann. So werden die Fragen mit Ja beantwortet:

Ich nehme mal an, Lukas … also du bist acht Jahre alt, richtig? Dann geh ich mal davon aus, dass du in die zweite oder dritte Klasse gehst, dass du schon passabel mit Zahlen und Buchstaben zurechtkommst, einen Ball auffangen und vielleicht sogar schwimmen kannst (lesen, zählen, Schuhe binden, Rad fahren …)

Darauf kann eine weitere zielführende Anmerkung folgen wie: „Und ich kann mir vorstellen, dass es für dich – du kannst lesen, Rad fahren, schwimmen … – dass es für dich auch interessant sein kann, zu lernen, in einem warmen, trockenen Bett aufzuwachen …“ Das hier ebenfalls eingewobene zusammenfassende Wiederholen und Aufzählen von Informationen erhöht die Bedeutungsstiftung und Aufmerksamkeitsfokussierung besonders bei jüngeren Kindern.

Die Kennlernsequenz kann auch durch ein Ressourceninterview angereichert werden:

  • „Was machst du gerne, wenn du Zeit hast?“
  • „Seit wann kannst du schwimmen / skaten …?“
  • „Was, denkst du, mögen deine Freunde / Eltern an dir?“
  • „Was fällt dir leicht …?“
  • „Gab es mal einen Moment, in dem du richtig stolz auf dich warst, dich etwas Neues getraut hast oder das Gefühl hattest, dass dir was gelungen ist?“

Die weitaus meisten Kinder können irgendetwas: zum Beispiel Fahrrad fahren, inlineskaten, Skateboard oder Ski fahren oder etwas ganz anderes aus den Bereichen alltäglicher Spiel-, Sport- und Interessenserfahrungen.

Beiläufig, aber interessiert fragt man nach solchen alltäglichen Lernerfahrungen. Bezogen auf das Fahrradfahren könnte man beispielsweise fragen:

  • „Wann hast du das gelernt?“
  • „Kannst du dich noch erinnern, ob mit oder ohne Stützräder?“
  • „Auf einem alten Damenrad?“
  • „Mit Festhalten oder ohne?“

Dann folgt eine weitere Ausführung: „Nach Stürzen bist du wieder aufgestanden, hast vielleicht geweint, dann aber gleich oder später weitergemacht, du hast es so lange probiert, bis du es konntest. Du hast dich nicht entmutigen lassen. Wenn du heute auf dein Rad steigst, denkst du darüber keine Sekunde mehr nach … Warum ich das alles erzähle? Weil du, wie die meisten gescheiten, normalen Menschen als Kind, irgendwann mal sehr komplizierte Dinge gelernt hast. Du hast dich nicht entmutigen lassen, hast vielleicht auch gar nicht so viel drüber nachgedacht und weitergemacht, bis es eine Selbstverständlichkeit war.“

An dieser Stelle kann eine hypnotische Sequenz eingewoben werden:

„Ich möchte dich daran erinnern, was du vorher schon gelernt hattest … als Baby … und Kleinkind … Du hast gelernt, dich zu drehen … zu sitzen … dich aufzurichten … und zu stehen … erst wacklig … und dann immer sicherer … Irgendwann bist du das erste Mal allein die Treppe runter … vielleicht rückwärts … und über die Umrandung eines Sandkastens geklettert … Du hast gelernt, einen Turm zu bauen … und Bälle zu fangen … Alles das hast du gelernt, lange bevor du in die Schule gekommen bist … Du hast alles oder vieles gelernt, um all das zu tun, was du vielleicht noch lernen möchtest …“

Dies ist der Stoff einer Early-Learning-Experience-Induktion, wie sie uns Milton Erickson in einigen Variationen überliefert. Es handelt sich dabei um eine positiv aufgeladene Regression, eine eigentlich selbstverständliche Erfahrung, die – wie das Laufenlernen – naturgemäß mit vielen Versuchen und Fehlschlägen einhergeht. Und trotzdem wird das Ziel „aufrecht laufen, sich selbständig fortbewegen“ unbeirrt und unermüdlich verfolgt. Das Aktivieren dieser Ressource schließt an die ursprüngliche...

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