Verhaltensprobleme beim Hund - Von den Grundlagen bis zum Management

Verhaltensprobleme beim Hund - Von den Grundlagen bis zum Management

von: Patricia Solms

Schlütersche, 2020

ISBN: 9783842690332

Sprache: Deutsch

248 Seiten, Download: 3068 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Verhaltensprobleme beim Hund - Von den Grundlagen bis zum Management



1.1Allgemeine Einführung


Das Verhalten eines Hundes ist von genetischen und umweltbedingten Einflussfaktoren während der Entwicklung abhängig. Je nach Wechselwirkung zwischen Genen und Umwelteinflüssen ergibt sich später ein unterschiedliches Verhalten. Der Hund hat eine hohe Anpassungsfähigkeit an die unterschiedlichsten Umweltbedingungen und sozialen Lebensformen. Zum Beispiel sind Straßenhunde in der Entwicklung anders geprägt als hochdotierte Zuchttiere, die wohlbehütet ggf. mit nur einer Bezugsperson oder gar im Zwinger aufwachsen. Da insbesondere Umwelteinflüsse während der frühen Entwicklung die Eigenschaften oder Erscheinungsmerkmale des Tieres wirksam beeinflussen, diese jedoch nicht notwendigerweise mit den später herrschenden Umweltbedingungen übereinstimmen, besteht die Gefahr von Fehlanpassungen. Zudem können nicht artgerechte Umweltbedingungen zu pathologischen Veränderungen führen. Davon sind besonders die in menschlicher Obhut lebenden Tiere betroffen, die oft künstlichen oder im Vergleich zu ihren wildlebenden Verwandten zumindest stark veränderten Umweltbedingungen ausgesetzt sind. Zwar werden relativ wenige Hunde unter sehr restriktiven Haltungsbedingungen ( Abb. 1-1) aufgezogen (z.B. Laborhunde), doch ebenso wenige wachsen entsprechend den wildlebenden Arten im natürlichen Rudelverband auf. Dennoch beruht das Verhalten des Hundes maßgeblich auch auf genetisch angelegten Prädispositionen. Das Ausmaß an Unterschieden im Erscheinungsbild (Phänotyp) genetisch identischer Tiere (Genotyp) als Ergebnis unterschiedlicher Umweltbedingungen wird als phänotypische Plastizität bezeichnet.

Abb. 1-1 Soziale Deprivation oder restriktive Haltungsbedingungen können die Gehirnentwicklung beim Hundewelpen negativ beeinflussen und zu Verhaltensstörungen bzw. Verhaltensproblemen führen.

Da Umwelteinflüsse, insbesondere während der frühen Entwicklung, großen Einfluss auf den erwachsenen Hund ausüben können, müssen die Mechanismen und Auswirkungen der phänotypischen Plastizität bei der Beschreibung der Verhaltensentwicklung von Hunden berücksichtigt werden. Es ist daher sehr wichtig, Besitzer darüber aufzuklären, dass Verhaltensweisen weder nur mit der Genetik noch ausschließlich mit den Umweltbedingungen zu erklären sind, sondern dass die Verhaltensentwicklung immer ein Zusammenspiel aus beiden Komponenten ist.

BEACHTE

Das Verhalten eines erwachsenen Hundes entwickelt sich zum einen aus den angeborenen genetischen Voraussetzungen, zum anderen aber auch aus den gegebenen Umweltbedingungen.

1.2Entwicklungsphasen des Hundewelpen


Geprägt durch bestimmte biologische Prozesse wird die Entwicklung von Hundewelpen meist in vier bis fünf Phasen unterteilt:

1.pränatale Phase

2.neonatale Phase

3.Übergangsphase

4.Sozialisations- bzw. Juvenilphase

1.2.1Pränatale Phase


Die Bedeutung der pränatalen Phase für die Verhaltensentwicklung wurde bei Hunden lange Zeit übersehen, obwohl Studien an Labornagern bereits in den fünfziger Jahren zeigten, dass wesentliche Aspekte des Verhaltens durch Umwelteinflüsse auf das Muttertier während der Trächtigkeit, aber auch durch das Geschlecht der Nachbarföten in der Gebärmutter, beeinflusst werden können. So sind z.B. Nachkommen von Müttern, die während der Trächtigkeit Stress ausgesetzt waren, im Erwachsenenalter ängstlicher und stressempfindlicher.

Aufgrund des unterentwickelten Zustandes des zentralen Nervensystems (ZNS) von Hundewelpen zum Zeitpunkt der Geburt ist nicht davon auszugehen, dass pränatale Einflüsse auf die Verhaltensentwicklung durch Lernen entstehen können. Vielmehr sind direkte hormonelle Einflüsse auf die Entwicklung des zentralen Nervensystems der Hundeföten in Betracht zu ziehen. Von Labornagern weiß man, dass der männliche Fötus kurz vor der Geburt Testosteron produziert. Dies ist ein Hormon, welches für typisch männliches Verhalten, wie z.B. Urinmarkieren, verantwortlich ist und zu einer Vermännlichung (Maskulinisierung) des Gehirns führen kann. Aber auch von weiblichen Föten abgesonderte Sexualhormone können benachbarte Föten in der Gebärmutter verweiblichen (feminisieren), was sich damit unter anderem auf die spätere Aggressionsbereitschaft der Männchen auswirken kann. Aufgrund der Analogien zu Säugetieren wäre beim Hund eine ähnliche Beeinflussung der Hormone auf Nachbarföten möglich. Angesichts der Häufigkeit von stress- und angstbedingten Verhaltensstörungen sowie Aggressionsstörungen bei Hunden ( Kap. 1.3), verdienen daher die Haltungs- und Umweltbedingungen von Hündinnen während der Trächtigkeit in Zukunft eine erhöhte Aufmerksamkeit, auch das Züchten mit verhaltensauffälligen Tieren sollte vermieden werden.

1.2.2Neonatale Phase


Die neonatale Phase umfasst den Lebensabschnitt von der Geburt bis zum Öffnen der Augen 10–16 Tagen nach der Geburt. Das Verhalten von neonatalen Welpen wird hauptsächlich von Reflexen bestimmt, die unmittelbar der Bedarfsdeckung dienen. Im Vordergrund stehen hierbei neben Schlafen insbesondere Verhaltensweisen, die zu erfolgreichem Säugen und mütterlichem Pflegeverhalten führen. In dieser Phase sind die Welpen weitestgehend von der Hündin abhängig. Diese versorgt ihre Welpen mit Nahrung ( Abb. 1-2), hält sie im Nest zusammen und sorgt dadurch für die nötige Nestwärme. Den Absatz von Kot und Urin der Welpen stimuliert die Hündin durch Lecken im Anogenitalbereich. Dabei nimmt sie die Exkremente auf und hält dadurch das Nest sauber.

Abb. 1-2 Hundewelpen sind sogenannte Nesthocker und damit in den ersten Lebenswochen von der Mutterhündin abhängig.

Abb. 1-3 Säugende Hündin

Säugen

Das Aufsuchen der Zitzen durch die Welpen erfolgt vorwiegend reflexbedingt und ist unabhängig von Hunger, Magenfüllung oder Nahrungserwerb ( Abb. 1-3). Durch kräftige, mit den beiden Vordergliedmaßen abwechselnd ausgeführte Tret- und Knetbewegungen gegen das Gesäuge, den sogenannten Milchtritt, werden die Milchbildung und der Milcheinschuss zusätzlich gefördert. Saugen kann bei Welpen in diesem Alter jedoch leicht durch andere Reize als die Zitze ausgelöst werden. Ein gewisses Maß an umorientiertem Saugen (z.B. an Wurfgeschwistern) gehört deshalb zum natürlichen Verhalten von Welpen, tritt jedoch bei Frustration von ernährungsbedingtem Saugverhalten (z.B. bei Flaschenaufzucht) deutlich vermehrt auf und kann sich auch zu einer Verhaltensstörung entwickeln ( Kap. 1.3).

Fortbewegung

Obwohl Hundewelpen zu den sogenannten Nesthockern gehören, sind sie von Geburt an in der Lage, sich fortzubewegen. Vom 1. bis 5. Tag verbleiben die Welpen noch im „funktionellen U“, dem Halbrund, das die liegende Hündin durch Rumpf und Gliedmaßen bildet. Ab dem 6. Lebenstag wird der Aktionsradius zunehmend auf die Wurfkiste ausgedehnt. Dabei tritt auch das sogenannte Suchpendeln auf, ein rhythmisches horizontales Pendeln mit dem Kopf. Suchpendeln zieht die Aufmerksamkeit der Hündin auf sich und veranlasst diese, die Welpen in Richtung Gesäuge zu stupsen oder sich anderweitig um diese zu kümmern. Suchpendeln tritt jedoch nur während der ersten 1–2 Lebenswochen auf. Ab der 2. Lebenswoche werden je nach Rasse bereits erste Steh- und Gehversuche unternommen.

Schlafverhalten

Die Welpen schlafen in dieser Phase fast ausschließlich in Seitenlage und in Körperkontakt mit der Hündin oder den Wurfgeschwistern ( Abb. 1-4). Anfangs schlafen Welpen oft und kurz, mit der Zeit jedoch zunehmend seltener und länger. Die Gesamtdauer des Schlafes kann anfangs durchaus 16–20 Stunden betragen und geht dann kontinuierlich auf 12–14 Stunden beim erwachsenen Hund zurück.

Abb. 1-4 Welpen schlafen anfangs nur in Seitenlage und bis zu 20 Stunden am Tag.

Wahrnehmung

Welpen nehmen ihre Umwelt in dieser Phase hauptsächlich durch Berührung und über Geruch sowie Geschmack wahr. Obwohl sich das Nervensystem noch in der Entwicklung befindet, ist bereits einfaches Lernen möglich. So kann sich Stimulation mit Geräuschen oder Lichtimpulsen trotz geschlossener Gehörgänge und Augen positiv auf die Gehirnentwicklung auswirken und die Entwicklung des Welpen beschleunigen.

BEACHTE

Welpen, welche von Geburt an menschlichem Kontakt ausgesetzt waren, treten auch im späteren Leben freundlicher gegenüber Menschen auf.

1.2.3Übergangsphase


Die Übergangsphase beginnt mit dem Öffnen der Augen zwischen dem 10. und 16....

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