Der Code des Kapitals - Wie das Recht Reichtum und Ungleichheit schafft

Der Code des Kapitals - Wie das Recht Reichtum und Ungleichheit schafft

von: Katharina Pistor

Suhrkamp, 2020

ISBN: 9783518766460

Sprache: Deutsch

400 Seiten, Download: 1856 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Der Code des Kapitals - Wie das Recht Reichtum und Ungleichheit schafft



7Vorwort


Die Idee zu diesem Buch begleitet mich schon seit längerer Zeit. Zum ersten Mal kam sie auf, als das globale Finanzsystem im Herbst 2007 anfing, auf den Abgrund zuzusteuern. Die Geschwindigkeit der sich entfaltenden Krise ließ für ein tieferes Nachdenken nicht viel Zeit, doch sobald das Auge des Sturms vorbeigezogen war, habe ich, neben vielen anderen, versucht herauszufinden, was die enorme Expansion des Finanzsektors in den letzten Jahrzehnten erklären könnte und was zu seinem rapiden Niedergang geführt hat. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Disziplinen war ich darum bemüht, die institutionelle Struktur verschiedener Segmente der Finanzmärkte eine nach der anderen aufzudecken. Am aufschlussreichsten an unseren Befunden war für mich, wie vertraut die grundlegenden Bausteine des Finanzsystems wirkten, trotz der fantastischen Vermögen, die es in der jüngeren Vergangenheit hervorgebracht hat, und ungeachtet seiner beispiellosen Komplexität. Überall, wo wir etwas tiefer gebohrt haben, stießen wir auf die Kerninstitutionen des Privatrechts: das Vertrags-, Eigentums-, Kreditsicherungs-, Trust-, Gesellschafts- und Insolvenzrecht. Sie hatten die Expansion der Wertpapiermärkte befeuert, waren aber, wie sich herausstellte, auch entscheidende Determinanten für ihren Niedergang. Als die tatsäch8lichen Erträge dieser Anlagen hinter die erwarteten Renditen zurückzufallen begannen, setzten die Anleger ihre rechtlichen Ansprüche durch: Sie nahmen Sicherheitsnachschüsse, Kreditlinien, Rückkaufvereinbarungen und Ausnahmeregelungen in Anspruch und trugen damit zu einer Verschärfung der Krise bei. Einige kamen noch rechtzeitig heraus, doch viele andere fanden sich mit Papieren wieder, die ihnen niemand abkaufen würde, abgesehen von den Zentralbanken bestimmter Länder.

Nachdem ich die Kernmodule unseres komplexen Finanzsystems identifiziert hatte, begann ich, ihre Ursprünge in der Zeit zurückzuverfolgen. Ich untersuchte die Entwicklung der Eigentumsrechte, der einfachen Schuldtitel, der verschiedenen Arten von Bürgschaften und Pfändern, die zur Besicherung von Schuldverschreibungen verwendet wurden, die Entwicklung des use (von dem später noch die Rede sein wird) und des Trusts, der Gesellschaftsform und der Geschichte der Insolvenz, jener entscheidenden Nahtstelle, an der im Wirtschaftsleben Entscheidungen über Leben und Tod fallen. Je mehr ich las, desto stärker war ich davon überzeugt, dass das, was mit einer Untersuchung des globalen Finanzsektors begonnen hatte, mich zum Quell des Reichtums geführt hatte: der Herstellung des Kapitals.

Dieses Buch ist das Ergebnis dieser Reise. Das Kapital ist, wie ich in diesem Buch behaupten werde, rechtlich codiert. Gewöhnliche Güter sind einfach genau das, was sie sind – ein Grundstück, ein Versprechen, in der Zukunft bezahlt zu werden, die gebündelten Ressourcen von Freunden und Familie für die Gründung eines neuen Unternehmens oder individuelle Fähigkeiten und Knowhow. Doch jedes dieser Güter kann in Kapital verwandelt werden, indem es in jene Rechtsmodule gekleidet wird, die auch zur Codierung von forderungsbesicherten Wertpapieren (Asset-Backed Securities) und deren Deriva9ten verwendet wurden, die im Zentrum des Aufstiegs der Finanzbranche in den letzten Jahrzehnten standen. Diese rechtlichen Module, nämlich Vertrags-, Eigentums-, Kreditsicherungs-, Trust-, Gesellschafts- und Insolvenzrecht, können dazu verwendet werden, den Inhabern bestimmter Güter einen komparativen Vorteil gegenüber anderen zu verschaffen. Jahrhundertelang haben Rechtsanwälte an diesen rechtlichen Modulen gefeilt, sie an verschiedene Güter angepasst und damit den Wohlstand ihrer Mandanten gemehrt. Und die Staaten haben die Codierung des Kapitals dadurch unterstützt, dass sie ihre juristischen Zwangsmittel für die Durchsetzung der gesetzlichen Rechte, die dem Kapital eingeräumt wurden, zur Verfügung gestellt haben.

Dieses Buch erzählt die Geschichte der rechtlichen Codierung des Kapitals aus der Perspektive des Guts [asset]: Grund und Boden, Unternehmen, private Schulden und Wissen, ja sogar der genetische Code der Natur. Ich zeichne hier nicht sämtliche Nebenpfade in der Entwicklungsgeschichte des Rechts nach, all jene Drehungen und Wendungen, die notwendig waren, um zu gewährleisten, dass die alten Codierungstechniken den neuen Gütern genügten. Für Juristen sind solche Einzelheiten überaus befriedigend, bringen für Außenstehende jedoch ein Maß an Detailliertheit und Komplexität mit ins Spiel, das für das Verständnis der Grundidee, wie das Recht gleichermaßen Vermögen wie Ungleichheit schafft, nicht nötig ist. Darüber hinaus gibt es einen reichhaltigen Literaturbestand, der die Entwicklung ausgewählter rechtlicher Institutionen nach10zeichnet, zum Beispiel die des Trusts, der Gesellschaftsform oder des Kreditsicherungsrechts. Diejenigen Leserinnen und Leser, die sich damit näher beschäftigen wollen, finden in der in den Anmerkungen dieses Buches zitierten Literatur einige entsprechende Hinweise. Die Rechtshistorikerinnen und die Fachleute aus den jeweiligen Rechtsgebieten bitte ich um Nachsicht für die Vereinfachungen, zu denen ich mich gezwungen sah, um gewährleisten zu können, dass das vorliegende Buch auch für Nichtjuristen zugänglich sein würde. Das sind die Leserinnen und Leser, die ich beim Schreiben des Buches im Sinn hatte, solche also, die vielleicht noch nie ein Buch über Recht aufgeschlagen haben, aus Angst, dass es zu trocken und zu kompliziert oder einfach nicht von Belang sein könnte. Ich habe mich bemüht, die rechtlichen Institutionen nicht nur verständlich, sondern auch interessant und relevant für die gegenwärtigen Debatten über Ungleichheit, Demokratie und Governance zu machen. Das Recht ist ein mächtiges Werkzeug für die Ordnung des Sozialen und hat, wenn es klug eingesetzt wird, das Potenzial, einem großen Spektrum gesellschaftlicher Ziele zu dienen; dennoch wurde es – aus Gründen und mit Folgen, die ich zu erklären versuchen werde – fest in den Dienst des Kapitals gestellt.

Viele Menschen haben mich auf meinem Weg der Niederschrift dieses Buches begleitet. Meine Kolleginnen und Kollegen von der Columbia Law School haben mich ermutigt, ein Buch und nicht nur einen Artikel zu schreiben, als ich meine Ideen vor vier Jahren erstmals auf einem Workshop der Fakultät präsentierte. Meine Schülerinnen und Schüler an der Columbia Law School sind immer die Ersten, an denen ich meine neuen Ideen ausprobiere. Sie sind klug und direkt in ihren Ideen und Kritiken, und ich habe im Laufe der Jahre eine Unmenge von ihnen gelernt, als ich sie in den Komplexitäten des Gesellschaftsrechts, der Wertpapiere und ihrer Regulierung, aber 11auch in der Rolle des Rechts für die Entwicklung außerhalb der kapitalistischen Ökonomien des Westens unterrichtet habe. Ich habe außerdem enorm von Gesprächen mit ehemaligen Studierenden und Alumni profitiert, die erfolgreiche Praktikerinnen und Praktiker geworden sind. Einige haben mich sogar in meinen Lehrveranstaltungen besucht und mich und meine Studierenden an ihrem Wissen teilhaben lassen, über das nur intime Kenner der juristischen Praxis verfügen.

Dieses Buch hat zudem sehr von den Forschungsvorhaben und Workshops profitiert, die unter der Schirmherrschaft des Center on Global Legal Transformation stattgefunden haben, dessen Leitung ich an der Columbia Law School innehabe. Ich danke den Sponsoren, vor allem dem Institute for New Economic Thinking (INET) und der Max-Planck-Gesellschaft im Verbund mit der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, auf das Herzlichste.

Ein Buch zu schreiben kann ein ziemlich einsames Unterfangen sein. Glücklicherweise hatte ich viele Gelegenheiten dazu, frühe Ideen zu diskutieren und an wechselnden Zuhörerschaften ausprobieren zu können. Dazu zählten das Buffett Institute an der Northwestern University, die Chinesische Universität Hongkong, die ETH Zürich, die Goethe-Universität in Frankfurt am Main, die Humboldt-Universität zu Berlin, das Interdisciplinary Center Herzliya in Tel Aviv, die KU Leuven (wo ich die Ehre hatte, im Jahr 2016 die Dieter Heremans Fund Lectures in Law and Economics zu halten), die London School of Economics, die Oxford University, die Fakultät der Rechtswissenschaften an der Universität Tel Aviv sowie die Teilnehmer der jährlichen Zusammentreffen der Global Conference on...

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