Eine Liebe in Paris - Romy und Alain

Eine Liebe in Paris - Romy und Alain

von: Thilo Wydra

Heyne, 2020

ISBN: 9783641270476

Sprache: Deutsch

368 Seiten, Download: 12085 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Eine Liebe in Paris - Romy und Alain



Es ist der Spätherbst des Jahres 1935. In dem kleinen Pariser Vorort Sceaux im Département Hauts-de-Seine kommt am 8. November frühmorgens um vier Uhr der Junge Alain Fabien Maurice Marcel Delon zur Welt. Es ist ein sehr kleinbürgerliches Milieu, in das er hineingeboren wird und das für einige wenige Jahre sein Zuhause sein soll. Seine Mutter Édith Arnold (1911 – 1995) arbeitet eine Zeit lang zunächst als Assistentin in einer örtlichen Apotheke, sein korsischer Vater Fabien Delon (1904 – 1977) ist stolzer Betreiber des einzigen Filmtheaters am Platz, des Le Régina. Eigentlich ist der kleine Alain ein Kind der Liebe, er ist ein Wunschkind seiner Mutter Édith.

Als Alain vier Jahre alt ist, trennen sich seine Eltern jedoch. »Ich habe meine Eltern einander niemals küssen sehen«, wird Alain Delon rückblickend sagen.

1939 heiratet Édith Arnold den Schlachtermeister Paul Boulogne. Sie leben nun in Bourg-la-Reine, einer Nachbargemeinde von Sceaux, an der Route d’Orléans etwa zehn Kilometer südlich von Paris gelegen. Monsieur Boulogne besitzt in Bourg-la-Reine eine eigene Schlachterei mit einem guten Dutzend Angestellter, gelegen in der einzigen großen Durchfahrtsstraße des Ortes, der Grande-Rue.

Hier in Bourg-la-Reine, im Alter von vier Jahren, setzt mit der Trennung der Eltern die familiäre Haltlosigkeit Alain Delons ein, die einerseits die Suche nach Liebe nach sich zieht, ein Leben lang, andererseits zugleich den ausgeprägten Hang zu Isolation und Einsamkeit begründet.

Hier liegt der Grundstein der tief ausgeprägten Ambivalenz, die Delons vielschichtigen Charakter ausmacht: die Suche nach Liebe und zugleich der Drang nach Einsamkeit; das durchaus Dunkel-Zwielichtige und zugleich die große Hilfsbereitschaft, wenn Freunde oder Ex-Frauen in Not sind.

Es sind die zwei Gesichter des Alain Delon.

In den 1980er-Jahren spricht Delon in einem Fernseh-Interview darüber, wie sehr er die Einsamkeit brauche, wenn er sie für einige Zeit nicht gespürt habe. Ohne sie könne er schlicht nicht leben. Einsamkeit sei kein Makel, so Delon, sondern etwas, was er liebe. Er kennt sie seit seiner Kindheit vor den Toren von Paris.

Delon und Nähe, Delon und Greifbarkeit – das ist nicht ganz einfach, das ist vielmehr fast unvereinbar. Immer auch wird Alain Delon später, als öffentliche Person, vorsichtig und misstrauisch sein, scheu der Presse gegenüber. Nur selten, und dann ungern, wird er Interviews geben.

»In meiner Familie hatte ich einen schweren Stand. Meine Eltern waren geschieden. Ich lebte zwischen einer Mutter und einem Stiefvater auf der einen, einem Vater und einer Stiefmutter auf der anderen Seite. Ich war ein Störenfried, das überzählige Kind, der Bengel zwischen zwei Paaren, der allen auf die Nerven ging. Wirklich. Ich war ein Kind der Liebe, aber als die Liebe in die Brüche ging, machten beide neue Kinder. Keiner wusste mit mir noch etwas anzufangen.«4

Er ist das schwarze Schaf, das Enfant terrible.

Bald schon kommt der junge Alain vorübergehend zu Pflegeeltern, es ist der nächste biographische Bruch in diesen frühen Jahren. Viele dieser Brüche sollen noch folgen.

Als am 1. September 1939 in Europa der Zweite Weltkrieg ausbricht, da wird Deutschland, das Nachbarland jenseits des Rheins, zum Erzfeind.

Alain Delons Kindheit ist auch eine Kindheit in Kriegszeiten. Es ist eine schwierige, entbehrungsreiche Kindheit, recht einfach, recht freudlos, und vor allen Dingen ohne ein rechtes Zuhause.

Als die Deutsche Wehrmacht den Frankreich-Feldzug am 10. Mai 1940 beginnt und vier Wochen später, am 14. Juni, schließlich in Paris einmarschiert und die französische Metropole unter die Besetzung der Boches fällt, da ist der kleine Alain noch keine fünf Jahre alt. In den kommenden fünf Kriegsjahren wird er immer wieder am Rande ein wenig davon mitbekommen, was vor sich geht.

Diese dunkle Zeit der 1940er-Jahre beschreibt Alain Delon im Jahr 2018 auf eindrückliche Weise wie folgt:

»Ich kam 1935 auf die Welt. 1945 war ich zehn. Ich war kein Idiot. Ich sah alles, verstand alles. Ich wohnte damals in Bourg-la-Reine, meine Mutter war Verkäuferin. Ich lieferte Lebensmittel an Leute aus, die mir dafür was zu essen gaben. Gegenüber gab es einen Laden, dessen Besitzer aus dem Fenster sah, um die Deutschen durchziehen zu sehen, und sich dabei eine Kugel in den Kopf einfing. Tot. Auch ich habe die Deutschen gesehen. Ich sah, wie die französischen Streitkräfte des Inneren vierzig Frauen festnahmen, um ihnen die Köpfe zu scheren. Für eine Weile wurde ich nach Reims geschickt, dann zu Freunden in die Bretagne, nahe dem Wohnort von Jean Gabin, weil meine Eltern Angst um mich hatten.«5

Die einzige Bezugsperson für Alain ist seine Mutter Édith, die er über lange Zeit liebevoll »Mounette« nennt. Édith Boulogne, ehemalige Delon, liebt ihren Sohn Alain, doch auch sie ist überfordert, weiß nicht recht wohin mit ihm. Immerhin, sie unterrichtet ihren Sohn ab seinem fünften Lebensjahr im Klavierspiel.

In einem unveröffentlichten Interview, 1981 in Bourg-la-Reine geführt, aus dem nur einige wenige Auszüge jemals publiziert wurden, erinnert sich Mutter Édith an ihren kleinen Sohn Alain und weiß unter anderem zu erzählen: »Er stellte alles auf den Kopf, verlangte immer eine Sonderbehandlung. Wenn ich Alain auf dem Schoß hatte, traute sich kein anderes Kind in meine Nähe. Er nahm sich meinen Schlüsselbund und zog den anderen damit eins über.«6

Sechsmal fliegt Alain von der Schule. Immer wieder wird er zu seiner Mutter zurückgeschickt, immer wieder beschweren sich die Eltern anderer Schüler über den Schüler Delon, der sich nicht anpassen kann, der anders ist als die anderen. »Er stellte lauter unerhörten Unfug an«, so Mutter Édith. Er ist verhaltensauffällig, die Menschen kommen nicht mit ihm klar. Alain eckt immer und überall an. Er sei terrible gewesen als Junge, schrecklich, sagt Delon über sich selbst.

»Ich kam zu einer Pflegefamilie nach Fresnes. Mein Pflegevater war Gefängniswärter. Ich war dabei, als am 15. Oktober 1954 Pierre Laval erschossen wurde (Premierminister unter Pétain). Ja, wirklich dabei. Nicht in seiner Nähe, aber wir wussten alles. Es hieß: ›Sieht aus, als hätten sie ihn hingeschleppt, er konnte nicht mehr gehen, und dann haben sie ihn erschossen.‹ Dann kam ich zu meinem Stiefvater, der mich halb totschlug, und meine Mutter bekam eine Tochter und einen zweiten Sohn. Ich war ein Taugenichts.«7

Nach der Station bei der Familie Nérot, den Pflegeltern im nordfranzösischen Fresnes, an die Delon bis heute gute Erinnerungen hat, kommt Alain auf das Jesuiten-Internat Saint-Nicolas d’Igny. Es heißt, dass er neben den Jesuiten auch bei den Franziskanern von Saint-Nicolas und bei den Benediktinern von Saint-Gabriel de Bagneux gewesen sei. Nirgendwo bleibt er sehr lange. Alle beklagen seinen Mangel an Disziplin, etwas, was er früh schon regelrecht kultivieren wird. Mit zwölf empfängt Alain immerhin die heilige Kommunion.

Dieses Lebensgefühl, das einmal da ist, es geht nicht mehr weg, wird sich manifestieren und Delon fortan begleiten: Nirgendwo gehört er dazu, nirgendwo wird er angenommen. Er ist ein Unangenommener. Ein Ungeliebter, auch. Früh schon geht damit ein Gefühl der Entwurzelung einher, das sich, einem roten Faden gleich, durch Delons ganzes Leben ziehen soll. Dass daraus nur die Rebellion entstehen kann, das Rebellische in ihm ohnehin angelegt zu sein scheint, mag da nur die logische Konsequenz sein. Delon, der Rebell. Der Unbequeme. Der sich – ob damals, ob heute – von nichts und niemandem etwas sagen lässt.

Delon, le solitaire. Delon, le samouraï.

Er tut es seinem Stiefvater gleich und absolviert im Alter von vierzehn Jahren eine Lehre als Schlachter. Tote Tiere traktieren. Später wird Delon augenzwinkernd immer mal wieder zum Besten geben, er sei wohl der einzige Schauspieler, der von der Pike auf gelernt habe, eine pâté en croûte, eine Pastete im Teigmantel richtig zubereiten sowie Schinken und Salami korrekt schneiden zu können.

»Ich war ein Taugenichts, wurde Metzger, machte alles, was anfiel. Ich war ein Niemand. Auf das Metzgerdasein hatte ich nicht die geringste Lust. Mit sechzehn, siebzehn hatte ich die Nase voll. In der Zeitung sah ich Anzeigen für die Armee. Die war mein einziger Ausweg. Erst wollte ich Flieger werden, aber da musste man ein halbes oder sogar ganzes Jahr warten. Also entschied ich mich für die Marine, um praktisch sofort verschwinden zu können. Ich war einer der Jüngsten.«

Und der junge Alain erhält die Unterschrift seiner Eltern, die er benötigt, um zum Militär und in den Indochina-Krieg gehen zu können. Delon sagt dazu heute: »Als ich das meinem Vater mitteilte, fiel er mir um den Hals vor Glück. Ich dankte ihm, dachte ›Hoffentlich gibt er mir die Unterschrift.‹ Dann, nach etwas Überlegung, dachte ich: ›Moment mal! Wer würde seinem siebzehn Jahre alten Sohn erlauben, nach Indochina zu gehen?‹ Tja, so war das … Ich nahm ihnen das lange übel. Vor allem meinem Vater.«8

Im September 2018 gibt Alain Delon der großen französischen Tageszeitung Le Monde in seinen am Pariser Boulevard Haussmann gelegenen Büroräumen ein mehrstündiges Interview, das die Zeitung am 22. September veröffentlicht. Nur einen Tag vor Romy Schneiders Geburtstag. Zufall? Auf mehreren Druckseiten steht Delon Rede und Antwort und nimmt, wenige...

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