Russlands Weg - Als Botschafter in Moskau

Russlands Weg - Als Botschafter in Moskau

von: Rüdiger von Fritsch

Aufbau Verlag, 2020

ISBN: 9783841225894

Sprache: Deutsch

256 Seiten, Download: 1939 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

geeignet für: geeignet für alle DRM-fähigen eReader geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen


 

eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Russlands Weg - Als Botschafter in Moskau



Vorwort


Wozu Putins Zarenreich fähig ist


Dieses Buch, wohl eine der interessantesten Publikationen über das gegenwärtige Russland, besticht mit seiner eleganten, zurückhaltenden Erzählweise, die die Klugheit und literarische Fähigkeit des Autors reflektiert.

Die heutigen Botschafter schreiben selten Bücher, schon gar keine gescheiten. Entweder sie haben nichts zu sagen, oder es mangelt ihnen an schriftstellerischem Talent. Rüdiger von Fritsch ist da eine Ausnahme von der Regel. Der charmante und stets sehr sachlich argumentierende deutsche Botschafter, der erst kürzlich nach mehreren Dienstjahren Moskau verlassen hat, gesteht weder seine wahnsinnige Liebe zu meinem Land, wie das häufig bei Autoren der Fall ist, die über Russland schreiben, noch zeigt er sich furchtbar enttäuscht von seinen Erfahrungen als Diplomat in Moskau.

Ganz konkret schreibt er über seine Einsichten, zu denen er nach gründlichem Nachdenken gelangt ist. Seine Erkenntnisse setzte er bei seiner Arbeit ein und diskutierte mit vielen Menschen darüber. Als Botschafter Deutschlands vertrat er in Moskau nicht nur die politischen Interessen seines Landes, sondern auch europäische Werte, die über Jahrhunderte gewachsen sind und deren Eigenheiten vor allem im Vergleich zu anderen, in diesem Fall russischen Werten, besonders deutlich hervortreten. Der Autor schildert seine Erfahrungen aus drei verschiedenen Perspektiven. Als Botschafter. Als Literat. Als Europäer. Nein, Moment mal, es gibt noch eine vierte Perspektive. Die des Menschen, der das Russland der Kultur und der unabhängigen Meinungen schätzen und lieben gelernt hat. Ein solches Russland existiert glücklicherweise.

2014 kam Rüdiger von Fritsch als Botschafter nach Moskau, in einem für die russisch-europäischen Beziehungen höchst tragischen Jahr. Damals traten die verborgenen Absichten des Kremls, der von einem Wiederaufstieg zur Supermacht träumte, deutlich zutage. Im politischen Nebel zeichneten sich vage die Konturen der ehemaligen Sowjetunion – angeblich Opfer westlicher Verschwörung – als Zukunftsvision ab. Das Moskauer Polittheater präsentierte den Zuschauern rund um den Globus eine Überraschung: eine geschickte Spezialoperation zur Angliederung der Krim an Russland. Und anschließend befleckte es sich mit dem Blut eines ganz realen Krieges in Europa, im Südosten der Ukraine.

Das Buch bietet eine ausführliche und fundierte Analyse dieser Geschehnisse, der Gründe und Ziele, und geht auch darauf ein, wie sich die Situation weiterhin entwickelt, denn die Tragödie ist noch nicht zu Ende.

Das Wesentliche an dem Buch ist, dass es als politische Geschichte beginnt und übergeht in eine philosophische Reflexion der Unterschiede zwischen den russischen und westlichen Lebenseinstellungen. Dabei idealisiert der Autor den Westen durchaus nicht, obwohl er ganz und gar zu den westlichen Werten steht, und er dämonisiert auch nicht Russland, das sich unterdessen mehr und mehr in ein feudalistisches Lehnsgut seines unabsetzbaren Präsidenten verwandelt.

Der Autor sieht die russische Mentalität im Grunde als kognitive Dissonanz, als ein Aufeinanderprallen gegensätzlicher Tendenzen, als ein Bündel unvereinbarer Ideologien, historischer Verflechtungen und nicht zuletzt persönlicher Ambitionen des ersten Mannes im Staate. Im Buch wird eine amüsante Parallele zwischen den identischen Zielen des reaktionären Zaren Alexander III. und des jetzigen Präsidenten gezogen, der aus den bescheidenen Verhältnissen einer sowjetischen Leningrader Familie stammt, und der anlässlich der Einweihung eines Denkmals für den Zaren auf der Krim diesen unlängst in den höchsten Tönen lobte.

In der russischen Außenpolitik, so lesen wir, zeigen sich die Stimmungen der Ideologen, die davon träumen, wie man Europa schwächen und zugleich sein ökonomisches Potenzial nutzen kann. Irritiert ob der Festigkeit seiner Positionen, weisen russische Kollegen aus dem Außenministerium den Botschafter mal harsch zurecht (»Herr Botschafter, Sie sind hier nicht in Warschau!« – in Anspielung auf seine Arbeit als Botschafter in Polen), mal wird ihr Blick milder, und sie sind bereit, ihn während einer kurzzeitigen »Waffenruhe« des Kremls mit ihrem Wohlwollen einzuwickeln. Sogar Putin bringt beim letzten Vieraugengespräch gegenüber dem künftigen Autor dieses Buches seine persönliche Sympathie zum Ausdruck.

Ob er wohl mit von Fritschs Buch zufrieden sein wird? Ich weiß es nicht. Jedenfalls wird er vermutlich beeindruckt sein von der scharfen Beobachtungsgabe und dem Erinnerungsvermögen, mit dem von Fritsch die vor offiziöser Geschmacklosigkeit strotzenden Empfangssäle im Kreml beschreibt und die kurzen formalen Treffen ganz im Stil des »Kalten Krieges«, bei denen weder Tee noch Kaffee und nicht einmal Mineralwasser gereicht wird. Eine wunderbare Szene spielte sich in der palmenbestandenen Residenz des Präsidenten in Sotschi ab: Einer der deutschen Gäste schiebt die schweren Stores zur Seite und scherzt, er wolle nur überprüfen, ob das Meer denn noch da sei. Putin quittiert den Scherz mit einem huldvollen Lächeln. Er freut sich über das Lob für seine Deutschkenntnisse, seinen reichen Wortschatz und die Fähigkeit zur verbalen Improvisation. Bedenkt man, dass das Buch treffend den militärischen und politischen Konflikt zwischen dem Westen und Putins Russland beschreibt, muss man konstatieren, dass von Fritschs Aufrichtigkeit zweifellos künftigen Geschichtsbetrachtern unserer Zeit zugutekommen wird.

Natürlich wirft die Konfrontation zweier Zivilisationen, der westlichen und der russischen, wieder einmal die Frage auf, ob Russland geistig zu Europa gehört. Und es ist gut, dass der Autor darauf nicht voreilig die Antwort »ja« oder »nein« parat hat. Russland geht, wie schon der Titel des Buches verrät, seinen eigenen Weg, womit viele unserer großen Philosophen vom Beginn des 20. Jahrhunderts einverstanden wären. Heutige hochgestellte Gesprächspartner erzählten dem Autor von einem stolzen Russland, dem man keine Bedingungen für sein Verhalten auf der internationalen Bühne vorschreiben dürfe. Andererseits beansprucht dieses stolze Land für sich, anderen die Bedingungen von Krieg und Frieden zu diktieren. Der Kult der Stärke, der in Russland auf staatlicher und privater Ebene existiert, schockiert die Europäer in seiner finsteren Archaik. Im Grunde gehen die Probleme meines Landes zurück auf ein nationales Unterbewusstsein. Sie bestehen nicht nur darin, dass wir leicht zu kränken sind und uns Wunder was auf uns einbilden, sondern auch darin, dass wir uns – herrje! – für besser als alle anderen halten, besser als die Amerikaner, die Europäer, die Türken und die Chinesen, denn wir haben die richtigste aller Religionen, wir sind Rechtgläubige, wir sind die Spirituellsten und dabei die Fröhlichsten und Abgefahrensten, kurzum, etwas ganz anderes als die Einwohner dieses langweiligen Europas! Und unsere Machthaber können nicht begreifen, warum die ehemaligen Sowjetrepubliken es so eilig hatten, das Heil in der Europäischen Union zu suchen und nicht bei uns bleiben wollen, wo wir doch die Allerbesten sind! Auf der diplomatischen und politischen Ebene aber wird es so dargestellt, als seien die Ukrainer und die Belarussen unsere kleinen Brüder und liefen vor uns nur davon, weil sie der Westen verführt. Das ist die Falle des politischen Denkens im heutigen Russland, das aus dem Mund des Präsidenten und im Staatsfernsehen gebetsmühlenartig ein und dasselbe wiederholt: Der Westen will uns in Stücke reißen.

Doch es gibt auch tiefere Schichten dieses Denkens, über die der Autor schreibt. Sich offen zu den Besten zu erklären, funktioniert nicht, im Ausland versteht man das möglicherweise nicht. Aber man kann die Idee ausbauen, dass man die »Landsleute« im Ausland verteidigen muss, und das bedeutet, dass die Fürsorge für die russische Welt keine Grenzen kennt. Im Grunde ist das eine neue Version der Weltrevolution, nur dass sie nicht auf Klassenkampf und kommunistischen Idealen beruht, sondern auf national-religiöser Einmaligkeit, wobei das offene Gespräch darüber in Russland eher das Privileg orthodoxer Geistlicher ist. Politische Phantasmen geistern herum. In den Jahren 2014 bis 2015 drehten sie sich um die Idee, auf ukrainischem Territorium einen eigenen prorussischen Staat zu gründen, »Neurussland«, von Charkow bis Moldawien. Doch offenbar überschätzten die Geheimdienste, wie der Autor schreibt, den Wunsch der Einwohner dieser ukrainischen Gebiete, in so einem Staat zu leben, und die Utopie scheiterte. Jetzt ranken sich die utopischen Ideen um den Gedanken einer neuen Jalta-Konferenz, bei der die Großmächte Amerika, China, Russland, Frankreich und Großbritannien sich an einen Verhandlungstisch setzen und ihre Einflusssphären bestimmen. Die Welt präsentiert sich als riesige Torte, die bloß in die richtigen Stücke geteilt werden muss. Deutschland ist zu diesem Festmahl nicht geladen, und Polen gegenüber hegt der Kremlherr ein besonders feindseliges Gefühl, da dieses Land sich mehr als alle anderen allein schon dem theoretischen Gedanken an ein neues Jalta widersetzt.

Russland ist ein Land mit explosivem Bewusstsein. In ferner Vergangenheit musste es das Joch der tatarisch-mongolischen Eroberung erdulden und war faktisch eine Kolonie des orientalischen Khanats. Die Folgen dieses kolonialen Jochs spürten die Russen beinahe bis zur Zeit Peters des Großen und errichteten ihre politische Struktur nach dem Muster einer orientalischen Despotie. Ungeachtet der Atempause einer Europäisierung vom 18. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, geißelte uns erneut eine grausame Diktatur in Gestalt der...

Kategorien

Service

Info/Kontakt