Man muss sein Herz an etwas hängen, das es verlohnt - Die Geschichte des Aufbau Verlages 1945 - 2020

Man muss sein Herz an etwas hängen, das es verlohnt - Die Geschichte des Aufbau Verlages 1945 - 2020

von: Konstantin Ulmer

Aufbau Verlag, 2020

ISBN: 9783841225795

Sprache: Deutsch

384 Seiten, Download: 33622 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Man muss sein Herz an etwas hängen, das es verlohnt - Die Geschichte des Aufbau Verlages 1945 - 2020



Entstanden in Ruinen:
Die Gründung des Aufbau-Verlags


Am Anfang waren Trümmer. Im Sommer 1945 lag Berlin in Schutt und Asche. An den Häuserwänden, die stehengeblieben waren, warnten Aushänge vor der Ruhr, die Luft war voller Schmeißfliegen, zwischen den Ruinen tummelten sich Ratten. Ähnlich wüst wie auf den Straßen sah es nach zwölf Jahren Naziherrschaft und sechs Jahren Weltkrieg, nach Blitzangriffen und Flächenbombardements, nach Holocaust und Porajmos in den Köpfen der Besiegten und der wenigen, die sich befreit fühlten, aus. Die Hinterlassenschaft des Naziregimes, das am 8. Mai, gut eine Woche nach dem Selbstmord Hitlers, kapituliert hatte, war gewaltig.

Im noblen Ortsteil Dahlem war die Verwüstung nicht ganz so massiv. Dort, im Südwesten der Stadt, trafen sich am 16. August 1945 Klaus Gysi, Kurt Wilhelm, Heinz Willmann und Otto Schiele in der Wohnung des Letzteren. Die vier Herren kamen zusammen, um in Anwesenheit eines Notars eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) zu gründen, deren Name als Programm zu lesen war, als Aufruf und Hoffnung: Aufbau. Gegenstand des Unternehmens mit einem Stammkapital von 20 000 Reichsmark, so hieß es im Gesellschaftsvertrag, »ist der Betrieb eines Buch- und Zeitschriftenverlags«. Bereits zwei Tage später erhielt Aufbau den Segen der Sowjetischen Militäradministration (SMAD), die dem Unternehmen zunächst eine Arbeitsverfügung erteilte. Die offizielle Lizenz folgte am 28. November. Dass die Gründungsurkunde unversiegelt blieb, ist eine Fußnote der Geschichte: Das alte Siegel, ein Reichsadler mit Hakenkreuz, hatte ausgedient. Ein neues existierte noch nicht.

Die vier Gründungsgesellschafter waren nicht aus alter Verbundenheit, sondern als Interessengemeinschaft zusammengekommen. Klaus Gysi, Jahrgang 1912, stammte aus einer deutsch-jüdischen Familie, war mit dem Abitur in die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) eingetreten und hatte sich schnell als Jugendfunktionär einen Namen gemacht. Nachdem er 1935 von der Universität verwiesen worden war, war er über England nach Frankreich emigriert. Im Juni 1940, als die Wehrmacht nach dem siegreichen Westfeldzug über die Champs-Élysées marschierte, hatte er ein Himmelfahrtskommando angetreten: Gysi war auf Parteibeschluss nach Deutschland zurückgekehrt, in seine Geburtsstadt Berlin, wo er bis zum Kriegsende gemeinsam mit seiner Frau Irene in der Illegalität gelebt hatte.

Offizielle Lizenzurkunde vom 28. November 1945

Auch Heinz Willmann, geboren 1906 in der Nähe von Frankfurt am Main, hatte sich als kommunistischer Funktionär einen Namen gemacht. Zunächst hatte er sich in verschiedenen Funktionen bei der populären Arbeiter-Illustrierten-Zeitung (AIZ) Meriten erworben, sowohl vor als auch nach seiner siebenmonatigen »Schutzhaft« im KZ Fuhlsbüttel 1933. Im Mai 1935 war Willmann in die UdSSR emigriert, wo er bis zu seiner Rückkehr nach Deutschland im Juni 1945 die Redaktion der Internationalen Literatur geleitet hatte, einer Zeitschrift, die exilierten Autorinnen und Autoren eine Veröffentlichungsplattform bot. Während Gysi, ein Westemigrant, weltgewandt und kultiviert auftrat, stand der Ostemigrant Willmann für die derbe, proletarische Note im Gründungsquartett.

Als Geschäftsführer ihrer Verlagsneugründung traten die beiden verdienten Vorzeigekommunisten aber nicht in Erscheinung. Diese Aufgabe übernahmen ihre Mitstreiter Kurt Wilhelm und Otto Schiele, ersterer als Verlagsleiter, letzterer verantwortlich für den kaufmännisch-technischen Bereich. Beide waren bis kurz vor Kriegsende in der Otto Elsner Verlagsgesellschaft beschäftigt gewesen, in der zwar keine explizit politische Literatur erschienen war, die aber mit Regelwerken zum Barackenbau oder einer Schriftenreihe des Reichsausschusses für Leistungssteigerung während der Hitlerherrschaft gute Geschäfte gemacht hatte. Um die Persilscheine, die als »Entnazifizierungsurkunden« für die Geschäftseröffnung notwendig waren, hatten sich beide indessen erfolgreich gekümmert. Und sie brachten den Laden schnell zum Laufen. Während Wilhelm sich in der Trümmerwüste wie kein Zweiter zurechtzufinden schien und in jedem Papierlager, das nicht in Flammen aufgegangen war, einen Fuß in der Tür hatte, erwies sich Schiele als findig bei der Beschaffung der notwendigen Kredite. Zusammen mit Gysi und Willmann bildeten sie ein Gründungsteam, das Großes versprach: Gemeinsam verfügten sie über die politische Anerkennung, über gute Kontakte zur sowjetischen Besatzungsmacht, über die notwendige Erfahrung im verlegerischen Bereich und über Insiderkenntnisse bezüglich der arg beschränkten Produktionsmöglichkeiten.

Bis der neu gegründete Verlag das Tagesgeschäft aufnehmen konnte, mussten allerdings noch einige Steine aus dem Weg geräumt werden. So dauerte es bis Mitte September 1945, ehe Aufbau ein Zuhause in der zerbombten Stadt fand und fortan in der Französischen Straße 32 in Berlin-Mitte firmierte. Die Adresse hatte Symbolcharakter. Nachdem die Straße im 19. Jahrhundert als Kulturmeile gegolten hatte, hatten im 20. Jahrhundert die Banken den Kiez erobert. In die Geschichte war das Haus dann während der Berliner Märzkämpfe 1919 eingegangen: Als eine Einheit der Volksmarinedivision dort ihren Sold hatte abholen wollen, waren 29 der roten Soldaten auf dem Hof des Gebäudes von Freikorpsleuten erschossen worden. Für die Banken, die am NS-Regime gut verdient hatten, sollte an diesem historischen Ort des Klassenkampfes fortan kein Platz mehr sein. Der Mietvertrag, an die Entwicklung des Brotpreises gekoppelt, musste dennoch zunächst mit den alten Eigentümern der Privatbank Delbrück, Schickler & Co geschlossen werden, die kurze Zeit später nach West-Berlin gingen. Im Oktober 1949 wurde das Gebäude in Volkseigentum überführt und 1955 schließlich dem Verlag übergeben.

Das Haus in der Französischen Straße hatte neben der eindrucksvollen Geschichte auch eine eindrucksvolle Substanz, war aber im Krieg nicht unversehrt geblieben. Das schnell gewachsene Aufbau-Team musste erst einmal den Schutt aus den vierzehn angemieteten Zimmern und der ehemaligen Kassenhalle räumen und das Wasser aus dem Keller schöpfen, damit der Verlagssitz als Arbeitsplatz taugte. Parallel machte es sich an ein fulminantes Auftaktprogramm. Ein Buch, das zum ersten Bestseller der Nachkriegszeit avancierte, ragte dabei heraus: Theodor Plieviers Stalingrad. Dass der Roman bereits am 13. August, also fünf Tage vor der provisorischen Vorab-Lizenzierung des Verlags, die notwendige Genehmigung der sowjetischen Zensur erhalten hatte, lässt erahnen, wie gründlich die Verlagsgründung vorbereitet worden war.

Plievier war 1892 in einer Berliner Arbeiterfamilie geboren und nach einer abenteuerlichen Vagabundenjugend Mitte der 1920er Jahre zu einem viel gelesenen Schriftsteller geworden. Nach Hitlers Machtübernahme war er über verschiedene Zwischenstationen in die Sowjetunion (SU) emigriert. Die beispiellose Schlacht um Stalingrad war für die Rote Armee der Anlass, ihm, der in der UdSSR literaturpolitisch keinen leichten Stand hatte, ein besonderes Privileg einzuräumen: Plievier konnte Begegnungen mit deutschen Kriegsgefangenen festhalten und Dokumente sammeln, die später als Stoff für seinen Roman dienen sollten. Stalingrad galt dem Jubelchor von Alfred Andersch über Johannes R. Becher bis hin zu Wolfgang Borchert dementsprechend als »Tatsachen-Epos« (Walter Först), das Aufklärung über die deutsche Vergangenheit bot – und diese Vergangenheit schilderte Plievier in einer unverhüllten Drastik. Der »Gestank verkohlender Knochen und schmorenden Menschenfleisches« wurde beschrieben, abgerissene Gesichter und auslaufende Augäpfel. Trotzdem war das Buch für viele Leser Seelenbalsam, weil es der Generalschuldthese widersprach, nach der jeder einzelne hitlerhörige Deutsche mitverantwortlich für die Katastrophe war. Die Wehrmacht erschien in Plieviers Roman als eine Armee der Verführten, die auf das Gerassel einer Rattenfängerbande reingefallen war. Nach dieser Lesart war die Apokalypse für die Soldaten eher Opfergang als Schandtat. Und das bedeutete auch: Sie konnten an der Auferstehung teilnehmen.

Bestseller trotz Papiermangel: Plieviers Stalingrad wurde 1945/46 in acht Auflagen mit ca. 150 000 Exemplaren gedruckt

Das Gesamtpaket von Stalingrad – das Thema, die Deutung, der dokufiktionale Stil – passte ideal ins Gründungsprogramm des Aufbau-Verlags, der in etwas mehr als einem Jahr acht Auflagen mit ca. 150 000 Exemplaren drucken ließ. Auch jenseits der Zonengrenze wurde der Roman populär: Nachdem bereits 1946 eine Aufbau-Lizenz an den kommunistischen Globus-Verlag in den sowjetischen Sektor Wiens gegangen war, erwarb der Rowohlt-Verlag die Rechte für die amerikanische und britische Besatzungszone und ließ den Text als Rotationsroman im Zeitungsformat mit einer Auflage von 100 000 durch die Druckpressen rollen. Der »Hunger nach dem guten Buch«, so wehrte sich Rowohlt gegen die umgehend aufkommende Qualitätskritik der westdeutschen Presse, die im großformatigen Rotationsdruck ein Sakrileg sah, sei momentan »auf traditionellem Wege nicht zu stillen«. Übrigens war auch Wilhelm für die Ausstattung der Erstauflage, die mangels anderer freier und funktionstüchtiger Maschinen in der Druckerei des SMAD-Organs Tägliche Rundschau im Rotationsdruck – allerdings im Buchformat – entstanden war, gerügt worden. »So lange im graphischen Gewerbe keine wesentliche Besserung der Verhältnisse eintritt«, hatte er sich gegenüber seinem Autor Willi...

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