Weggesperrt - Warum Gefängnisse niemandem nützen

Weggesperrt - Warum Gefängnisse niemandem nützen

von: Thomas Galli

edition Körber-Stiftung, 2020

ISBN: 9783896845689

Sprache: Deutsch

312 Seiten, Download: 1438 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Weggesperrt - Warum Gefängnisse niemandem nützen



Mein Weg ins Gefängnis und wieder heraus

Als mich die Reporterin von stern TV vor den Toren meiner Anstalt fragte, was ich denn mit den knapp 400 Gefangenen machen würde, wenn es nach mir ginge, antwortete ich: Ich würde alle freilassen. Als Journalistin freute sie sich über diese »steile These«, als Mensch hatte sie große Zweifel. Wie könnte man Derartiges verantworten? Was ist mit der Sicherheit der Allgemeinheit? Wäre das nicht ein Schlag ins Gesicht aller Kriminalitätsopfer?

Meine Tätigkeit im Strafvollzug hatte 2001 eher als Notlösung begonnen. Ich war nach Abschluss meines Jurastudiums beruflich unschlüssig und entschied mich nach kurzer Zeit als Anwalt für den Staatsdienst. Ein sicheres und gutes Gehalt und eine überschaubare Arbeitsbelastung waren meine Motivationen für die Bewerbung bei der Justiz. Auch die Aufstiegsmöglichkeiten waren gut. Bei meiner Einstellung sagte man mir, dass ich die Beförderung zum Regierungsdirektor nur durch Suizid verhindern könne.

Ich war nie zuvor in einer Justizvollzugsanstalt gewesen und wusste nicht, dass dort überhaupt Juristen tätig waren. Über den Strafvollzug hatte ich mir keine großen Gedanken gemacht. Das strafrechtliche Studium bestand vor allem in der Einübung mathematischer Regeln. Wenn A so handelt, ergibt das den Straftatbestand B, der dann zur Rechtsfolge C von X Monaten oder Jahren Haft führt. Ich dachte, wie wohl die Mehrheit der Menschen: Gefängnisse braucht es nun einmal. So fing alles an. Ein tieferes Interesse, eine Leidenschaft für die Frage, wie man am sinnvollsten mit Kriminalität und Straffälligen umgeht, habe ich erst im Laufe der Jahre entwickelt.

Meine erste Stelle war die eines Abteilungsleiters in der bayerischen Justizvollzugsanstalt Amberg. Dort war ich zuständig für etwa 200 Inhaftierte des sogenannten Hauptbaus, in dem die Gefangenen vor allem in 8-Mann-Hafträumen untergebracht waren. Der Dienstag und Donnerstag jeder Woche waren für Disziplinarverfahren reserviert. Ein Großteil der Gefangenen hatte ein Drogenproblem und die Anstalt war ein riesiger Umschlagplatz für Rauschmittel. Die Insassen konsumierten fleißig vor allem Cannabis und Heroin und wir disziplinierten sie dafür. Für Heroin gab es Arrest. Das bedeutete bis zu vier Wochen Isolation in einem winzigen Raum, in dem sich nur ein Bett und eine Bibel befanden. Wer das überstanden hatte, musste sich erst einmal wieder einen Schuss setzen oder einen Joint rauchen.

Im Nachhinein betrachtet habe ich vor allem durch diese Disziplinarverfahren Schuld auf mich geladen. Der Arrest ist eine archaische und nicht zu rechtfertigende Behandlung von Menschen, insbesondere von Suchtkranken, die es eben gerade nicht in der Hand haben, ob sie Drogen konsumieren oder nicht. Dass der Mensch so nicht zu einem besseren wird, war für mich früh zu spüren. Auch nicht, wenn man ihn mit sieben anderen Straftätern und Drogenkonsumenten zusammen in einen Haftraum sperrt, den er nur verlassen darf, um mit den gleichen Menschen für einen Lohn von 13 Euro am Tag zu arbeiten oder Runden im Hof zu drehen. Je länger ich in Amberg tätig war, desto mehr Gefangene sah ich, die immer wieder eingeliefert wurden, weil sie kurz nach ihrer Entlassung erneut straffällig geworden waren. Es dauerte allerdings noch viele Jahre, bis ich dieses Gefühl, dass vieles »faul« ist im Strafvollzug, ernst nahm. Bis ich es in Worte fassen konnte und es zu einer Überzeugung wurde. Denn schließlich war das ja der Staat, der hier handelte, und diesen zu hinterfragen kostet viel mehr Kraft und Zeit, als ihm zu folgen.

»Resozialisierung« war eine Art Zauberwort, um uns Mitarbeitern und der Allgemeinheit das Gefängnis schmackhaft zu machen. Ich vergleiche das gern mit der Art, wie zum Beispiel der Hersteller eines Riegels, der angeblich viel Milch enthält, aber vor allem aus einer Menge schädlichem Zucker und Fett besteht, dessen Förderlichkeit für die Gesundheit betont.

Tatsächlich gelebt wird der Resozialisierungsgedanke, dem eine dauerhafte Reduzierung des kriminellen Verhaltens der inhaftierten Straftäter zugrunde liegt, in deutschen Gefängnissen jedenfalls nicht. Er kann dort gar keinen Erfolg haben. Das Gefängnis und die dort Arbeitenden werden auch gar nicht daran gemessen, ob sie kriminelles Verhalten der Insassen auf Dauer reduzieren. Von den allermeisten Inhaftierten weiß man überhaupt nicht, was nach der Haft aus ihnen wird. Wenn man wissen will, ob eine Strafhaft für die Resozialisierung eines Verurteilten erfolgreich war, müsste man aber versuchen, das in Erfahrung zu bringen. Man will das aber nicht so genau wissen, da die vergleichsweise wenigen Daten, die es über Rückfälle entlassener Straftäter gibt, alles andere als vielversprechend sind. Faktisch wird das Gefängnis fast ausschließlich an der Sicherheit gemessen, die es der Bevölkerung verspricht, und sei diese Sicherheit noch so trügerisch. Solange jemand in Haft ist, darf kein Fehler passieren. Insbesondere kein Ausbruch. In den ersten Jahren meiner Anstellung in der JVA Amberg ist ein Inhaftierter ausgebrochen, indem er in nächtelanger Arbeit die Gitterstäbe seines Haftraumes durchgesägt hatte. Dieser grenzte an die Außenmauer des Gefängnisses, so dass er sich von dort in die Freiheit abseilen konnte. Ein Skandal, der die Anstalt unter enormen Druck setzte – obwohl der Gefangene in absehbarer Zeit ohnehin entlassen worden wäre und ohne schützende Mauern wieder unter uns leben sollte. Das Fenster dieses Raumes wurde zugemauert, so dass dort niemand mehr untergebracht werden konnte.

Um nicht missverstanden zu werden: Die Arbeit, die in den Gefängnissen geleistet wird, ist in allen Bereichen sehr anspruchsvoll und die absolut überwiegende Mehrheit der dort Beschäftigten ist engagiert und kompetent. Aber was hilft es uns allen, wenn ein Straffälliger in Haft durch große Bemühungen der Beamten zum Beispiel einen Schul- oder Ausbildungsabschluss nachholt und nach seiner Entlassung als ehemaliger Gefangener doch keine Chance auf dem Arbeitsmarkt hat? Was bringt es, wenn jemand, der immer wieder die Kontrolle über seine Aggressionen verliert und seine Partnerinnen schlägt, in Haft nicht weiter auffällig ist, weil er gar keine Möglichkeit hat, dort überhaupt eine Partnerschaft zu führen? Was hilft die Haft den Geschädigten von Vermögensstraftätern, die ihren Schaden nie ersetzt bekommen, weil Gefangene kaum etwas verdienen? Was hilft es den Opfern, wenn die Täter ihrer Verantwortung für die Taten allein dadurch gerecht werden, dass sie ihre Zeit im Gefängnis absitzen? Was hilft es der Allgemeinheit, wenn sich jemand – jeder Autonomie beraubt, aber auch jeder Verantwortung für das eigene Leben enthoben – einige Monate oder Jahre in Haft angepasst verhält und anschließend mit den Realitäten des Lebens in Freiheit völlig überfordert ist? Denn entlassen werden irgendwann fast alle Inhaftierten.

Es geht also nicht darum, die Menschen zu kritisieren, die im Strafvollzug arbeiten, oder die Arbeit, die sie dort leisten. Es geht darum, die Strukturen und die Rahmenbedingungen des Strafvollzugs zu hinterfragen, damit die Arbeit der Justizbediensteten möglichst erfolgreich sein kann.

Trügerische Sicherheit

Mit dem, was ich als schädliche Symbolwirkung des Gefängnisses bezeichnen würde, wurde ich während meiner siebenjährigen Tätigkeit als Abteilungsleiter in der Justizvollzugsanstalt Straubing konfrontiert – der Anstalt in Bayern mit der höchsten Sicherheitsstufe. Ein paar Hundert zu lebenslanger Freiheitsstrafe oder Sicherungsverwahrung verurteilte Männer sind dort inhaftiert. Unter ihnen sind Menschen, die wahrscheinlich immer wieder andere töten, vergewaltigen oder quälen würden und die ich auf keinen Fall in Freiheit sehen wollte. Aber ist es damit getan, sie einzusperren und die Allgemeinheit vor ihnen zu schützen? Dass es mindestens ebenso wichtig wäre, dafür Sorge zu tragen, dass in 20 Jahren nicht wieder jemand diese furchtbaren Dinge tut, ist vielen nicht bewusst. Jemand, der jetzt noch ein Kind ist. Im Zweifel übrigens ein Kind, dessen Bedürfnisse und Würde von klein auf missachtet und verletzt wurden, was nicht selten eine der Ursachen für Gewalttaten darstellt. Alle Welt ist schockiert und empört, wenn zum Beispiel ein Kind sexuell missbraucht und getötet wird. Dagegen muss etwas getan werden! Aber was wird wirklich getan? Der Täter kommt in Haft, wird dort über Jahrzehnte mit einem Aufwand von vielen Millionen verwahrt und therapiert und irgendwann entlassen, wenn er so alt ist, dass er kaum noch selbstständig gehen kann. Bei Weitem nicht jeder, der selbst in der Kindheit und Jugend Gewalt und Unrecht erlitten hat, wird irgendwann zum Straftäter. Aber bei fast allen Straffälligen ist in ihrer Biografie vieles schiefgelaufen. Das kann sie nicht entschuldigen, sollte den Staat aber zwingen, darüber nachzudenken, ob es nicht in vielen Fällen sinnvoller wäre, früher helfend zu intervenieren, als später nur zu strafen – mit einer höchst zweifelhaften Aussicht auf Erfolg.

Zwar sind schwere Übergriffe auf das Personal der Justizvollzugsanstalten zum Glück nicht an der Tagesordnung, wie etwa die furchtbare Geiselnahme und Vergewaltigung der Leiterin der sozialtherapeutischen Abteilung der JVA Straubing durch einen Inhaftierten, der eigentlich als erfolgreicher Teilnehmer der Therapie galt. Aber sie werfen in dramatischer Weise die Frage nach der Sinnhaftigkeit von vielem auf, was hinter den Gefängnismauern geschieht. Auch die Gewalt der Inhaftierten untereinander, wie etwa die Messerstecherei in der JVA Straubing in Kreisen der Russenmafia, die zu einem Toten und mehreren Schwerverletzten geführt hat,...

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