Der starke Sozialstaat - Weniger ist mehr

Der starke Sozialstaat - Weniger ist mehr

von: Ronnie Schöb

Campus Verlag, 2020

ISBN: 9783593445205

Sprache: Deutsch

288 Seiten, Download: 4500 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Der starke Sozialstaat - Weniger ist mehr



Kapitel 1
Was einen modernen Sozialstaat ausmacht


SOLIDARITÄT, FÜRSORGE, EIGENVERANTWORTUNG

Wir leben in einem reichen Land. Viele Menschen besitzen aber weder Vermögen noch hinreichende Möglichkeiten, mit ihrer Arbeit ausreichend Geld zu verdienen. Sie sind auf Hilfe angewiesen.

Bis ins späte Mittelalter ging man davon aus, dass Armut selbst verschuldet sei. Armenhilfe war daher meistens verbunden mit repressiven Disziplinierungsmaßnahmen. Menschen, die unverschuldet in Not gerieten, wurden ebenso wie Bettler bis ins 18. Jahrhundert hinein in Arbeitshäuser eingewiesen, in denen die Beschäftigung geregelt und kontrolliert werden konnte. Wer die Einweisung ablehnte, verlor jeden Anspruch auf Unterstützung.1

EINE ALTE IDEE: SOLIDARITÄT STATT ALMOSEN


Die Zeiten haben sich geändert. Wer heute alles verliert und in Not gerät, wird durch den Sozialstaat aufgefangen. Moderne demokratische Gesellschaften sehen den Staat in der Pflicht, seinen »unglücklichen Bürgern« zu helfen.

Dieser Sozialstaatsgedanke findet sich bereits 1793, nur wenige Jahre nach der Französischen Revolution, in der ersten Verfassung der Französischen Republik, die ich in der Einleitung bereits zitiert habe:

»Die Gesellschaft schuldet ihren unglücklichen Bürgern den Unterhalt, sei es, dass sie ihnen Arbeit verschafft, sei es, dass sie denen, welche zu arbeiten außerstande sind, die Existenzmittel gewährt.«

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland bekennt sich ebenfalls, wenngleich allgemeiner formuliert, zum Sozialstaatsprinzip: »Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.«2

Beide Verfassungen haben die gleiche Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit und einem daraus abgeleiteten Ausgleich zwischen Arm und Reich. Die französische Verfassung von 1793 sah in der Gesellschaft eine Solidargemeinschaft aller Bürger, die ihre »glücklichen« Mitglieder dazu verpflichtet, den »unglücklichen« zu helfen. Nach Schuld wird nicht gefragt. Dafür wird bestimmt, wie geholfen werden soll. Möglichkeiten zur Selbsthilfe müssen geschaffen werden für die, die arbeiten können. Zuvorderst wird damit die Eigenverantwortlichkeit eingefordert. Denen, die nicht arbeiten können, soll aber das Existenzminimum zugesichert werden. Daraus leitet sich die Fürsorgepflicht der Gemeinschaft ab.

Diese Vorstellung von einem Sozialstaat ist heute so modern wie vor über 200 Jahren. Sie sieht im Sozialstaat eine Art Versicherung, die von allen Versicherten einen Beitrag einfordert, um diejenigen, die Schaden erleiden, zu unterstützen. Die eigentliche Aufgabe des Sozialstaates geht weit darüber hinaus, nur den Unglücklichen zu helfen. Was ihn eigentlich ausmacht, ist, dass er allen Bürgern hilft, indem er ihnen Sicherheit verspricht, das beruhigende Gefühl, in der größten Not nicht im Stich gelassen zu werden. Je mehr sich die Bürger auf dieses Versprechen verlassen können, desto stärker ist der Sozialstaat. Leider ist diese bedeutsamste Aufgabe des Sozialstaates in Vergessenheit geraten. Es ist jedoch wichtig, dass wir uns darauf wieder besinnen.

Der Staat schützt uns auf vielfältige Weise. Er reguliert und kontrolliert viele Lebensbereiche, sodass wir uns um viele Dinge des Alltagslebens keine Sorgen machen müssen. Er schreibt vor, was in unsere Lebensmittel hineindarf, und gibt uns damit Sicherheit beim täglichen Einkauf. Mit den Kündigungsschutzregelungen stellt der Staat sicher, dass wir nicht von einem Tag auf den anderen unsere Arbeit und damit unsere Existenzgrundlage verlieren, und er mischt sich ein, wenn es um den Schutz am Arbeitsplatz geht. Die Liste an regulierenden Eingriffen ließe sich noch beliebig lange fortsetzen.

Sicherheit schafft der Staat auch durch die gesetzlichen Sozialversicherungen. Sie schützen uns heute vor den finanziellen Folgen von Krankheit, Berufsunfällen und Arbeitslosigkeit und helfen uns bei der Altersvorsorge. Und wenn all das nicht ausreicht, unterstützt er uns mittels seines Steuer- und Transfersystems, das Einkommen von Besserverdienern zu Geringverdienern umverteilt. Er tut dies, weil er davon ausgeht, dass Erfolg nicht nur mit Leistung, sondern auch viel mit Glück zu tun hat.3 Staatliche Umverteilung wirkt dann wie eine Versicherung zwischen den »Glücklichen« und den »Unglücklichen«, die uns gegen unsere Karriere- und Lebensrisiken, die sich ansonsten nicht versichern lassen, absichert. Dessen sollten wir uns bewusst sein!

Die Grundsicherung ist dabei eine Art Basisversicherung für alle Bürger. Sie ist das unterste soziale Auffangnetz, das uns immer auffängt, wenn alle anderen Stricke reißen. Sie verhindert, dass wir unsere Existenzgrundlage verlieren. Wir dürfen sie aber nicht als Almosen des Staates oder der Gesellschaft gegenüber den Bedürftigen interpretieren. Wir sollten sie als solidarische Grundsicherung verstehen, die wie eine Versicherung auf Gegenseitigkeit klar definierte Rechte und Pflichten ihrer Mitglieder festlegt, sodass alle von dem gegenseitigen Schutz vor Armut profitieren können. Genau dies hat der moderne, der starke Sozialstaat zu leisten.

WIR ALLE HABEN DAS BEDÜRFNIS NACH SICHERHEIT


Unsicherheiten durchziehen unser Leben. Vieles können wir selbst tun, um diese Unsicherheiten zu reduzieren. Auf Rauchen zu verzichten, Sport zu treiben und sich ausgewogen zu ernähren erhöht die Chance, gesund zu bleiben, und verlängert die Lebenserwartung. Eine gute Ausbildung steigert unsere Chancen auf einen gut bezahlten Arbeitsplatz und minimiert das Risiko, arbeitslos zu werden oder für längere Zeit arbeitslos zu bleiben. Sparen hilft uns, für unerwartete Notfälle und das Alter besser gewappnet zu sein. Andere Risiken nimmt uns der Staat ab. So überprüft und überwacht er die Hygiene- und Gesundheitsvorschriften in Restaurants und Cafés – und dies nicht erst, seit uns das durch die Beschränkungen infolge der Corona-Pandemie nur allzu deutlich bewusst geworden ist. Noch bedeutsamer: Ärzte brauchen ein Staatsexamen, um praktizieren zu können. Das nimmt uns die Angst, in die Hände eines Kurpfuschers zu fallen. Ähnliches gilt für Physiotherapeuten oder Pflegepersonal. Sie dürfen nur praktizieren, wenn sie entsprechende Qualifikationen nachweisen können. All das bewahrt uns vor vielfältigen Risiken. Trotzdem bleiben noch genügend Risiken, die sich nicht vermeiden lassen, vor denen wir uns aber trotzdem gerne schützen möchten.

Das beginnt schon im Kleinen: Wir freuen uns auf den Urlaub und buchen frühzeitig, um einen günstigen Flug zu ergattern und ein ruhiges Zimmer mit Meerblick zu reservieren. Aber wie sieht es aus, wenn wir kurz vor dem Urlaub krank werden? Bekommen wir dann die Reisekosten erstattet? Welche Kosten kommen auf uns zu, wenn wir im Urlaub krank werden, unser Gepäck unterwegs verloren geht oder unsere Papiere gestohlen werden? Wir können uns so vieles ausmalen, was schiefgehen könnte. Wir können das Risiko selber tragen oder eine Versicherung abschließen. Viele Urlauber gehen lieber auf Nummer sicher und schließen eine umfassende Reiseversicherung ab. Sie reisen so mit einer Sorge weniger im Gepäck.

VERSICHERUNGEN DECKEN VIELFÄLTIGE LEBENSRISIKEN AB UND SCHAFFEN SICHERHEIT


Die Risiken sind aber weiterhin da, die Folgen werden nur auf viele Schultern verteilt. Versicherer können recht genau die im Durchschnitt zu erwartende Schadenssumme, das heißt das Schadensrisiko eines Versicherten abschätzen.4 Der Wettbewerb unter den verschiedenen Versicherungsunternehmen sorgt dann dafür, dass sie keine überzogenen Versicherungsprämien verlangen, sondern nur solche, die sich an der zu erwartenden Schadenssumme orientieren. Wenn jeder zehnte Koffer verloren geht, muss die Versicherung nur jedem zehnten Versicherten einen Schaden ersetzen. Als Versicherungskunde muss ich daher kaum mehr als ein Zehntel des Wertes als Prämie zahlen und habe im Schadensfall dann keinen weiteren Verlust. Man zahlt also einen kleinen Preis für die Sicherheit, nicht auf einem großen Schaden sitzenzubleiben.

Was für die kleinen Risiken gilt, gilt umso mehr für die größeren. Wenn Sie ein Haus ...

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