Notre-Dame - Geschichte einer Kathedrale

Notre-Dame - Geschichte einer Kathedrale

von: Thomas W. Gaehtgens

Verlag C.H.Beck, 2020

ISBN: 9783406750496

Sprache: Deutsch

130 Seiten, Download: 5468 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Notre-Dame - Geschichte einer Kathedrale



II. Die Kathedrale der Könige


Eine Hochzeit mit dramatischen Folgen


Notre-Dame wurde in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Schauplatz eines folgenreichen und bis heute unvergessenen Ereignisses der französischen Geschichte. Am 18. August 1572 fand vor und in der Kathedrale eine ungewöhnliche, höchst umstrittene Hochzeit statt. Heinrich, König von Navarra, heiratete Marguerite de Valois. In den schwierigen Verhandlungen über die Eheschließung spielten die beiden königlichen Witwen, die katholische Katharina von Medici, Mutter von Marguerite de Valois, und die calvinistische Jeanne d’Albret, Königin von Navarra und Mutter von Heinrich, die entscheidenden Rollen. Die Verhandlungen waren der streng kontroversen religiösen Überzeugungen wegen, vor allem von Jeannes Seite, höchst schwierig und von großem Misstrauen auf beiden Seiten begleitet. Katharina erhoffte allerdings, mit der Ehe als letzter und einziger Möglichkeit die sonst unlösbare Konfrontation der Glaubensrichtungen zu überwinden. Der Einigung der beiden Witwen standen außenpolitische Widerstände ebenso wie die ablehnende Haltung des Papstes im Wege. Vielleicht hat der junge König Karl IX. unter dem Einfluss des Hugenottenführers Admiral Gaspard II de Coligny den schwierigen Verhandlungen zum Durchbruch verholfen.

Das Paar wurde nicht vom Bischof von Notre-Dame, Pierre de Gondi, getraut. Als Vertrauter des Papstes stand er vermutlich diesem Unternehmen kritisch gegenüber. Auf Wunsch von Jeanne d’Albret schloss Kardinal Charles de Bourbon, der sowohl mit den Valois als auch mit den Navarra verwandt war, die Ehe. Der Kardinal bekleidete als Erzbischof von Beauvais gleichzeitig das Amt des Gouverneurs von Paris und der Île-de-France und gehörte zu den Beratern Karls IX. Auf seinen Rat hin bestimmte Karl IX. Notre-Dame als Ort der Hochzeit, weil dort traditionell die Königstöchter heirateten. Hiermit war allerdings für die protestantische Seite ein großes Risiko verbunden, da die Bevölkerung von Paris wenig Sympathie für die Hugenotten zeigte. Auch das gegen sie eingestellte Parlament lehnte eine Teilnahme an der Feierlichkeit ab, zumal für die Eheschließung keine Erlaubnis durch den Papst vorlag. Heinrich reiste daher, der großen Gefahr wegen, erst kurz vor der Hochzeit mit seinem Gefolge an, nach persönlicher Einladung des Königs und der Zusicherung seiner Sicherheit.

Der Ablauf der Hochzeit war bis in die kleinsten Details geplant worden. Jeanne d’Albret, die nur wenige Wochen vor der Hochzeit verstarb, und Heinrich, als Anführer der Hugenotten, widersetzten sich mit Nachdruck einer Konvertierung zum katholischen Glauben, die Katharina von Medici noch bis kurz vor dem Ereignis erhofft hatte.

Wegen der unterschiedlichen Konfessionen lief das Zeremoniell sehr unkonventionell ab: Marguerite verbrachte die Nacht vor der Hochzeit im bischöflichen Palast auf der Südseite von Notre-Dame. Am 18. August traf sie sich mit Heinrich vor der Westfassade der Kathedrale, wo ein Podest errichtet worden war. Dort wurde die Hochzeit vor aller Augen durch Kardinal de Bourbon, einschließlich des Jawortes des Paares, vollzogen. Legende ist, ihr königlicher Bruder habe Marguerite von hinten angestoßen, um sie zur Zustimmung zu bringen. Kardinal Charles de Bourbon trug bei dieser Gelegenheit nicht das Ornat des Priesters, sondern sein tägliches Kardinalsgewand. Bei der Überreichung der Ringe hatte er auf die Segensformel zu verzichten.

Danach zog das Paar auf einem eigens zu diesem Ereignis errichteten Gang durch das Langhaus der Kathedrale. In der Vierung angekommen, wandte sich die Braut mit ihrem Bruder, Heinrich III. Duc d’Anjou, dem Chor zu, um an einem feierlichen Hochamt teilzunehmen, während sich ihr Gemahl verabschiedete und mit seinem Gefolge auf demselben Wege durch das Langhaus die Kathedrale verließ. Jeder Anschein seiner Teilnahme an der katholischen Messe sollte vermieden werden.

Mit der Ehe war die Erwartung verbunden, sie könne in der Epoche der Reformation das Ende des Bürgerkrieges und der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Hugenotten herbeiführen und endlich das gespaltene und wirtschaftlich verarmte Land einigen. Die Hoffnung erfüllte sich jedoch nicht. Im Gegenteil! Nach nur wenigen Tagen brach ein Massaker aus, die sogenannte Bartholomäusnacht, die bis heute in der Bevölkerung Frankreichs eine traumatische Erinnerung geblieben ist. Am 22. August 1572 wurde ein Mordanschlag auf den Führer der Hugenotten, Admiral Coligny, verübt. Im Morgengrauen des 24. August, also in der Nacht vor dem Fest des Apostels Bartholomäus, begannen Massaker, denen in den nächsten Wochen Tausende Hugenotten sowohl in Paris als auch im Rest des Landes zum Opfer fielen. Gemälde und Graphiken haben das fürchterliche Morden in den Straßen von Paris dargestellt und die Nachricht weit verbreitet.

12 Heinrich IV. reitet 1594 in Paris ein, Kupferstich

Erst Jahre später, 1593, trat Heinrich zum katholischen Glauben über. Ob er dabei den berühmt gewordenen Satz «Paris ist eine Messe wert» aussprach, ist nicht gesichert. Die offizielle kirchliche Zeremonie und der Empfang der Kommunion fanden nicht in Notre-Dame, sondern in der Abteikirche von St. Denis statt. Wegen der militärischen Lage konnte er nicht als Heinrich IV. in Reims gekrönt werden. Um möglichen Angriffen der Gegner zu entgehen, wählte man die Kathedrale von Chartres für den feierlichen Akt. Wie es die Tradition verlangte, zog er unter größter Beteiligung der Pariser Bevölkerung am 22. März 1594 als König von Frankreich und Navarra in die Hauptstadt und zur Messe in Notre-Dame ein. Stiche mit Kommentaren zeigen den König, wie er inmitten seiner Truppen und einer dichten Menschenmenge auf das Hauptportal der Kathedrale unter der Königsgalerie zureitet (Abb. 12).

 J. Fouquet, Stundenbuch Étienne Chevaliers, 1452–60, Metropolitan Museum, New York (Ausschnitt)

VI  Allianz Ludwigs XIV. mit den Schweizer Bundesstaaten, Histoire du Roi, Tapisserie, 1663, Florenz, Uffizien

VII  P. de Champaigne, Gelübde Ludwigs XIV., um 1650, Hamburger Kunsthalle

VIII Gelübde von Ludwig XIII. im Chor von Notre-Dame

IX  P. de Champaigne, Gelübde Ludwigs XIII., 1638, Musée des Beaux-Arts de Caen

Festliche Ereignisse und Staatstrauer


Auch im 16. und 17. Jahrhundert blieb die Kathedrale ein lebendiger Ort der Marienanbetung durch Pilger und Gläubige der Stadt Paris. Die Gottesmutter wurde an dem ihr geweihten Altar auf der rechten Seite des Lettners angerufen. Ein Kupferstich aus dem 17. Jahrhundert von Balthazar Moncornet dokumentiert den Aufbau des Monumentes in allen Details (Abb. 13). Die Inschrift auf der Draperie oben mit dem Titel «Memorare» erinnert daran, dass der Hilferuf an Maria niemals vergeblich gewesen sei. Neben dieser populären Verehrung der Maria, die Notre-Dame seit dem Mittelalter den Charakter einer Wallfahrtskirche verlieh, wurde die Königskirche unter den seit Heinrich IV. regierenden Bourbonen immer stärker in Anspruch genommen. Chor und Langhaus waren Schauplatz politisch-zeremonieller Demonstration und Repräsentation, die die Machtverhältnisse zwischen Staat und Kirche in dieser Epoche spiegelten. Manche Bischöfe waren herausragende Gelehrte, die als königliche Berater eine wichtige Rolle spielten. Nicht selten traten sie als Vermittler in Auseinandersetzungen mit dem Papst auf.

Die Kirchenfürsten von Paris gehörten nicht zu den Pairs, den Hochadeligen Frankreichs, und nahmen daher nicht an den Krönungsfeierlichkeiten in Reims teil. Paris war Suffragan des Erzbistums Sens. Der zunehmende Einfluss der Bischöfe und des Kapitels bewirkte, dass sie sich von der Unterordnung 1622 lösen konnten, als Papst Gregor XV. mit Unterstützung Ludwigs XIII. das Bistum Paris zum Erzbistum erhob. Ludwig XIV. berief die Erzbischöfe von Paris im Jahre 1674 zusätzlich in den Stand von Herzögen von Saint-Cloud, wodurch er sie eng an das Königshaus zu binden wusste. Seit 1623 diente die Kapelle auf der benachbarten Insel St.-Louis als Pfarrkirche.

13  B. Moncornet, Die Wunder am Marienaltar, Kupferstich, 17. Jahrhundert

Als Kathedrale...

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