Kein Entkommen - Katja Sands erster Fall - Kriminalroman | Die Münchner Kommissarin in ihrem spektakulären ersten Fall

Kein Entkommen - Katja Sands erster Fall - Kriminalroman | Die Münchner Kommissarin in ihrem spektakulären ersten Fall

von: Christoph Wortberg

dtv Deutscher Taschenbuch Verlag, 2021

ISBN: 9783423437615

Sprache: Deutsch

368 Seiten, Download: 2083 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Kein Entkommen - Katja Sands erster Fall - Kriminalroman | Die Münchner Kommissarin in ihrem spektakulären ersten Fall



2


Katja blickt durch die Scheibe in den Verhörraum. Joshua sitzt am Tisch, verängstigt und verloren. So wie die vielen anderen vor ihm. Um ihren Widerstand zu brechen, lässt man sie warten, eine halbe Stunde oder mehr. Ungewissheit und Stille. Nur die wenigsten halten das aus.

Er ist kurz davor durchzudrehen, das sieht sie ihm an. Immer wieder wandern seine Augen ruhelos durch den Raum, versuchen sich an irgendetwas festzuhalten, aber da ist nichts. Nur nackte Wände und das blickdichte Glas des Venezianischen Spiegels. Er starrt rüber zur Tür. Die einzige Richtung, aus der etwas zu erwarten ist. Rettung oder Vernichtung.

»Ich glaube, er ist so weit«, sagt Fink.

»Ja«, sagt Katja.

»Alles wie besprochen?«

»Genau so.«

Er legt ihr eine Hand auf die Schulter. Eine Geste des Trostes: Du kannst dich auf mich verlassen, ich mach das schon! Er weiß, wie es in ihr aussieht, und sie weiß, dass er es weiß. Seine Verbindlichkeit tut ihr gut. Diese unaufdringliche Art, Nähe zu schaffen, ohne ihr zu nahe zu treten.

»Holger!«

Er dreht sich zu ihr um. »Was?«

»Danke, dass du das für mich tust.«

»Was immer du willst, Katja!« Er lächelt mehrdeutig und verschwindet.

Sie wendet sich wieder dem Jungen hinter der Scheibe zu.

Joshua wippt nervös mit den Füßen. Als sich die Tür öffnet, zuckt er zusammen. Fink kommt herein, eine Akte in der Hand. Er legt sie auf den Tisch und setzt sich. Ruhig und besonnen. Joshua starrt nervös auf den blassrosa Pappdeckel. Fink wartet einen Moment, lässt die Akte wirken. Dann zieht er die bei dem Zugriff in Neuperlach sichergestellten Drogentütchen aus der Brusttasche seines Hemdes und wirft sie wortlos auf den Tisch.

Das Schweigen ist seine Waffe. Es gibt keine bessere. Und keinen, der sie besser einsetzt. Der Jäger und seine Beute, ein geduldiges Lauern ohne sichtbare Gefühle. Fink verzichtet auf drohende Gesten, erspart sich vorwurfsvolle Blicke. Wortlos lässt er die Zeit verstreichen, bis sein Gegenüber die Nerven verliert und anfängt zu reden, sich um Kopf und Kragen redet, bloß um diesem unerträglichen Schweigen endlich zu entkommen.

Dass das alles nicht spurlos an einem vorübergeht, kennt Katja von sich selbst. Das Zermürben eines Tatverdächtigen in der stickigen Luft eines Verhörraums zehrt jedesmal an ihr. Das Vorspielen endloser Geduld, dieses wohlkalkulierte Wechselspiel zwischen Freundlichkeit und Distanz, saugt sie aus. Zwar ist sie erleichtert, sobald sie den Widerstand auf der anderen Seite des Tisches endlich gebrochen hat, beim einen früher, beim anderen später. Aber sobald sie zu Hause ist, schlägt die Erschöpfung durch. Sie sitzt mit ihrer Tochter beim Abendessen, hört zu, wie Jenny von der Schule erzählt oder von ihren Freundinnen, und kämpft verzweifelt darum, Anteil zu zeigen, auch wenn ihr die Kraft dazu fehlt. Und wie war dein Tag, Mama? Gut. Nichts Besonderes. Ganz normal. Jeder Satz eine Qual, jede Antwort eine ungeheure Anstrengung. Was sie wirklich erlebt hat, muss sie vor Jenny verbergen, wie sie sich wirklich fühlt, darf sie nicht zeigen. Und immer wird sie dabei von dem beklemmenden Gefühl begleitet, ihrer Tochter nicht gerecht zu werden.

Katja fragt sich, wie Fink das macht. Wie er es schafft, den Job vom Privatleben zu trennen. Das alles von sich fernzuhalten in den wenigen Stunden zu Hause. Einfach nur da zu sein für seine beiden Söhne und seine Frau.

Kennst du einen Polizisten, dessen Ehe gut läuft?

Katja hat Melanie bei einer Grillparty kennengelernt. Fink hatte Geburtstag und ein paar Kollegen zu sich nach Hause eingeladen. Ein schmaler Reihenhausgarten in Fürstenried-West. Das satte Grün des Rasens, eine Schaukel für die Jungs. Melanie wirkte inmitten der Kollegen wie ein Fremdkörper, bemüht, aber hilflos. Sie liebte ihren Mann, das war ihr anzusehen, aber sie hasste es, die Frau eines Polizisten zu sein.

Katja wendet sich wieder dem Schweigen hinter der Scheibe zu. Joshua reagiert genau wie erwartet. Zieht sich in sich zurück wie ein bockiges Kind. Nimmt den ungleichen Kampf an, den Blick gesenkt, die Hände über den immer heftiger wippenden Knien ineinander verschränkt. Er versucht, sich an sich selbst festzuhalten, minutenlang, bis er begreift, dass er keinen Halt finden wird. Katja spürt Mitleid mit ihm. Niemand hat ihn genötigt, Drogen zu verkaufen, aber sie hat ihn in diesen Verhörraum gezwungen, in dieses aussichtslose Ringen mit sich selbst und gegen Fink, ohne auch nur zu ahnen, worum es wirklich geht.

Fink schaut zu ihr herüber. Ihre Blicke treffen sich hinter dem verspiegelten Glas, auch wenn er sie nicht sehen kann. Er weiß, wo sie steht, und nickt ihr unmerklich zu. Dann nimmt er die Akte vom Tisch, schlägt sie auf. Sie ist leer, aber das kann Joshua nicht sehen.

»Du bist neunzehn«, sagt Fink und beginnt sachlich abzuspulen, was Katja ihm über den Jungen erzählt hat. »Nach der Scheidung deiner Eltern hast du die Schule abgebrochen. Du hast eine Lehre als Schreiner gemacht, die du vor drei Monaten mit der Gesellenprüfung abgeschlossen hast. Du lebst in einer Wohngemeinschaft in Laim mit einem Maschinenbaustudenten aus Augsburg und einer koreanischen Musikstudentin, die du nicht leiden kannst, weil sie den ganzen Tag Geige übt. Was ich übrigens gut verstehen kann.« Er schlägt die leere Akte zu, legt sie zurück auf den Tisch.

Joshua glotzt ihn an. »Woher wissen Sie das alles?«

Von Jenny, denkt Katja und spürt, wie sich ihr Magen zusammenzieht.

»Ich bin die Polizei«, sagt Fink freundlich, »schon vergessen?« Er nimmt die Tütchen mit den Drogen vom Tisch, dreht sie zwischen seinen Fingern hin und her. »Seit wann dealst du?«, fragt er.

»Ich denke, Sie sind die Polizei«, erwidert Joshua. Der verzweifelte Versuch einer Gegenwehr. Ein letztes Aufbäumen, rührend in seiner Hilflosigkeit.

Katja erinnert sich daran, wie Jenny ihr Joshua vorgestellt hat. Die Verliebtheit der beiden flatterte durch den Raum wie ein bunter Schmetterling. Ihr erster Freund! Er stand neben ihr und gab Katja schüchtern die Hand, ein scheues Lächeln im Gesicht. Auch wenn sie ihn sofort mochte, war sie erschrocken. Neunzehn! Vier Jahre älter als Jenny. Und woher kam dieser unruhige Ausdruck in seinen Augen, dieser flackernde Blick?

Zuerst schrieb sie ihr Misstrauen ihrer Überempfindlichkeit als Polizistin zu. Bis zu dem Tag, als Jenny anfing, sie zu belügen. Sie wollte bei einer Freundin übernachten. Katja hatte nichts dagegen. Aber dann rief die Freundin bei Katja an. Ob Jenny da sei. Sie versuche schon die ganze Zeit, sie auf ihrem Handy zu erreichen, aber Jenny gehe nicht dran. Katja wusste, wo sie ihre Tochter finden würde. Sie setzte sich ins Auto und fuhr zu Joshua. Jenny lag nackt in seinem Bett. Auf dem Nachttisch ein brennender Joint. Und eine Schachtel mit Kondomen.

Ein Heimweg ohne Worte, ein sprachloser Abend. Jennys Schluchzen hinter ihrer abgeschlossenen Zimmertür, während Katja hinaus in die Dunkelheit starrte und sich fragte, wohin das alles noch führen würde.

Mitten in der schlaflosen Nacht kam Jenny zu ihr ins Bett, schmiegte sich schweigend an sie, ein verletztes Kind auf der Suche nach Schutz. Erst als sie am nächsten Morgen beim Frühstück saßen, brach sie ihr Schweigen.

»Warum tust du das, Mama?«

»Tue ich was?«

»Hinter mir herspionieren?«

»Warum lügst du mich an?«

»Ich bin alt genug.«

»Um im Bett deines Freundes nackt zu kiffen?«

»Und wenn schon!«

»Er ist vier Jahre älter als du.«

»Ich liebe ihn.«

»Das ist das, was du glaubst.«

»Das ist das, was ich fühle.«

»Du wärst nicht die Erste, deren Gefühle missbraucht werden.«

»Nur, weil du ihn nicht leiden kannst.«

Katja schaute ihre Tochter an. Irgendetwas in ihr hatte sich verändert. Jenny war nicht länger ihr kleines Mädchen.

»Hast du mit ihm geschlafen?«

»Was soll die Frage?«

»Da lagen Kondome neben seinem Bett.«

»Na und?«

»Habt ihr sie benutzt?«

»Ja«, sagte Jenny zögernd, »haben wir.«

Ein Schreck, aber keine Überraschung. Früher oder später wäre es sowieso dazu gekommen.

»Wenigstens etwas«, sagte Katja.

»Warum bist du so zynisch?«, fragte Jenny.

»Ich bin nicht zynisch, ich mache mir Sorgen um dich. Mütter tun das in der Regel. Schon mal gehört?«

»Alle machen sich Sorgen«, sagte Jenny und nahm ihre Hand. »Auch Töchter um ihre Mütter.« Und nach einer kurzen Pause: »Weißt du noch, wie alt du warst bei deinem ersten Mal?«

»So alt wie du«, sagte Katja leise. Sie fühlte sich wie ein kleines Mädchen. Ihre Hand in der ihrer Tochter. Jennys Finger strichen über ihre, liebevoll und warm. Die Rollen waren vertauscht.

»Er hat mich nicht dazu gedrängt«, sagte Jenny. »Ich hab ihn darum gebeten. Ich wollte es unbedingt. Und ich bin froh, dass es passiert ist.«

»War es wenigstens schön?«

»War es. Und sag jetzt nicht: ›Na, immerhin‹.«

Sie lächelte ihrer Mutter zu. Das Lächeln eines arglosen Mädchens im trügerischen Zauber eines falschen Glücks.

Finks Stimme reißt Katja aus ihren Gedanken zurück in den Verhörraum des Rauschgiftdezernats der Münchner Kriminalpolizei.

»Das mit den Drogen ist das eine«, sagt Fink zu dem eingeschüchterten Joshua. »Das andere ist die Sache mit dem Mädchen.«

»Wie bitte!?«

»Die Kleine ist erst fünfzehn.«

»Na und?«

»Stell dich nicht blöder, als du bist.«

»Ich hab sie zu nichts gezwungen.«

»Fragt sich, ob der zuständige Richter das auch so sieht.«

»Ich lass mir von Ihnen nichts...

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