Die Hochzeit - Roman

Die Hochzeit - Roman

von: Dorothy West

Hoffmann und Campe, 2021

ISBN: 9783455011234

Sprache: Deutsch

288 Seiten, Download: 788 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Die Hochzeit - Roman



1


An einem Morgen Ende August, dem Morgen vor der Hochzeit, weckte die Sonne, die aus der ruhigen See emporstieg, das Oval aus amorphem Schlaf und verlieh dem Areal von Sommerhäusern Kontur und Proportion.

Die Inselbewohner waren schon auf. Denn es galt, den Sommerfrischlern ihre Milch zu bringen, die Läden für ihre Großeinkäufe zu öffnen, ihnen den Rasen zu mähen und die Autos zu waschen – eine endlose Kette belangloser Aufgaben, die Vorrang hatten, besonders im Oval, dessen Bewohner Schwarze waren und daher auf bevorzugte Behandlung Wert legten.

Das Oval war ein ländlich anmutendes Terrain mit blühenden Sträuchern und hohen Bäumen, das auf alten Stadtplänen den Namen Highland Park trug. Die schmale unbefestigte Straße, die drum herum führte, hieß Highland Avenue. Doch da kein Inselbewohner sich darauf besinnen konnte, dass je ein Wegweiser diese ambitionierten Bezeichnungen getragen und sie damit legitimiert hätte, war das Gelände schon vor langer Zeit auf den anschaulichen Namen getauft worden, der besser zu ihm passte.

Dreizehn Cottages bildeten dieses Oval rings um den Park. Manche waren klein und äußerlich schlicht, andere größer und schöner (eines, das Coles’sche Anwesen, wurde gar als Villa bezeichnet), und alle miteinander waren für den Sommer herausgeputzt und standen vorschriftsmäßig zurückgesetzt auf makellosen Rasenkarrees.

Die Häuser waren wie eine Festung, ein Bollwerk der schwarzen Gesellschaft. Ihre Eigentümer konnten sich rühmen, dass sie, oder besser noch ihre Vorfahren, schon zu Zeiten einen Zweitwohnsitz besessen hatten, als noch sehr wenige Schwarze oberhalb des Dienstbotenrangs zum eigenen Vergnügen den Weg in die Sommerfrische antraten.

Obwohl schwarze Zuzügler mittlerweile auch in anderen Vierteln des Seebades Cottages besaßen, manche sogar hochvornehme Häuser in Gegenden, die normalerweise als weiß galten, standen die Ovaliten, wie sie nach ihrem Wohnsitz hießen, rangmäßig trotzdem höher. Sie waren die Vorhut gewesen. Jetzt waren sie die alte Garde. Dazu »na und?« zu sagen hieße, den Fuchs aus der Fabel mit den sauren Trauben nachzuahmen.

Sogar das Etikett »Ovalit« hatte eine Konnotation bekommen, die seinem ursprünglichen Zweck zuwiderlief. Diejenigen, die es einst geprägt hatten, um die Bewohner des Ovals zu verunglimpfen, waren längst vom Schauplatz ihrer Niederlage im Feldzug gegen die Ovaliten abgetreten, und der vormalige Schimpfname hatte sich mit der Zeit zum Gütesiegel entwickelt.

Das Haus der Coles beherrschte das Oval. Mit seinen großzügig verglasten Veranden, an deren Scheiben schon viele Vögel den Tod gefunden hatten, seinem Ballsaal, dessen jahrelang eng an die Wände gerückte, vergoldete Festtagsstühlchen jetzt für die Hochzeit aufgestellt waren (indes die Polstersessel für traurige Anlässe dezent in Reih und Glied zurücktraten), und mit seinen ausgedehnten Rasenflächen, die die bescheideneren Cottages hoheitsvoll auf Abstand hielten, war das Coles-Haus das Prunkstück des Ovals.

Dahinter erstreckten sich etliche Morgen malerisch überwucherten Brachlands, die in der herrschaftlichen Ära des Erstbesitzers zum Grundstück gehört hatten. Heute dienten sie dem Coles’schen Anwesen als beeindruckende Kulisse, sperrten dieses Ende des Ovals für den Autoverkehr und machten es zur Sackgasse.

Als einzige An- und Abfahrt für das Oval diente eine kurvenreiche, ausgefahrene Landstraße. Kamen sich hier zwei Fahrzeuge entgegen, so zwang das Gestrüpp neben der Fahrbahn einen der beiden Wagen, bis zum Ausgangspunkt zurückzusetzen, ein langsames und umständliches Manöver, das auf dem glänzenden Lack eines übergroßen Wagens hässliche Kratzer hinterließ, sofern er nicht haargenau in der Fahrspur blieb.

Die Ovaliten hätten sich auf das Gewohnheitsrecht berufen und bei der Stadt einen breiteren Zubringer zum Highway beantragen können, aber diese wenig einladende Anfahrt gab ihnen das Gefühl, so exklusiv zu residieren wie die wirklich Exklusiven – die wahrhaft Reichen und Mächtigen –, die ebenfalls am Ende ausgesprochen schlechter Straßen wohnten, schon um Neugierige abzuschrecken.

Die Familie von Clark Coles kam dem angestrebten Vorbild der Reichen und Mächtigen am nächsten. Die Coles hatten mehr Geld, als man ausgeben konnte. Sie hatten das College besucht und stammten aus gutem Hause. Sie führten ein kultiviertes Leben. Zwei Hausmädchen, die ihnen seit Jahren in Ergebenheit dienten, waren der lebendige Beweis dafür, dass die Coles sich auf den Umgang mit Dienstboten verstanden. Wenn Clark und Corinne schon seit Jahren nicht mehr miteinander schliefen, so hätten ihnen, was ihren Umgang in der Öffentlichkeit betraf, selbst die eigenen Töchter nicht mehr Takt abverlangen können.

Ihre Töchter, das waren Liz, die Verheiratete, und Shelby, die Braut; beide sehr hübsch, aber Shelby noch hübscher, das Ebenbild von Gram auf jenem zart getönten Porträt, das sie als Mädchen zeigte, mit rosarotem Teint, goldblondem Haar und dämmerblauen Augen.

Dass Liz einen schwarzen Mann geheiratet und eine Tochter zur Welt gebracht hatte, die ihrem dunkelhäutigen Vater nachgeraten war, hatte im Oval missbilligendes Stirnrunzeln hervorgerufen. Aber wenigstens hatte Liz einen Mediziner geheiratet, getreu der Familientradition, dass alle Männer für den Arztberuf geschaffen seien, zumal der Doktortitel sich von selbst erklärte, was die Vorstellung auf Gesellschaften sehr erleichterte.

Warum dagegen Shelby, die unter den Ersten und Besten ihrer eigenen Rasse hätte wählen können, außerhalb derselben und des väterlichen Berufs heiraten und ihr Leben an einen namenlosen Weißen wegwerfen wollte – einen Mann, der Jazz komponierte, was als frivole Beschäftigung ohne Amt, Titel oder Zukunft galt –, das überstieg den Verstand der Ovaliten.

Zwischen dem Schwarzen, den Liz geheiratet hatte, und dem Musiker, den Shelby heiraten wollte, gab es eine ganze Bandbreite akzeptabler Männer mit der richtigen Hautfarbe und dem richtigen Beruf, und damit, dass Liz und Shelby so wider alle Erwartungen heirateten, verstießen sie gegen sämtliche subtilen Grundsätze der Erziehung, die ihre Eltern ihnen mitgegeben hatten.

Shelby mochte in ihrer Gattenwahl eigensinnig gewesen sein, aber sie hatte sich wenigstens von ihrer Mutter davon abbringen lassen, Liz’ Beispiel zu folgen und mit ihrem Liebsten durchzubrennen. Ihre Hochzeit würde im Oval stattfinden und damit den Rahmen bekommen, den Corinne Miss Adelaide Bannister an einem glücklichen Nachmittag versprochen hatte, als ihre Töchter noch Teenager waren. Damals saß Addie, keuchend unter dem prallen Korsett, welches das für ihre kümmerliche Existenz unziemliche Fleisch zwickte und marterte, in ihrem Sessel eingezwängt auf der verglasten Veranda, die die Sonnenwärme speicherte und die Hitze auflud, und fächelte sich mit der schlaffen Hand Luft zu, was sie immer tat, wenn nichts anderes greifbar war, um eine Brise zu entfachen.

Sie sagte ja zu einem Brandy, weil der Medizin war, bekam aber von der Sonne und dem zu engen Korsett und dem Brandy solches Herzklopfen, dass ihr Busen in jenes rasche Auf-und-ab-Wogen geriet, das Feiglinge, die nicht mit ansehen wollten, wie Addie vor ihren Augen tot umfiel, jedes Mal völlig entnervte. Jetzt griff sie sich ans Herz, wie um zu verhüten, dass es ihr aus der Brust sprang, und gestand Corinne, ihre größte Hoffnung sei die, noch so lange zu leben, bis Liz vermählt würde; nicht etwa, weil sie die ältere Schwester der jüngeren vorziehe, sondern weil es jenseits allen Hoffens läge, dass sie lange genug leben würde, um beide Mädchen als Braut zu sehen.

Von diesem traurig schlichten Geständnis und einem sehr trockenen Martini gerührt hatte Corinne sich zu dem sentimentalen Versprechen hinreißen lassen, Liz’ Hochzeit würde im Oval stattfinden, damit Addie die beschwerliche Reise nach New York erspart bliebe, wo die ungewohnte Umgebung, die vielen fremden Menschen und das Tempo womöglich zu ihrem vorzeitigen Ableben mitten in der Grand Central Station führen könnten.

Seit dem Tage ihrer Geburt in Boston hatte Addie sich nie weiter von zu Hause entfernt als bis auf eine Insel vor der Küste von Massachusetts, was einer kurzen, ereignislosen Bahn- und einer noch kürzeren und ruhigeren Überfahrt bedurfte. Im Winter ging sie kaum unter die Leute und rührte sich fast nie von dem alten Familiensitz in Cambridge fort, wo sie sich in Pullover und Bademäntel einmummelte, um die durchdringende Kälte abzuwehren, gegen die die Wärme aus den altmodischen, verstaubten Heizungsklappen im Fußboden vergeblich ankämpfte. Umgeben von Antikem und Antiquiertem hielt sie Winterschlaf bis zum Sommer, ohne je ihre Freunde in deren wärmeren Häusern zu besuchen; die Risiken winterlicher Ausflüge überforderten sie, zumal ihre Geldmittel weder für ein Taxi noch für geeignete Kleidung ausreichten.

Addie sparte ihre ganze Kraft und ihre Pennies für die Sommer im Oval, wo ihr gesellschaftliches Leben sich auf das Wiedersehen mit alten Freunden und auf die Veränderungen konzentrierte, die ein Jahr an deren Kindern bewirkt hatte. Das Oval war ihre ganze Welt. Niemals hatte sie die Einladung in irgendein Haus außerhalb dieser kleinen Gemeinschaft angenommen.

Die Tage, die ihr noch verblieben, waren zu kostbar, um sie an Emporkömmlinge zu verschwenden, deren Abstammung zweifelhaft und deren protzig zur Schau getragener Reichtum nicht immer auf anständige Weise erworben war. Jedes Jahr fragte Addie sich, ob sie bis ans Ende des Kalenders leben würde, den der Kohlenmann ihr immer zu Weihnachten schenkte. Da ihre Eltern noch diesseits der Fünfzig...

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