Hitler - Aspekte einer Gewaltherrschaft

Hitler - Aspekte einer Gewaltherrschaft

von: Ralf Georg Reuth

Piper Verlag, 2021

ISBN: 9783492998260

Sprache: Deutsch

368 Seiten, Download: 3024 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Hitler - Aspekte einer Gewaltherrschaft



Einleitung


Dieses Buch handelt von den düstersten Jahren der deutschen Geschichte und von der Person, deren Name für sie steht. Die Rede ist von Adolf Hitler. Er brachte mit dem von ihm entfesselten Zweiten Weltkrieg Verwüstung und millionenfachen Tod über die Menschheit. Das schwerste Erbe jedoch, das Hitler und die zwölf Jahre seiner Gewaltherrschaft ihr hinterlassen haben, gründet in der ungeheuerlichen industriellen Vernichtung von Millionen Menschen, für die Auschwitz zur Chiffre geworden ist. Die aus dem Völkermord an den europäischen Juden resultierenden mentalen Verheerungen scheinen unauslöschlich zu sein. Er hat die Fundamente der Zivilisation erschüttert. Ihm kommt damit eine universale Bedeutung zu.

Weit mehr als die russischen und chinesischen »Vernichtungsuniversen«, wie der Philosoph Peter Sloterdijk die drei Menschheitsverbrechen des 20. Jahrhunderts nennt,[1] ist das deutsche in den Fokus des Interesses gerückt. Dies hat nicht zuletzt damit zu tun, dass sich die Bundesrepublik wie kein zweites Land ihrer problematischen Vergangenheit stellte, aber auch damit, dass die jüdische Gemeinschaft, also diejenigen, die ein besonderes Interesse an der Aufarbeitung dieses Abschnitts der Geschichte haben, über den gesamten Globus verstreut ist. Die Folge von beidem ist eine Fülle an Literatur zum Nationalsozialismus, die inzwischen selbst von denen kaum noch zu überschauen ist, die sich mit ihm professionell auseinandersetzen.

Der Blick zurück ist der Veränderung unterworfen. Denn Geschichte ist nichts Statisches. Sie wird vielmehr durch die sich wandelnde politische Gegenwart bestimmt. An den Hochschulen der liberalen Demokratien, besonders an denen in Deutschland, hat dies die historische Forschung seit den 1970er Jahren in immer stärkerem Maße sozialwissenschaftlich geprägt. Historische Zäsuren werden dabei oft eingeebnet, menschliches Planen, Entscheiden und Handeln treten zurück. Vor allem die gesellschaftlichen Strukturen sind es, die den Lauf der Geschichte bestimmen, lautet diese Lehrmeinung. Hinzu tritt in neuerer Zeit ein Geschichtsverständnis, wonach zusammenfassende Deutungen vergangener Epochen und Ereignisse unzulässig sind. Historiker könnten lediglich wiedergeben, wie die einzelnen Quellen von der Vergangenheit berichteten. Neben sozialgeschichtlich dominierter Betrachtung und Dekonstruktivismus hat sich als Antwort darauf im Internet – abseits des akademischen Glashauses – noch ein neuer, zu vernachlässigender Vulgärrevisionismus ausgebreitet.

Bei all diesen Varianten tritt die substanzielle Auseinandersetzung mit der historischen Figur Hitler zunehmend in den Hintergrund. Wenngleich das Sujet Biografie ohnehin nur schwerlich mit der sozialgeschichtlichen Betrachtung vereinbar ist, hat diese auch hier Einzug gehalten. Stand in der großen, zu Beginn der 1970er Jahre erschienenen Hitler-Biografie Joachim C. Fests noch ganz die handelnde Person im Mittelpunkt,[2] so disputierten spätere, sozialgeschichtlich orientierte Werke nahezu jegliche gestaltende Rolle des Menschheitsverbrechers weg.[3] In der heute als wegweisend geltenden Hitler-Biografie des britischen Historikers Ian Kershaw[4] ist der Diktator vor allem Projektionsfläche und Sammelpunkt gesellschaftlicher Strukturen. Und in der unlängst erschienenen Arbeit Volker Ullrichs ist dies nicht viel anders.[5] Wolfram Pyta gehört zu denen, die einen anderen Ansatz wählten. In seiner Herrschaftsstudie gelangt er zu dem Ergebnis, dass Hitlers Aufstieg und sein mörderisches Regime in der radikalen Anwendung ästhetischer Prinzipien gründeten.[6]

Nicht überall ist die sozialgeschichtlich dominierte Historiografie so unumstritten wie in Deutschland. In Frankreich zum Beispiel gibt es einen ungleich freieren zeitgeschichtlichen Diskurs. So schreibt der linkssozialistische Geschichtswissenschaftler François Furet, der ein Standardwerk über den Kommunismus, Das Ende der Illusionen, verfasst hat,[7] »dass die Historiker unserer Epoche, die vom Determinismus und dem soziologischen Verständnis der Geschichte besessen sind, […] gerne die […] Rolle [übersehen], die bestimmte Persönlichkeiten darin gespielt haben«.[8] Der Franzose, der glaubt, dass ohne Hitlers »politisches, dem Bösen zugewandtes Genie […] wohl alles anders verlaufen« wäre,[9] hat zweifellos recht, denn der Mensch ist eben nicht nur bloßer Spielball anonymer Geschichtsprozesse, sondern zur Gestaltung historischer Entwicklungen befähigt. Für den britisch-österreichischen Philosophen Karl R. Popper ist diese Fähigkeit ein elementarer Bestandteil der offenen und pluralistischen Gesellschaft, deren Grundzüge er als Gegenmodell zu jeglicher Ideologiekonstruktion entwarf.[10]

Was die Gestaltung historischer Prozesse angeht, gilt dies im negativen Sinn in ganz besonderem Maße für Hitler, denn er war die geschichtsmächtigste Figur des 20. Jahrhunderts. Er veränderte das Antlitz der Welt wie kein Zweiter. Das Ende des alten Europas als ihr Machtzentrum, die beiden antagonistischen Supermächte USA und Sowjetunion, die es beerbten, die Teilung des Kontinents und Deutschlands, den Kalten Krieg, den Fall der Berliner Mauer und die Wiedervereinigung – das alles hätte es nicht gegeben, wenn Hitler auf irgendeinem Schlachtfeld des Ersten Weltkriegs geblieben wäre. Die Nachgeborenen sind sich dessen oft nicht bewusst.

In der Geschichte ist alles mit allem verknüpft. Umso unhistorischer ist es, wenn Hitler und vor allem sein Menschheitsverbrechen aus dem geschichtlichen Zusammenhang gerissen werden, was immer häufiger der Fall ist. Die Folge einer solchen Isolierung ist die Emotionalisierung, die bereits in der Forderung gipfelte, doch ganz auf eine historische Darstellung des Völkermords zu verzichten, weil sie das schlechthin Unbegreifliche begreiflich zu machen versuche und deshalb zwangsläufig scheitern müsse. Fest, dessen Werk vor dem Kershaws die Deutung Hitlers bestimmte, sprach in diesem Zusammenhang von einer »Art dämonologischer Verdrängung«, die eher Mythen und Legenden Vorschub leiste, nicht aber zu einem Verständnis des Geschehenen beitrage.[11] Dafür braucht es neben der sachlich-nüchternen Betrachtung vor allem dessen Einbettung in den historischen Kontext der deutschen und europäischen Geschichte. Nur dadurch ist die politische und moralische Dimension Hitlers zu ermessen.

Dieser Historisierung, die namhafte Historiker bereits in den 1980er Jahren forderten,[12] wird in diesem Buch Rechnung getragen. Es behandelt zehn zentrale Aspekte von Hitlers Gewaltherrschaft, die in ihrer Gesamtheit dem historisch interessierten Leser einen Überblick über das Thema »Hitler und der Nationalsozialismus« geben sollen – kurz, übersichtlich und verständlich. Es beginnt mit einer kleinen Tour d’Horizon durch die Welt des europäischen Rassismus und Antisemitismus, die in die Frage mündet, ob der Judenhass in Deutschland in der Zeit, bevor Hitler die politische Bühne betrat, stärker ausgeprägt war als anderswo. Im Anschluss daran geht es darum, ob die »unvollendet« gebliebene Novemberrevolution des Jahres 1918 und die Spaltung der Arbeiterklasse den Januar 1933 erst ermöglicht haben, wie es von den Linksintellektuellen heute noch vertreten wird. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wird aus dem entgegengesetzten politischen Lager der Versailler Friedensvertrag dafür verantwortlich gemacht und damit zumindest eine Teilschuld an Hitler den Siegermächten des Ersten Weltkriegs zugewiesen. Doch lässt sich solches aufrechterhalten?

Worüber deutsche Historiker in den 1980er Jahren erbittert stritten, nämlich ob der Rassenmord der Nationalsozialisten die Antwort auf den Klassenmord der Kommunisten gewesen war, wie der Geschichtsphilosoph Ernst Nolte zu wissen glaubte,[13] ist ein weiterer, auch heute noch aktueller Aspekt, der behandelt wird. Dem folgt die Auseinandersetzung mit der Frage, wie es sein konnte, dass ein Politiker, der einer fanatischen Rassenideologie das Wort redete und Szenarien von einer »jüdischen Weltverschwörung« entwarf, Reichskanzler wurde. Und es geht auch darum, warum ihm die Nation trotz der von ihm verantworteten brutalen Ausschaltung jeglicher Opposition und trotz der menschenverachtenden Rassenpolitik folgte. Rechneten die Deutschen dies mit seinen Triumphen bei der Revision von Versailles auf – nicht zuletzt, weil sie den Mann mit dem exaltierten Sendungsbewusstsein nicht verstanden? War es etwa dieses Unverständnis, das ihn wie ein Erlösung verheißendes wagnerisches Wesen aus einer anderen Welt erscheinen ließ und in besonderem Maße der Verklärung Vorschub leistete?

Der Zweite Weltkrieg, ohne den es wohl keinen Völkermord gegeben hätte, nimmt in diesem Buch einen breiten Raum ein. Er begann mit dem Polenfeldzug, dem der Hitler-Stalin-Pakt vorausging. Was hat es mit dem Bündnis der beiden Todfeinde wirklich auf sich gehabt, das heute vom russischen Präsidenten Wladimir Putin demagogisch geschickt als Selbstschutzmaßnahme einer friedliebenden Sowjetunion dargestellt wird?[14] Und warum folgten die Deutschen ihrem »Führer« dennoch bis in den totalen Untergang? Vor dem Hintergrund, dass zwischen dem Frühsommer 1944 und der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht im Mai 1945 doppelt so viele Deutsche starben als in den vier Kriegsjahren zuvor, erhält diese Frage ihr Gewicht.

»Wie konnte das geschehen?«, sind die Ausführungen überschrieben, in denen es um den Völkermord an den europäischen Juden geht. Kompensierte Hitler mit dem Genozid seine militärische Niederlage? War er die furchtbare Realisierung seines frühen rassenideologischen Wahns? Apropos...

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