Die Erfindung der Hausfrau - Geschichte einer Entwertung

Die Erfindung der Hausfrau - Geschichte einer Entwertung

von: Evke Rulffes

HarperCollins, 2021

ISBN: 9783749951178

Sprache: Deutsch

288 Seiten, Download: 3545 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Die Erfindung der Hausfrau - Geschichte einer Entwertung



1.
Vom Beruf zur Bestimmung

MEISTERINNEN, EXPERTEN- UND ARBEITSPAARE

Die Hausfrau ist eine Entwicklung des 19. Jahrhunderts, die Hausmutter war sozusagen ihre Vorgängerin; doch auch die Hausmutter war nur ein Rollenmodell neben vielen anderen für Frauen vor der Zeit um 1800. Neben der Tatsache, dass zu vielen Zeiten nur ein Teil der Bevölkerung überhaupt verheiratet war, arbeiteten auch Ehefrauen in allen möglichen Berufen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde das Bild der ländlichen Hausmutter mit der bürgerlichen Ehefrau verknüpft und als Rollenmodell für alle Frauen propagiert, indem es zur ›natürlichen Bestimmung der Frau‹ deklariert wurde.

Das Konzept der bürgerlichen Hausfrau hat sich uns so nachhaltig eingeprägt, dass wir immer noch der Vorstellung anhängen, Frauen seien seit Urzeiten für den Haushalt (also für das Sammeln und nicht das Jagen) zuständig, während die Männer durch eine körperlich oder intellektuell stärker fordernde ›richtige‹ Arbeit für den Unterhalt der Familie sorgen (für Geld oder kalorienhaltiges Fleisch). Auch wenn diese Vorstellung heute an Bedeutung verloren zu haben scheint, greift sie doch nach wie vor oft massiv in unsere Lebensrealitäten und – entwürfe ein. Tatsächlich mussten Frauen immer schon mehr Tätigkeiten im Haushalt übernehmen als Männer, anders gesagt: Männer haben diese oft verweigert. Doch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein gab es nur wenige Menschen, die es sich leisten konnten, nicht zum gemeinsamen Haushaltseinkommen beizutragen, ob Frauen, Männer oder Kinder. Viele Betriebe waren Familienbetriebe und auf die unentgeltliche Mitarbeit aller Familienmitglieder angewiesen. Aber auch jedes zusätzliche, außerhalb des familiären Zusammenhangs erwirtschaftete Einkommen war nicht nur willkommen, sondern lebensnotwendig.

Die im frühen Mittelalter entstehenden Städte, die über eigene Stadtrechte verfügten, waren die ersten, die Frauen ein vom Vater oder Ehemann unabhängiges Bürgerrecht zusprachen. Das geschah vor allem auf Drängen der Kaufleute, die den Reichtum dieser Städte begründeten. Denn die Händler waren die meiste Zeit auf Reisen, unterdessen mussten ihre Ehefrauen die Geschäfte vor Ort weiterführen. So benötigten sie die Bürgerrechte etwa, um säumige Schuldner*innen vor Gericht verklagen zu können. Darüber hinaus mussten die Ehefrauen lesen und schreiben können – auch auf Latein, der damals internationalen Sprache –, und vor allem das Rechnen beherrschen. Die Kaufleute gründeten deshalb eigene Schulen, die auch ihren Töchtern offenstanden. Immerhin ließ jeder der deutschen Kleinstaaten seine eigene Währung prägen, sodass die Kaufleute nicht nur mit unterschiedlichen Preisen, sondern auch mit unterschiedlichen Zahlungsmitteln zu jonglieren hatten. Außerdem gab es unzählige verschiedene Maße und Gewichte, die im überregionalen und internationalen Handel ständig umgerechnet werden mussten. Frauen waren aktiv an diesen Geschäften beteiligt oder führten sie unabhängig von ihrem Ehemann. 2

Aber ohnehin waren selbstständige Handwerkerinnen, Händlerinnen, Ärztinnen oder Wirtinnen in den Städten des Mittelalters keine Seltenheit – mit oder ohne Ehemann. Nur etwa die Hälfte der Bevölkerung war überhaupt verheiratet, und aus städtischen Registern der Bewohner*innen geht hervor, dass es viele uneheliche Kinder gab. Als die mittelalterlichen Städte und Gemeinden immer größer wurden, musste die Bevölkerung effizienter organisiert werden. Der Haushalt als kleinste Einheit sollte die Verwaltung erleichtern. Der Haushaltsvorstand, bestehend aus Hausmutter und Hausvater, sollte das Sagen über die Haushaltsmitglieder haben – Kinder, unverheiratete Verwandte, Gesinde und die oft wechselnden Untermieter*innen. So verwandelte sich die Ehe im späten Mittelalter zunehmend in eine verbindliche Form der Beziehung von Frauen und Männern und gewann allgemeine gesellschaftliche Bedeutung. Allerdings existiert die statische Kernfamilie, wie wir sie kennen, eigentlich erst ab dem 20. Jahrhundert. In der Frühen Neuzeit waren Familienstrukturen immer dynamisch und nie statisch. Das ist schon angesichts der höheren Sterblichkeitsrate von Frauen, die nicht selten im Kindbett starben, keine überraschende Erkenntnis. Halb- oder Stiefgeschwister, Stiefmutter oder Stiefvater zu haben war die Regel, nicht die Ausnahme; Patchworkfamilien sind keine Erfindung moderner Gesellschaften. Es kam auch vor, dass ein Familienmitglied mit keiner oder keinem anderen Angehörigen der Familie blutsverwandt war. 3

In den wachsenden Städten schlossen sich die Handwerker*innen in Zünften zusammen, um ihre gemeinsamen Interessen im Machtgefüge der Stadt durchzusetzen. Die Zünfte regulierten unter anderem den Arbeitsmarkt und die Preise – heute würde man dazu Kartellabsprachen sagen – mit dem Ziel, den einzelnen Betrieben ein ausreichendes Einkommen zu sichern. Ausbildung und Prüfungen sollten die Qualität der handwerklichen Leistungen garantieren, zudem zahlten alle in eine gemeinsame Kasse ein, um Mitgliedern und deren Familien in der Not helfen zu können. Wer kein Zunftmitglied war, durfte den entsprechenden Beruf in einer Stadt nur mit der Sondergenehmigung des Stadtrates ausüben. Die Anzahl der Meister und Meisterinnen und damit der erlaubten Betriebe war begrenzt, um die Konkurrenz gering zu halten. Und als Konkurrenz wurden zunehmend auch die weiblichen Zunftmitglieder betrachtet.

DIE VERDRÄNGUNG DER FRAUEN AUS DEN ZÜNFTEN

In Köln zum Beispiel waren die Zünfte der Garnmacherinnen, Seidenweberinnen und Goldspinnerinnen ausschließlich weiblich besetzt. Für Frankfurt am Main sind für die Zeit von 1300 bis 1500 Durchschnittszahlen überliefert, die über das Geschlechterverhältnis innerhalb verschiedener Berufe Auskunft geben: 65 Berufe waren reine Frauensache (dazu zählte z. B. das Bierbrauen), bei 17 Berufen waren Frauen in der Mehrzahl, bei 38 war das Verhältnis von Frauen und Männern ausgeglichen, und 81 Berufe wurden von Männern dominiert. 4 Töchter aus dem Bürgertum erlernten einen Beruf, um als Witwe ihren Lebensunterhalt sichern zu können; nach der Heirat arbeiteten sie entweder im Geschäft ihres Mannes mit oder übten den erlernten Beruf unabhängig aus, manchmal stieg auch der Ehemann in ihr Geschäft mit ein. Das erlernte Wissen wurde zur Aussteuer gerechnet und konnte die Höhe der Mitgift verringern. Dienstmägde erhöhten folglich ihre Heiratschancen, indem sie eine informelle Ausbildung im Haus ihrer Herrschaft erhielten.

Mit dem Wachstum städtischer Gesellschaften im 15. Jahrhundert drängten immer mehr Gesellen auf den Arbeitsmarkt, was den Konkurrenzdruck noch verstärkte. Infolgedessen wurden die Frauen nach und nach aus vielen Zünften verdrängt. Denn so stark die Position der Handwerkerinnern in den Zünften auch gewesen sein mag, gleichberechtigt waren Frauen in der patriarchalen Gesellschaft nicht. Zunächst wurde ihnen in vielen Zünften die Mitgliedschaft verweigert, einzig Witwen blieb die Möglichkeit, alleine eine Werkstatt zu führen. Dann wurde die Dauer begrenzt, für die eine Witwe den Betrieb nach dem Tod ihres Mannes weiterbetreiben durfte – war dieser Zeitraum überschritten, musste sie sich mit einem Gesellen oder Meister aus der Zunft neu verheiraten, um ihre Tätigkeit fortsetzen zu können. Als Nächstes wurde Dienstmägden und schließlich auch den Meistertöchtern die Mitarbeit in der Produktion verboten, so wurden die Meister gezwungen, mehr männliche Lehrlinge einzustellen. 5

Die Regularien griffen stark in das ein, was man heute ›Privatleben‹ nennt: Viele Zünfte verboten den Gesellen, zu heiraten, was diese sich ohnehin nicht hätten leisten können. Da die Meisterstellen in einer Stadt begrenzt waren, um die Konkurrenz niedrig zu halten, stellte die Ehe mit einer Witwe oder Meistertochter, also das Einheiraten in eine schon existierende Werkstatt, für die Gesellen manchmal die einzige Möglichkeit dar, Meister zu werden. Auch hier konnten die Ausbildung und die Zunftrechte die Aussteuer einer Frau erhöhen. Die Meister andererseits mussten den Zunftordnungen zufolge verheiratet sein, weil die Ehe einen stabileren Lebenswandel versprach, aber auch, weil ein Geschäft allein nicht zu führen war. In den verschiedenen Zunftordnungen wurden unehelich geborene Anwärter nach und nach von einer Mitgliedschaft in der Zunft ausgeschlossen; ein Weber in Frankfurt klagte 1455 gegen seinen Ausschluss aus der Zunft, weil er eine unehelich geborene Frau geheiratet hatte. Er gewann vor Gericht und durfte bleiben, seine Frau aber durfte an den Zunftfeiern nicht teilnehmen. 6

Die Verdrängung der Frauen aus den Zünften geschieht nicht so gradlinig, wie es hier erscheint, sondern über mehrere Jahrhunderte hinweg und je nach Stadt und Zunft in sehr unterschiedlichem Tempo. Die Hälfte der Bevölkerung in den Städten lebt von der Hand in den Mund, 50 bis 80 Prozent des Einkommens muss für Nahrung ausgegeben werden, Rücklagen oder Vorräte anzulegen ist nicht möglich. In ökonomisch schwierigen Zeiten wie dem Dreißigjährigen Krieg von 1618 bis 1648 mit seinen Verwüstungen, den Verheerungen durch Pestepidemien oder Missernten während der Kleinen Eiszeit 1570 bis 1700 versuchen die Wohlhabenden ihre Privilegien zu schützen. Damals wie heute gilt: Wenn es um Verteilungskämpfe geht, ob nun um...

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