Hartmann von Aue - Eine literaturwissenschaftliche Einführung

Hartmann von Aue - Eine literaturwissenschaftliche Einführung

von: Cordula Kropik

utb, 2021

ISBN: 9783846355626

Sprache: Deutsch

400 Seiten, Download: 9755 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Hartmann von Aue - Eine literaturwissenschaftliche Einführung



1.1. Wer war Hartmann von Aue? Biographischer Autor und literarische Autorbilder


Auch wenn die poststrukturalistische Kritik den Autor als Interpretationskategorie wirkmächtig in Frage gestellt hat, bleibt das wissenschaftliche Verständnis literarischer Texte auf den Autor als Produktionsinstanz bezogen. Das Wissen um die biographische Existenz des Autors hilft, Texte gesellschaftlich sowie wissensgeschichtlich zu kontextualisieren, nicht zuletzt mit dem Ziel, Interpretationen zu plausibilisieren (Jannidis 1999:25). Dies müsste auch und gerade für die mittelalterliche Literaturpraxis gelten, doch entziehen sich deren Akteure aufgrund der desaströsen Quellensituation zumeist einem wissenschaftlichen Zugriff: „Wir kennen im Mittelalter in der Regel nicht den Autor, der den Text hervorgebracht hat, sondern nur den Text, der den Autor hervorbringt“ (Wenzel 1998:5). Dies lässt sich beispielhaft an Hartmann von Aue zeigen. Unser gesamtes Wissen über ihn stammt aus literarischen Texten. Andere Quellen (Tauf- oder Sterberegister, Urkunden o.ä.), die Aufschluss über sein Leben geben könnten, gibt es nicht. Bei einer biographischen Rekonstruktion, die sich auf die Lektüre literarischer Texte des Mittelalters stützt, begegnen deshalb einige unhintergehbare methodische Probleme. Anders als in modernen Textausgaben existieren in mittelalterlichen Handschriften keine Titelblätter mit Angaben zum Verfasser. Wenn ein Autor seinen Text mit seinem Namen in Verbindung bringen wollte, musste er sich selbst nennen: Prologe und Epiloge sind bevorzugte Stellen solcher Selbstnennungen. Da diese in der Überlieferung nicht selten weggelassen wurden, war es für den Verfasser jedoch sicherer, seinen Namen an verschiedenen Stellen seines Werkes einzuflechten. Wer biographische Informationen aus solchen Selbstnennungen generieren möchte, steht schließlich vor dem methodischen Problem, dass Dichter über die Lizenz verfügen, Unwahres über sich zu erzählen (Kablitz 2008). Es gilt folglich, die biographische Autorexistenz nicht mit der literarischen Szenerie der Autorbilder und -stilisierungen zu verwechseln (Peters 1991:31). Nichtsdestotrotz hat die germanistische Forschung zahlreiche biographische Informationen aus solchen Selbstnennungen abgeleitet: Im Licht der Quellenkritik sind sie oft genug nicht haltbar (z.B. Bumke 2006:1–4, Wolf 2007:31–35). Was kann vor diesem Hintergrund denn überhaupt als gesichertes oder doch zumindest wahrscheinliches biographisches Wissen über Hartmann von Aue gelten?

1.1.1. Der Name


Hartmann nennt sich in seinen Texten selbst Hartmann von Ouwe. Diese Selbstbezeichnung findet leicht variiert (Der von Ouwe, Der Ouwære) Bestätigung in den Dichtungen anderer Autoren, die Hartmann als einen der größten Dichter seiner Zeit herausstellen (→ Kap.12.). So heißt es im ‚Tristan‘ Gottfrieds von Straßburg:

Hartman der Ouwære,

[…]

swer guote rede ze guote

und ouch ze rehte kan verstân,

der muoz dem Ouwære lân

sîn schapel unde sîn lorzwî (GoTr 4621; 4634–4637)

Hartmann, der Ouwære, […] wenn einer gute Dichtung gut und auch richtig beurteilen kann, so muss der dem Ouwære seinen Ehrenkranz aus Lorbeer zugestehen.

Die Schreiber der großen Lyrik-Sammelhandschriften um 1300 nennen ihn übereinstimmend Her Hartman von Owe (zur Weingartner Liederhandschrift B und Codex Manesse C, → Abb. 1.1. und 1.2.). Auch wenn das Owe hier dem vielfach im Minnesang genutzten Leidausruf owê entspricht (so z.B. in Hartmanns Lied IV: Owê, waz tæte si einem man, / dem sî doch vient wære, MF 209,15f.) und daher die literarische Klagefigur des unglücklichen Liebenden aufruft, machen die weitgehenden Namensübereinstimmungen nahezu sicher, dass es einen Autor mit Namen Hartmann von Aue gegeben hat.

Autorbild zu den Liedern Hartmanns von Aue in der Weingartner Liederhandschrift (B).

Autorbild zu den Liedern Hartmanns von Aue in der Großen Heidelberger Liederhandschrift (C).

1.1.2.  Datierung und Herkunft


Die Entstehung mittelalterlicher Literatur kann in aller Regel nicht genau datiert werden. Anders als moderne Textausgaben gibt es in mittelalterlichen Codices keine Titelei, der das Erscheinungsdatum zu entnehmen wäre. Zudem haben wir weitestgehend keine Autographe, d.h. vom Autor selbst verfasste Texte. Mittelalterliche Literatur liegt nahezu immer in Abschriften vor, die lange Zeit nach der Entstehung der Dichtung angefertigt wurden. Das gilt auch für Hartmanns Texte. Die überlieferten handschriftlichen Zeugnisse seines Werks datieren vom frühen 13. Jahrhundert bis ins frühe 16. Jahrhundert (→ Kap. 2.). Ferner gibt es in den Texten Hartmanns keine einzige zeitgeschichtliche Anspielung, die einen sicheren Anhaltspunkt für eine Datierung bietet. Dennoch können wir die Schaffenszeit Hartmanns ungefähr auf die Jahre 1180–1200/05 eingrenzen. Dazu bedienen wir uns der Erwähnung Hartmanns sowie seiner Romane ‚Erec(k)‘ und ‚Iwein‘ im ‚Parzival‘ Wolframs von Eschenbach. Aus dieser Erwähnung resultiert, dass Hartmann seine Romane vor der Entstehung des ‚Parzival‘ verfasst haben muss. Den ‚Parzival‘ aber können wir ungefähr datieren, weil sich darin eine Anspielung auf ein historisches Ereignis findet. Wolfram vergleicht nämlich die im Roman geschilderte Zerstörung einer Landschaft durch ein Belagerungsheer mit der Verwüstung der Erfurter Weingärten in der historischen Realität:

Erffurter wîngarte giht

von treten noch der selben nôt:

maneg orses vuoz die slâge bôt. (WoPz 379,18–20)

Die Erfurter Weingärten befinden sich durch Tritte immer noch in der gleichen Not: Viele Hufschläge verwüsteten sie.

Damit spielt Wolfram wahrscheinlich auf die Zerstörungen im Erfurter Umland an, die während der Belagerung der Stadt im Zuge des Thronstreits zwischen Philipp von Schwaben und Otto IV. im Jahr 1203 entstanden sind. Da in der Formulierung Wolframs die Weingärten immer noch zerstört sind, setzt man die Entstehung dieser Textstelle des ‚Parzival‘ um 1205 an. Damit wäre für Hartmanns Dichtung ein terminus ante quem gewonnen.

Noch unsicherer sind die Indizien für den Beginn von Hartmanns Autorschaft. Die Prätexte der beiden Artusromane Hartmanns, Chrétiens de Troyes ‚Erec et Enide‘ und ‚Yvain‘, lassen sich ebenfalls nicht genau datieren. Man nimmt als Entstehungszeiten die Jahre um 1165 bzw. um 1175 an. „Die verwertbaren Anhaltspunkte sichern nur einen Datierungsrahmen. Hartmanns literarische Aktivität gehört in die letzten beiden Jahrzehnte des 12. Jahrhunderts; ob sie das vorletzte Jahrzehnt ganz oder nur zum Ende hin ausfüllte und auch noch in das erste Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts reichte, ist nicht sicher auszumachen“ (Cormeau/Störmer ³2007:31).

Eine relative Chronologie, also eine Reihenfolge der Dichtungen Hartmanns, ist nicht wirklich zu erweisen, auch wenn man sich in der Forschung konsensual auf die Reihung der Erzähltexte in der Abfolge ‚Erec(k)‘ – ‚Gregorius‘ – ‚Armer Heinrich‘ – ‚Iwein‘ verständigt hat. Diese Anordnung gründet auf den Vergleich von Reimtechnik, Wortwahl und Versrhythmus. Man geht dabei stillschweigend von der problematischen Prämisse aus, dass ein Autor sich mit fortschreitender Zeit stilistisch stetig verbessert. Gesichert scheint in der Reihung nur, dass der ‚Erec[k]‘ vor dem ‚Iwein‘ entstanden ist, da hier auf die Handlung des Erec[k]romans Bezug genommen wird, dessen Kenntnis bei den Rezipienten also erwartet werden kann. Die ‚Klage‘ wird zuweilen als Erstlings- oder neben dem ‚Erec(k)‘ als Frühwerk Hartmanns angesehen, doch bietet die als Beleg für diese Einordnung herangezogene Selbstbezeichnung Hartmanns als jungelinc (HaKl 7) keine hinreichende Sicherheit (zur Problematik der biographischen Auswertung der Selbstaussagen: → Kap. 1.1.3.). In den Liedern gibt es nicht einen einzigen Anhaltspunkt, der eine Datierung zuließe.

 

Noch größere Schwierigkeiten als die zeitliche Einordnung bereitet die Frage nach der Herkunft Hartmanns. Wir können ihn familiär gar nicht, regional nur sehr bedingt verorten. Beides hängt damit zusammen, dass es im 12. Jahrhundert noch keine Nachnamen gibt. ‚Von Aue‘ ist eine Herkunftsbezeichnung. Es handelt sich bei unserem Autor folglich um Hartmann aus Aue. Allerdings wissen wir nicht, aus welchem ‚Aue‘ Hartmann stammt. In der Forschung gilt der Südwesten Deutschlands, das alte Herzogtum Schwaben, als...

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