Überhitzt - Die Folgen des Klimawandels für unsere Gesundheit. Was wir tun können

Überhitzt - Die Folgen des Klimawandels für unsere Gesundheit. Was wir tun können

von: Claudia Traidl-Hoffmann, Katja Trippel

Duden, 2021

ISBN: 9783411913596

Sprache: Deutsch

304 Seiten, Download: 10112 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Überhitzt - Die Folgen des Klimawandels für unsere Gesundheit. Was wir tun können



STATT EINES VORWORTS: EIN TREFFEN IM VIRTUELLEN RAUM MIT DR. ECKART VON HIRSCHHAUSEN


Eckart von Hirschhausen: Hallo Claudia, hallo Katja. Ich kenne euch ja beide einzeln schon länger, nun schreibt ihr zusammen ein Buch über Klimawandel und Gesundheit. Ich bin neugierig. Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt?

Katja Trippel: Klassisch – im Internet.

EvH: Wie jetzt? Parship? Insta?

Claudia Traidl-Hoffmann: Nein, ganz seriös über Duden! Der Verlag hat uns bei einer Videokonferenz wie dieser hier »verkuppelt«. Und es hat gleich gepasst.

EvH: Na, dann hätten wir das ja schon mal geklärt. Katja, du hast als Umweltjournalistin bereits viel zum Thema Klimawandel gearbeitet, aber hattest du schon mit Medizinern dazu Kontakt?

KT: Nie! Ich war mit Biologinnen, Gletscherforschern, Korallenexpertinnen und anderen Naturwissenschaftlern unterwegs oder habe sie interviewt, aber Claudia ist tatsächlich die erste Ärztin, mit der ich über das Thema spreche – und die auch selbst zum Thema Klimawandel forscht.

EvH: Claudia, wir sind uns über das Netzwerk KLUG begegnet. Das steht für die Allianz »Klimawandel und Gesundheit«, in der sich verschiedene Berufsgruppen aus dem Gesundheitswesen verbunden haben. Wie lange begleitet dich das Thema schon?

CTH: Schon eine Weile. Irgendwann hatte ich als Allergologin in meiner Ambulanz mit immer mehr Patientinnen und Patienten zu tun, deren Beschwerden nicht in das »normale« Lehrbuchschema passten. Auf einmal kam da im Januar ein Teenager mit schwerem Heuschnupfen zu mir. Und im März stellte sich ein Förster mit Zeckenstichen und Borreliose vor.

EvH: Was hast du dann gemacht?

CTH: Bei dem Heuschnupfen-Patienten war ich zuerst etwas erschrocken und dachte: Das kann eigentlich nicht sein, das ist doch viel zu früh im Jahr! Wir haben dann Pollenfallen aufgestellt und nachweisen können, dass die Pollen tatsächlich schon so früh flogen. Spätestens da war meine Neugier als Wissenschaftlerin geweckt. Und schnell war klar: Hier sind so komplexe Veränderungen im Gange, dass man sie am besten interdisziplinär erforscht.

EvH: Wie hat das Interdisziplinäre dann in diesem konkreten Fall ausgesehen?

CTH: Wir haben einen Aerobiologen um Hilfe gebeten, der kennt sich mit kleinsten organischen Partikeln in der Luft aus. Mit ihm haben wir Daten zum Pollenflug der letzten dreißig Jahre aus ganz Europa angeschaut. Und die zeigen sehr deutlich, dass die Pollensaison immer früher beginnt, länger dauert und dass auch die Menge an Pollen zunimmt.

EvH: Achtung, kein Wortwitz, aber der Versuch einer Überleitung: von den Pollen zu den Polen. Katja, lange Zeit wurde die Klimakrise fast ausschließlich mit Problemen verbunden, die weit weg sind, wie zum Beispiel schmelzenden Polkappen, Dürre in Afrika und vom steigenden Meeresspiegel betroffenen Inseln, die man vorher auch nicht kannte.

KT: Ja, diese Bilder haben wir alle im Kopf, aber keine Bilder von heiß geschwitzten Kindern oder von Senioren kurz vor dem Hitzekollaps. Viel zu lange wurde so getan, als hätte das Thema Klimawandel nichts mit uns in Europa, geschweige denn mit uns in Deutschland zu tun. Dabei betrifft es uns alle. Nicht im gleichen Maß, aber verschont bleibt niemand. Ich habe das in verschiedenen Weltregionen erfahren.

EvH: Vielfliegerin – oder wie meinst du das?

KT: Ich bin viele Jahre tatsächlich viel gereist, vor allem für den Job, aber auch privat. Mein Mann kommt aus Neukaledonien, das ist eine französische Insel im Pazifik. Dort haben sich die Jahreszeiten, seit er mit zwanzig Jahren nach Europa kam, total verschoben, und es ist, wie in Deutschland, viel trockener geworden. Dass die Sache mit den Pollen hier bei uns mit der Klimaerwärmung zu tun hat, war auch mir als Fakt neu. Gemerkt habe ich es aber schon, denn ich schniefe im Sommer deutlich länger als früher – wegen Ambrosia.

CTH: Ja, Ambrosia, das Traubenkraut. Da standen auf einmal Patienten vor mir, die ein schweres Asthma entwickelten, und das im Spätherbst! Das konnten wir uns auch erst nicht erklären, bis wir feststellten, dass da eine Pflanze dahintersteckt, die bisher nicht bei uns zu finden war: Ambrosia, eine Pflanze, die durch den Klimawandel bei uns eine Heimat gefunden hat.

KT: Und die von unseren Behörden bis heute nicht effizient bekämpft wird, wie wir im Kapitel »Allergien, Pollen und Luftverschmutzung« darstellen. Eckart, wann hast eigentlich du gemerkt, dass du um das Thema Klima nicht mehr herumkommst?

EvH: Mein Aha-Moment in Berlin war, als ich im Sommer 2018 meine Dachgeschosswohnung kaum mehr betreten konnte, weil es dort so heiß war, als wäre ich in einer Sauna. Dann will man das Fenster aufmachen, aber draußen ist es genauso heiß. Da spürte ich, wie mir die Klimaveränderung buchstäblich unter die Haut geht und körperlich zu schaffen macht. Auch geistig, denn wie will man bitte bei vierzig Grad einen kühlen Kopf behalten?

KT: Stimmt, den braucht man – zum Beispiel zum Schreiben. Aber selbst mit einem kühlen Kopf ist manches nicht zu verstehen. Ein Beispiel: Die Fachzeitschriften sind voll mit Studien oder Berichten über Hitzetote, über neue Insekten, die neue Viren übertragen, über das erwähnte Allergiethema. Oft werden da auch gute Lösungsideen vorgeschlagen. Wie kann es dann trotzdem sein, dass das alles bislang weder in der Öffentlichkeit noch auf der Ebene der politischen Entscheiderinnen und Entscheider als relevantes Thema angekommen ist?

EvH: In der Medizin auch noch nicht. In meiner Ausbildung zum Arzt spielte das Thema Klimawandel überhaupt keine Rolle. Wir lernten etwas über Tropenkrankheiten wie das West-Nil-Fieber, aber keiner hat uns darauf vorbereitet, dass wir das jemals in echt diagnostizieren würden – vor unserer Haustür. Ist das heute anders, Claudia?

CTH: Na ja. Der Ärztetag in diesem Jahr hat das Hauptthema »Klimawandel und Gesundheit«, und unsere Medizinabsolventen bekommen auch bereits Examensfragen zum Thema. Aber wir sind immer noch weit weg von einem verbindlichen Lehrplan, anders als etwa in Frankreich. Dort lernen junge Medizinerinnen und Mediziner wie auch das künftige Pflegepersonal, wie sie beispielsweise bei Hitzewellen Dehydrierungen vorbeugen oder wie sie die Dosis der Medikamente anpassen müssen, etwa beim Blutdruck.

KT: So ließen sich auch bei uns im Sommer viele Leben retten!

CTH: Ja, das stimmt. Immerhin tut sich an vielen Unis inzwischen etwas, angestoßen durch einzelne engagierte Kolleginnen und Kollegen. Bei uns an der Technischen Universität München konnten wir zum Beispiel eine Summer School zum Thema Umweltmedizin einrichten, und die Studierenden nehmen das super dankbar an. Wenn’s ums Klima geht, wissen viele Zwanzigjährige tatsächlich besser Bescheid als ihre Dozenten.

EvH: Das bestätigt meinen Eindruck von Klima-Aktionstagen und Seminaren, die KLUG neuerdings organisiert. Mich lässt das hoffen, dass das Klimathema zukünftig in den Gesundheitsberufen insgesamt eine viel größere Aufmerksamkeit erfährt als bisher. Vielleicht stimmt ja, was Victor Hugo mal gesagt hat: Nichts ist so machtvoll wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist!

KT: Absolut! Bei der Recherche für das Buch habe ich viele beeindruckende Leute kennengelernt, die diese Idee umtreibt. Damit meine ich Expertinnen und Experten aus verschiedensten Disziplinen, die sich alle aktiv darum bemühen, die gesundheitlichen Folgen der Klimaerwärmung in Schach zu halten: Botanikerinnen, Stadtplaner, Virologinnen, Umweltingenieure und so weiter. Denn wir stecken tatsächlich schon mittendrin, sprich, die Umwelt entwickelt sich in eine Richtung, die uns nicht guttut, womöglich sogar krank macht.

EvH: Um noch deutlicher zu werden: Wir müssen nicht »das Klima« retten, sondern uns. Die Erde hat Milliarden Jahre gut ohne Menschen existiert und wird uns auch nicht groß vermissen, wenn wir uns weiter derart selbstzerstörerisch verhalten. Als Arzt kenne ich die zentrale Reihenfolge: Erst muss die Diagnose stehen, dann entscheidet man über die Therapie. Und mein Gefühl ist, dass viele die Ernsthaftigkeit der Diagnose noch nicht begriffen haben. Und deshalb auch nicht verstehen, wie dringlich fundamentale Veränderungen jetzt sind.

CTH: Man muss eben auch mal über den Tellerrand schauen. Größere Zusammenhänge lassen sich besser erkennen, wenn man sich mit Forschenden aus anderen Disziplinen austauscht. Manchmal nenne ich mein Forschungsgebiet der Umweltmedizin auch »Suppenforschung«, weil man es mit so vielen Zutaten und Elementen gleichzeitig zu tun hat. Aber es wächst zum Glück auch bei den Institutionen das Bewusstsein für eine stärkere interdisziplinäre Forschung. Zum Beispiel haben die verschiedenen Helmholtz-Forschungsinstitute sich jetzt zur Klimaallianz zusammengetan, und in...

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