Jagdlust - Warum es schön, gut und vernünftig ist, auf die Pirsch zu gehen

Jagdlust - Warum es schön, gut und vernünftig ist, auf die Pirsch zu gehen

von: Eckhard Fuhr

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2012

ISBN: 9783838715094

Sprache: Deutsch

208 Seiten, Download: 1456 KB

 
Format:  EPUB

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Jagdlust - Warum es schön, gut und vernünftig ist, auf die Pirsch zu gehen



DER JAGDSCHEIN


Er ist nicht alles. Aber ohne ihn ist alles nichts. Lindgrün ist das 16 Seiten starke Heftchen im Oktavformat. Nichts daran ist vom Computer lesbar, nirgendwo findet sich ein Chip. Stolz hält sich der Jagdschein abseits von der Masse der Bank-, Kredit- und Krankenversicherungskarten, die furchtbar bunt sein müssen, damit sie sich voneinander unterscheiden. Sie sind alle nur Datenträger, die erst dann etwas zu sagen haben, wenn sie über ein Lesegerät an eine ferne, große, unheimliche Datenbank angeschlossen sind. Für sich sprechen die Plastikkarten nur sehr wenig. Sie dienen ausschließlich dem Zweck, die Individualität ihrer Besitzer digital zu verflüssigen und sie in die Netzwerke der Informations- und Überwachungsgesellschaft einzuspeisen. Je mehr Kärtchen einer besitzt, desto tiefer steckt er drin. Die eigentlichen Personaldokumente, Personalausweis und Reisepass, tragen stofflich zwar noch deutlicher etwas von der Würde und Einzigartigkeit des Individuums in sich. Doch auch sie unterliegen dem Trend zur Miniaturisierung und Digitalisierung. Der »Perso« ist schon beim Scheckkartenformat angelangt. Mein alter, noch nicht geschrumpfter gilt glücklicherweise noch einige Jahre. Irgendwann wird der Personalausweis zum Chip werden, der jedem Neugeborenen hinterm Ohr appliziert wird. Das erlebe ich hoffentlich nicht mehr. Auch der Pass ist schon kleiner geworden und in seinem Kernbestandteil nur noch ein Kunststoffdatenträger. Nur weil die Staaten es noch nicht aufgegeben haben, dem Reisenden Marken ihrer Souveränität in die Papiere zu drücken, weil also an den Grenzposten der Vereinigten Staaten, von Russland oder Burkina Faso hingebungsvoll gestempelt wird, ist der Reisepass noch aus hoheitlichem Papier mit Wasserzeichen und allem Drum und Dran.

Der Jagdschein aber besteht ausschließlich aus diesem Stoff. Er ist ein echtes Dokument, eine Urkunde, ein Produkt administrativer Handarbeit. In den Jagdschein werden die einschlägigen Verwaltungsakte hineingeschrieben – oft noch per Hand – und gestempelt. Mein erster, 1993 von der Stadt Frankfurt am Main ausgestellter und fünf Mal um je drei Jahre verlängerter Jagdschein hat im Laufe seines Lebens zwölf Siegel unterschiedlicher Herkunft und Größe in sich aufgenommen. Mit dem Hessischen Löwen bestätigt der Frankfurter Oberbürgermeister, dass das Passfoto den Jagdscheininhaber zeigt. Mit dem Bundesadler besiegelt er die Gültigkeit des Scheins, denn der ist ein Bundesdokument, und die Stadt handelt nur in Vertretung. In Berlin ist der Polizeipräsident für die Ausstellung und Verlängerung der Jagdscheine zuständig. Er führt den Bären im Siegel. Besiegelt wird nicht nur die Verlängerung der Gültigkeitsdauer. Auch jede Adressenänderung ist einen Stempel wert. Und dann gibt es da noch die Rubrik, in welche die Flächen eingetragen werden, auf denen dem Jagdscheinbesitzer als Eigentümer, Pächter oder Inhaber eines entgeltlichen Erlaubnisscheines, also nicht bloß als Jagdgast, die Ausübung der Jagd zusteht.

So kommt das südhessische Dorf Groß-Rohrheim nicht nur als mein Geburtsort zu einem ehrenvollen Platz in meinem Jagdschein, sondern auch als der Ort, an dem ich die längste Zeit jage. Seit vielen Jahren bin ich Mitpächter eines der beiden Groß-Rohrheimer Jagdbezirke, in die sich die Gemarkung unterteilt. Das Revier ist 948 Hektar groß. Da wir vier Pächter sind, wird mir aber nur ein Viertel angerechnet, 237 Hektar. Auf mehr als 1000 Hektar darf kein einzelner Jäger das exklusive Jagdausübungsrecht haben. All das steht im Jagdschein. Wenn man ihn zu lesen versteht, erkennt man, dass er geronnene Sozial- und Rechtsgeschichte ist. Auf den letzten Seiten gibt der Jagdschein einen Überblick über die Jagd- und Schonzeiten der einzelnen Wildarten nach der entsprechenden Bundesverordnung und über die Abweichungen, die in dem Bundesland gelten, in dem der Schein ausgestellt wurde. Das kann die manchmal etwas umständliche Ansage der sogenannten Freigaben vor einer Jagd – Welches Wild darf geschossen werden? – ungemein verkürzen. »Frei ist alles, was der Jagdschein erlaubt«, sagt der Jagdleiter dann.

Was erlaubt nun so ein Jagdschein? Was unterscheidet einen Menschen mit von einem Menschen ohne Jagdschein? Im Volksmund heißt »einen Jagdschein haben«, dass jemand nicht ganz dicht ist. Das geht auf den alten Paragrafen 51 im Strafgesetzbuch zurück, der von der Schuldunfähigkeit bei geistiger Unzurechnungsfähigkeit handelte. Wer unter diesen Paragrafen fiel, so die volkstümliche Interpretation, der konnte sich alles erlauben, er hatte freie Büchse, einen Jagdschein also. Das ist nicht nur eine sehr verkürzte Deutung des Rechtsbegriffs der Schuldunfähigkeit. Es verkennt auch grundlegend, welche Rechte sich aus einem Jagdschein ableiten. Von freier Büchse kann keine Rede sein. Der Jagdschein ist eine notwendige, doch keine hinreichende Voraussetzung zum Jagen. Zu ihm muss die Erlaubnis kommen, in einem bestimmten Gebiet zu jagen. Die Frage, wie der Jäger aus dem Reich der Möglichkeit ins Reich der Wirklichkeit tritt, wie er Zugang zur Jagd bekommt, wie er Einfluss, Macht und Verantwortung in Wald und Feld gewinnt und in welche Interessengegensätze er dabei gerät, das ist der Glutkern aller Jagdgeschichte und Jagdpolitik. Mit dem Jagdschein ist man erst einmal nur ein potenzieller Mitspieler auf diesem konfliktreichen Feld.

Aber das allein schon genügt, den Menschen, der aus der Masse der Nichtjäger in den Kreis der Jagdscheininhaber eingetreten ist, zu verwandeln. Jagdscheininhaber sind zum Beispiel meistens zu warm angezogen und tragen verhältnismäßig derbes Schuhwerk, als wollten sie sich und der Welt zeigen, dass sie jederzeit für ein Leben jenseits von kommoder Zimmertemperatur und gepflegtem Teppichboden gerüstet sind. Im Straßenverkehr stellen sie eine Gefahr für sich und andere dar, weil sie beim Autofahren aus den Augenwinkeln jeden Hochsitz, jedes am Straßenrand äsende Reh und jeden Flug Wildgänse registrieren, der keilförmig seinen Schlafgewässern oder den Feldern mit frischer Wintersaat zustrebt.

Auch in der Familie kann der Jagdscheininhaber zum schweren Problemfall werden. Nicht nur, dass er auf eine für die Angehörigen provokante Art und Weise über den Niederungen des Alltags schwebt und sich an Gesprächen über Schulprobleme der Kinder oder Ärger mit den Nachbarn meist nur mit überlegenem Lächeln und wissendem Schweigen beteiligt, als wären das bloß Kleinigkeiten. Er beginnt auch, das häusliche Umfeld in einer Weise umzuwandeln, die dem nicht jagenden Teil der Familie das Äußerste an Toleranz abverlangt. Wir reden jetzt nicht von den Rehbockgehörnen, Keilerwaffen und Gamskrucken, die er ja erst noch erbeuten muss, bevor er damit der Wohnung ein neues, unverwechselbares Gepräge geben kann. Schon indem er die Voraussetzungen für solche Jagderfolge schafft, führt der Jagdscheininhaber Dinge in den Haushalt ein, an die Frau und Kinder nicht im Traum dachten. Das beginnt mit Flinte, Büchse und einem Waffenschrank, für den erst einmal ein Platz gefunden werden muss, und hört mit Jagdmessern, Wildwannen, Aufbruchzangen, Rehlockern und allerlei signalfarbenen Kopfbedeckungen nicht auf. In den Katalogen der Jagdausstatter, die den Briefkasten des Jagdscheininhabers verstopfen, entdeckt dieser immer neue Sonderangebote von olivgrünen oder gedeckt karierten Hemden mit Plastikknöpfen in Hirschhornanmutung, Moleskin-Bundeswehrhosen, Naturkautschuk-Gummistiefeln, Wildbergehaken, Rucksäcken mit integriertem Hocker, Stiefelheizungen und chemischen Handwärmern. Die Kinder finden es irgendwann nicht mehr lustig, wenn für ihren Jagdschein-Vater jeden Tag Weihnachten ist. Neid nagt am familiären Frieden. Der Jagdscheininhaber muss jetzt schleunigst beweisen, dass das viele Geld für all das Zeug, das er herbeischafft, sinnvoll investiert ist. Er muss Beute nach Hause bringen und den Seinen ein Mahl bereiten, wie sie noch keines hatten. Wenn die Kinder sich beklagen, dass es schon wieder Rehkeule oder Wildschweinrücken gibt, dann ist die familiäre Reintegration des zum Jäger gewordenen Jagdscheininhabers ein gutes Stück vorangekommen. Es gibt wieder Hoffnung.

Der Tag, an dem ich die Jägerprüfung bestand und damit die wichtigste Bedingung für das Lösen des ersten Jagdscheines erfüllte, erscheint mir rückblickend wie eine Lebenswende. Die Jagd ist zu einem zentralen Teil meines Lebens geworden. Inzwischen bestimmt sie direkt oder indirekt nicht unerheblich auch meine journalistische Berufsarbeit. Weder das Abitur noch die Universitätsexamen versetzten mich in ein solches Hochgefühl wie das Bestehen der Jägerprüfung. Sie war das einzige Examen, bei dem ich ernsthaft mit dem Risiko des Durchfallens konfrontiert war. Nie hat mir die Vorbereitung auf eine Prüfung aber auch so viele neue Wissensgebiete erschlossen.

Manche Leute machen die Jägerprüfung, obwohl sie ernsthaft gar nicht jagen wollen. Es geht ihnen allein um das Wissen, um den vielfältigen Stoff, der nirgendwo sonst so konzentriert geboten wird und verarbeitet werden muss wie in der Vorbereitung auf das sogenannte Grüne Abitur. In der Schule jedenfalls erfährt man heute wenig oder nichts über die Zoologie unserer wild lebenden Säugetiere und Vögel, nicht nur jener, die zum jagdbaren Wild gehören. Auch Land- und Forstwirtschaft gehören nicht mehr zum Kanon der Allgemeinbildung.

Der angehende Jäger muss sich darüber hinaus in den Rechtskreisen auskennen, die sein künftiges Tun berühren, also im Jagdrecht, im Forstrecht, im Naturschutzrecht, im Waffenrecht, im Lebensmittelrecht. Er muss entscheiden können, ob ein erlegtes Wild genusstauglich ist oder erst noch einer veterinärmedizinischen Fleischuntersuchung zu unterziehen ist. Im Fach Jagdbetrieb geht es...

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