Yoga, Tee, LSD - Bewusstseinsveränderung in Wissenschaft und Alltag

Yoga, Tee, LSD - Bewusstseinsveränderung in Wissenschaft und Alltag

von: Andrea Jungaberle, Wulf Bertram

Schattauer, 2022

ISBN: 9783608118896

Sprache: Deutsch

328 Seiten, Download: 4414 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

geeignet für: geeignet für alle DRM-fähigen eReader geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen


 

eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Yoga, Tee, LSD - Bewusstseinsveränderung in Wissenschaft und Alltag



2 It Ain’t Me Babe – und was hat das alles mit dir zu tun?


Verändertes Wachbewusstsein – wenn ich den Begriff einfach so in den Raum werfe, löse ich in der Regel die verschiedensten Reaktionen aus: Einige nicken wissend oder gar mit einem kleinen Grinsen, andere können sich schlicht nichts darunter vorstellen.

So viel sei gesagt: Auch, wenn viele denken, dass das alles doch nun definitiv nichts mit ihnen zu tun hat – wir alle erleben immer wieder Momente des veränderten Wachbewusstseins, auch wenn wir es nicht unbedingt so nennen.

Und dafür gibt es sehr viele Beispiele, die wir alle kennen: Erinnere dich mal an die letzte Situation, in der du mit voller Aufmerksamkeit Musik gehört hast. Also nicht nebenbei, sondern mit der Entscheidung, eben jetzt Musik zu hören. Sei es bei einem Konzert in einer vollen Halle oder daheim auf der Couch, die Füße hochgelegt und vielleicht ein Glas Wein in der Hand. Fast jeder von uns hat »seine« Musik – die, die einen wegbeamt und in andere Welten entführt, bei der Gefühle, Erinnerungen oder innere Bilder hochkommen. Bei mir ist das z. B. Nils Frahm, ein Pianist, der viel mit elektronischer Verzerrung und Loops arbeitet. Bei vielen seiner Stücke habe ich das Gefühl, dass er sie nur geschrieben hat, um Leute zu verspulen und innerlich auf die Reise zu schicken. Bei anderen sind es ganz andere Musikstile oder Stimmungen: Ein laut wummerndes Beispiel ist Psy-Trance, ein Musikstil, der die Trance schon im Namen trägt und speziell für Tanz-Trance-Erfahrungen in großen Gruppen entwickelt wurde. Aber auch Bach, die Red Hot Chili Peppers oder Norah Jones haben das Potenzial, solche Zustände hervorzurufen. Oft gekoppelt an Erinnerungen oder konkrete Situationen.

Aber was meint der Begriff »verändertes Wachbewusstsein« denn nun genau? Wir versuchen mal eine Annäherung von verschiedenen Seiten:

Fangen wir ruhig mit der wissenschaftlichen Definition an und arbeiten uns dann in weniger trockene Gefilde vor. Also: Ein verändertes Wachbewusstsein (engl.: »altered state of consciousness«) ist definiert als ein Bewusstseinszustand, der sich »signifikant von einem normalen Wachbewusstseinszustand unterscheidet«. Dieser Versuch einer Definition wurde in 1960er-Jahren von Arnold Ludwig, einem amerikanischen Psychiater, eingeführt. Aber schon 60 Jahre zuvor wurde der Begriff vereinzelt benutzt – damals vor allem im Zusammenhang mit der Hypnose. Und wenn er auch gerade in diesem Zusammenhang erstmal ganz schick und brauchbar anmutet, bringt er uns doch potenziell in einige Schwierigkeiten, wenn wir versuchen, ihn auf alltagsnähere veränderte Wachbewusstseinszustände anzuwenden, landen wir ganz schnell in einer Sackgasse. Was bedeutet in diesem Zusammenhang »signifikant«? Die Erkennbarkeit von außen ist kein gutes Kriterium. Natürlich sehe ich, wenn jemand total bekifft ist. Aber die große, stille Bewusstseinsleere bei tiefer Meditation oder die Gefühlsregungen durch intensive Musik stehen den Leuten nicht auf die Stirn geschrieben. Sie sind manchmal nicht mal zu erahnen. Dazu kommt, dass das, was für Lisa »normal« ist, vielleicht für Tom schon einen veränderten Bewusstseinszustand darstellt: Es gibt also Unterschiede zwischen Individuen. Darüber hinaus gibt es aber auch kulturelle Unterschiede. Wer schon mal eine arabische Großfamilie beim Trauern beobachtet hat, weiß vermutlich, wovon ich spreche. Als Notärztin habe ich da schon mal eine Dame mittleren Alters ins Krankenhaus bringen müssen, die im hochausdrucksvollen, emotional-schmerzlichen Überschwang glatt einen Schlaganfall erlitten hatte. Die drei anderen hyperventilierenden Damen im überfüllten Wohnzimmer verblieben mit Papiertüten zum Reinatmen vor Ort. Hier ein Spoileralarm: Auf die Hyperventilation werden wir in den kommenden Kapiteln noch einmal zurückkommen.

Weitere Beispiele für kulturell unterschiedliche Bezugsrahmen für normales und verändertes Bewusstsein sind etwa das Konzept der Präsenz der Ahnen als ganz normaler Alltagsbestandteil in vielen asiatischen Kulturen. Die sind halt einfach da. Und nicht als abstraktes theologisches Konzept, sondern als ganz reale Präsenzen, die durch den Alltag begleiten und auch mit Essensgaben auf dem Hausaltar versorgt werden müssen. Wenn dir deine WG-Partnerin erzählen würde, dass sie ihrer toten Oma jeden Abend Eierlikör und Kekse hinstellt, würdest du vermutlich tendenziell an ihrer geistigen Gesundheit zweifeln. Aber genau das ist der Punkt: »Normal« ist keine feste Größe, sondern variiert zwischen einzelnen Menschen, kulturellen Hintergründen und auch über die Lebensspanne hinweg. Wenn die eben angesprochene Oma zu Lebzeiten dement war, war ihr »normal« dann sicher auch ein anderes als in den 60er-Jahren.

Ein weiterer Punkt: Nicht nur was »normal« ist, ist Auffassungssache. Auch wie man mit »nicht normalen Bewusstseinszuständen« umgeht, ist global unterschiedlich. Wenn jemand vor einem Baum steht und diesen abwechselnd umarmt und wüst brüllend beschimpft, würden wir das als wahrscheinlich gefährlich und schwer geistesgestört wahrnehmen und überlegen, ob es notwendig ist, den Rettungsdienst zu rufen. In Kamerun, wo ich genau dieses Verhalten bei einem Mann in einer kleinen Siedlung beobachtet habe, führte das bei den Dorfbewohnern nur zu einem Achselzucken und der gechillten Aussage: »That’s Billy, he’s mad«. Das Konzept, dass manche Leute halt »mad« sind und in diesem Zustand im Dorfleben mitlaufen, war als komplett normal kulturell abgespeichert. Aber auch der Tatsache geschuldet, dass es gerade in vielen afrikanischen Ländern keinerlei Zugang zu Psychiatrien und entsprechenden Medikamenten gibt. Da bleibt die Psychose eben unbehandelt und muss von der Dorfgemeinschaft irgendwie mitgetragen werden.

Normal ist also auch, womit wir im Alltag vertraut geworden sind.

Außerdem gibt es noch den Aspekt, dass manche Bewusstseinsveränderungen einfach passieren, andere aber bewusst oder halbbewusst herbeigeführt werden – sei es durch bestimmte Bewusstseinstechniken, wie die eben schon genannte Meditation, oder eben Substanzen, die auf die Hirnchemie wirken und dadurch am Bewusstsein schrauben. Eben psychoaktive Substanzen. Schauen wir uns die mal genauer an:

Dass man nach einer Flasche Rotwein innerlich an einem anderen Ort ist als vor dem intensivierten Konsum eines vergorenen Traubenquetschproduktes, ist für die meisten von uns ein Allgemeinplatz. Und doch würden viele von uns die Veränderung ihres Bewusstseinszustands nicht unbedingt als den ersten Grund nennen, warum man den Korkenzieher rausgeholt hat. Mögliche Antworten wären vielleicht: Geschmack, Gewohnheit, Entspannung, Geselligkeit oder der Wunsch danach, soziale Hemmungen abzubauen. Zumindest die drei letzten Gründe zielen aber schon auf die gezielte Manipulation des eigenen Bewusstseins ab. Auch wenn wir nicht daran gewöhnt sind, es so klar zu benennen. Bei anderen Substanzen scheint der Zusammenhang jedoch glasklar: Vieles dessen, was im Alltag unter dem Begriff »Drogen« subsumiert wird, dient klar dazu, sich in einen anderen Orbit zu schießen. Das »Wohin« kann sich dabei sehr unterscheiden: Zwischen dem flauschig-diffusen Wohlbefinden auf Opiaten wie Heroin, der brutalen Aufgedrehtheit durch Amphetamine wie Speed und den wabernden Visionslandschaften unter LSD liegen Welten. Aber was macht mein 9-jähriger Sohn eigentlich, wenn er nach der Schule erstmal einen Riegel Schokolade schnorren kommt? Letztlich nichts anderes, als sich mit einem zuckerbedingten Dopamin-Kick in einen anderen Bewusstseinszustand von Wohlbefinden und Ruhe zu befördern. Er hat sogar die Einsichtsfähigkeit, das genauso zu benennen: »Ich will was Süßes, weil ich mich dann besser fühle.« Hut ab, so viel checken viele Erwachsene nicht, was ihre Motive und Bedürfnisse angeht.

Solche kleinen Alltagskicks verpassen wir uns ja letztlich alle ständig: Nicht umsonst sind die Kaffeemaschine und die Gummibärchenschale fester Bestandteil des Büroinventars. Morgens hoch mit Espresso und Honigbrötchen, abends runter mit Bier oder Rotwein. Und das ist ja auch komplett okay – allerdings sollte uns klar sein, dass gerade unsere Alltagsmodulatoren Zucker, Alkohol und Nikotin ganz schön üble Nebenwirkungen mit sich bringen können, wenn man (was leicht passiert) die Kontrolle über den Konsum verliert: Diabetes, Leberschäden und Lungenerkrankungen entstehen nicht schnell, sondern schleichend und über viele Jahre. Deswegen ist es so wichtig zu verstehen, warum wir uns Substanzen als dauerhafte Krücken zur Verbesserung unseres Befindens zugelegt haben: Zigaretten als Stresshemmer, Pralinen als Mittel gegen schwierige Gefühle.

Also zurück. Jeder von uns erlebt jeden Tag Veränderungen...

Kategorien

Service

Info/Kontakt