Die monetäre Maschine - Eine Kritik der finanziellen Vernunft

Die monetäre Maschine - Eine Kritik der finanziellen Vernunft

von: Aaron Sahr

Verlag C.H.Beck, 2022

ISBN: 9783406782336

Sprache: Deutsch

448 Seiten, Download: 883 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Die monetäre Maschine - Eine Kritik der finanziellen Vernunft



1. Das Tauschparadigma


Was ist eine Zahlung?


Wie oft haben Sie heute schon gezahlt? An der Supermarktkasse auf dem Weg zur Arbeit vielleicht, für eine Tageszeitung und einen Milchkaffee to go im wiederverwendbaren Becher, beim Mittagessen in einem angesagten kleinen Bistro um die Ecke, für einen Teriyaki-Bowl und einen Chia-Pudding für den Kollegen, der sein Portemonnaie «vergessen» hatte; oder unbewusst, weil Google-Pay ihr Gold-Abo einer Dating-App automatisch verlängert und den Betrag von ihrem Girokonto abgebucht hat oder die Miete zum Monatswechsel routinemäßig vom Konto eingezogen wurde? All diese Vorgänge sind Zahlungen. Zahlungen prägen unseren Alltag. Die Vertrautheit dieser sozialen Praxis (Zahlungen sind ja kein «Ding», sondern sie sind etwas, das man zusammen mit anderen tut) erklärt auch, warum uns tatsächliche oder mögliche Veränderungen von Zahlungsweisen so interessieren. Viel wird etwa über ein mögliches Ende des Bargelds und das Erstarken digitaler Zahlungen mit dem Smartphone gesprochen. Tatsächlich verschwindet Bargeld – blickt man etwa nach Nordeuropa – in vielen Ländern mehr und mehr von der Bildfläche und wird sogar von manchen Geschäften gar nicht mehr akzeptiert. Die Corona-Pandemie hat auch in Deutschland noch einmal zu einem Schub bargeldlosen Bezahlens geführt, weil die hygienischen Defizite der von einer Hand zur anderen herumgereichten Münzen und Papierscheine den Bedürfnissen eines Schutzes vor Schmierinfektionen entgegenstanden. Einigen bereitet ein mögliches Ende des Bargelds Sorgen, versprechen Münzen und Scheine doch Anonymität und ihre Haptik einen Anker in der Materialität. Tatsache ist jedenfalls, dass bargeldlose Zahlungsmethoden wie Kredit- oder Bankkarten, mobile Apps auf dem Handy, die Rechnungen kontaktlos begleichen, oder sogar ganze virtuelle Geldsysteme wie Bitcoin das Potpourri an Alternativen zu Papier und Metall immer mehr erweitern. In diesem Kapitel stehen allerdings nicht diese Veränderungen von Zahlungsweisen im Mittelpunkt als vielmehr die Praktik der Zahlung selbst.

Mit Zahlungen nehmen wir Teil an dem, was gemeinhin Ökonomie genannt wird; Zahlungen sind deswegen nicht nur lebensweltlich alltäglich, sondern auch systemisch zentral. Würden wir aufhören, zu zahlen, hatte Niklas Luhmann einmal geschrieben, würde die Wirtschaft selbst aufhören, zu existieren.[1] Damit meinte er, dass der Begriff «Wirtschaft» in einem soziologischen Sinne nicht jede Form der (Selbst-)Versorgung umfassen kann, sondern sich auf eine Praxis beziehen muss, auf einen Interaktionskontext zwischen Menschen, der um die Zahlung herum organisiert ist. Die Zahlung ist der Inbegriff dessen, was Menschen tun, wenn sie wirtschaftlich miteinander interagieren; jedenfalls ist das in «modernen» Wirtschaften der Fall. Es stellt sich angesichts ihrer Alltäglichkeit eine seltsame, bei genauerer Betrachtung dann allerdings doch theoretisch wie politisch hoch relevante Frage: Was zeichnet die wiederkehrende Interaktion – die Praktik – der Zahlungen eigentlich aus? Was tun wir, wenn wir zahlen?

Diese vermeintlich harmlose Frage führt mitten in die Geldtheorie. Denn was wir unter einer Zahlung verstehen, hängt unmittelbar davon ab, wie wir uns Geld vorstellen. Diese Bedingtheit gilt es aufzuklären, und dies ist der erste in der Einleitung angekündigte Schritt, um den Zusammenhang zwischen einer Theorie des Geldes und einer Theorie der Geldwirtschaft zu beleuchten. Wenn wir zahlen, nehmen wir an der Geldwirtschaft teil. Aber was genau tun wir, wenn wir eine Geldwirtschaft «betreiben», und wie ist vor diesem Hintergrund eine Theorie des Geldes zu konzeptualisieren? Darauf gibt es eine populäre Antwort, um die es nun gehen soll.

Üblicherweise versteht man unter einer Zahlung einen Tausch von Eigentum. Eigentum ist im Gegensatz zu Besitz (Verfügungsgewalt) ein Rechtsanspruch. Worin genau er besteht, darüber herrscht in der politischen Eigentumstheorie und Rechtswissenschaft keine Einigkeit. Als kleinster gemeinsamer Nenner könnte jedoch festgehalten werden, dass Eigentum als ein Set an Ansprüchen an Dritte verstanden wird, das diese von der Nutzung einer Sache ausschließt, wobei «Nutzung» das Empfangen von Erträgen aus jener Sache, deren Modifikation oder Verbrauch bedeuten kann. Ein ökonomischer Tausch wäre dann ein Wechsel von Eigentumsrechten über zwei Sachen, die fortan dem jeweils anderen Tauschpartner oder der jeweils anderen Tauschpartnerin gehören. In der Soziologie wird der Begriff «Tausch» zwar gerne mehr oder weniger metaphorisch für alle möglichen Interaktionsformen wie Geschenke, Intimbeziehungen oder politische Vereinbarungen verwendet; im Folgenden meinen wir mit Tausch aber jeweils die wechselseitige Übertragung von Eigentum an einer Sache.

Unter einer Zahlung wird nun nicht nur alltagsweltlich, sondern auch in vielen Theorien und Forschungsansätzen ein Tausch von Waren gegen Geld verstanden, von der Eigentumssache «Ware» gegen die Eigentumssache «Geldbetrag». Der Terminus «Ware» wird ebenso uneinheitlich verwendet wie «Tausch».[2] Hier meinen wir: eine Sache, die jemandem im Sinne von Eigentum gehört (oder gehören kann) und die von anderen begehrt wird, das bedeutet: die einen Tauschwert vis-a-vis anderer Eigentumssachen hat. Es gibt also eine häufig anzutreffende, zumeist allerdings nicht ausführlich explizierte Vorstellung des Umgangs mit Geld, in der mit dem, was wir mit Geld tun, wenn wir zahlen, ein Tausch von Geld gegen Waren gemeint ist. Wenn wir an der Supermarktkasse für unseren Einkauf aus Nudeln, Soße, Milch und Käse zahlen, dann tauschen wir diese Waren gegen unser Geld und übertragen damit wechselseitig Eigentumsrechte an Sachen, nämlich an den Papierscheinen oder Kontoguthaben, mit denen wir bezahlen, und den Nudeln, der Soße, der Milchtüte und den Käsestückchen. Diese alltagsweltlich gebräuchliche Beschreibung ist durchaus sinnvoll und auf den ersten Blick auch unproblematisch, was bedeutet, dass sie als Orientierung hilfreich ist und deswegen die lebensweltliche Realität eines solchen Einkaufs gut abbildet. Deswegen kann es auch soziologisch wertvoll sein, in der Untersuchung monetärer Praktiken (wie etwa dem Einkauf) eine solche tauschtheoretische Interpretation der Praktik der Zahlung anzulegen. Wenn wir später von dieser intuitiv überzeugenden Beschreibung einer Geldzahlung als Tausch von Geldeigentum gegen Wareneigentum abrücken, dann nicht, weil ich ihre soziologische Adäquatheit generell in Frage stellen will, sondern weil man ihr erhebliche Defizite bei der Erfassung des gesellschaftlichen Anforderungsprofils und Leistungspotenzials modernen Geldes nachweisen kann. Die Semantik des Tausches offeriert dennoch wichtige Einsichten in die politische Qualität des Geldes, wie im nächsten Kapitel zumindest kursorisch angemerkt werden soll; allerdings ist sie eben auch mitverantwortlich für die hochemotionale Ablehnung, die Vorschläge einer politischen Nutzung des Geldes seitens Beardsley Ruml und der MMT hervorrufen, gerade weil ihr Blickfeld in Bezug auf Anforderungsprofil und Leistungsangebot eingeschränkt ist. Die Einschränkung im Blickfeld kommt dadurch zustande, dass sich in der Interpretation der Zahlung als Austausch zweier Eigentumssachen eine Kontinuität zwischen vormodernem und modernem Geld zeigt, die tatsächlich die Gestalt der politischen Architektur unseres Geldes eher verstellt als erhellt.[3]

Die archetypische Vorstellung vormodernen Geldes ist eine Münze aus wertvollem Metall. Blicken wir auf eine «vormoderne» Goldmünze und stellen uns eine Zahlung im Vergleich zu einer Zahlung in der Gegenwart vor. Mit einer Goldmünze ging man zu einem Markt, wählte aus, was man begehrte, feilschte um den Preis und überließ der Verkäuferin oder dem Verkäufer schließlich die Münze und nahm dafür sein neu erworbenes Eigentum mit nachhause. In diesem Bild scheint es keinen großen Unterschied zur Gegenwart zu geben, immer noch geht man mit seinem Euro, seinem Papierschein oder seiner Geldkarte auf Märkte und zahlt den Preis für die Produkte, die man erwerben möchte – das heißt: Man übergibt Geldeigentum und erhält im Austausch Wareneigentum. Der einzige Unterschied besteht vermeintlich darin, dass das Geldeigentum nicht mehr aus einem intrinsisch wertvollen Material besteht, sondern aus «Fiat-Geld», also stoffwertlosen Geldbeträgen. ...

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