Deutschland im Zeichen des Hakenkreuzes

Deutschland im Zeichen des Hakenkreuzes

von: Manuel Chaves Nogales, Frank Henseleit

Kupido Literaturverlag, 2022

ISBN: 9783966751513

Sprache: Deutsch

150 Seiten, Download: 8395 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Deutschland im Zeichen des Hakenkreuzes



Einführung zur ersten deutschsprachigen Ausgabe

Bei der hier vorliegenden Reportage stellt sich zurecht die Frage nach ihrer Aktualität. Sie erscheint auf Deutsch 90 Jahre nach ihrer Niederschrift und ihrem einmaligen Abdruck in der Zeitung AHORA. Chaves Nogales’ Beobachtungen stellen sich zu den vielen Büchern über den Alltag im Nationalsozialismus, die nach 1945 erschienen, aber vor allem zählen sie zu den wenigen, die erschienen, als man Berichte über die Militarisierung Deutschlands nach der Machtergreifung noch für „alarmistisch“ hielt. Ein weiteres Beispiel wäre Leland Stowe’s Nazi Means War, ein Bericht, in dem Deutschland als Nation auf dem klaren Weg in einen erneuten Krieg analysiert wird. Texte wie die Stowe’s, der schon 1933 geschrieben wurde, sind rar. Wir werden später auf Leland Stowe zurückkommen.

Unser historisches Bewusstsein formiert sich aus einer Auswahl von einigen, vielleicht Hundert Stunden Filmmaterial, Tonaufnahmen und einem Kanon an Dokumenten, sodass wir – früher als Tätervolk – und heute als Erben unserer Geschichte die Aufarbeitung beginnen konnten. Inwiefern uns diese eingezirkelte Quellenlage beeinflusst, wie wir die Periode des Nationalsozialismus sequenzieren und Kausalitäten aufstellen, die Antwort auf diese Frage weiß ich nur zu vermuten, aber auch die Summe der Erinnerungen aus den Fotoalben unserer Vorfahren wird kleiner, obwohl es immer dieselbe Anzahl Bilder enthält. Die Geschichte, die das Album erzählt, erweitert sich nur noch selten durch Erlebnisse, vielmehr schwindet sie durch die Abnahme lebendiger Erinnerungen. Die auf Deutsch erstmals vorliegende Reportage aus dem Jahr 1933 aus den ersten Wochen des Terrors nach der Machtergreifung Hitlers ist nach 90 Jahren gleichsam ein Innehalten der Geschichte, die sich immer weiter entfernt; das aus erster Hand Erzählte, die Stimmen der Überlebenden verstummen zunehmend und schriftliche Quellen versiegen. Wenn auch spät werden Mittäter in diesen Tagen noch von Gerichten als Täter verurteilt, angeklagt von den letzten Überlebenden aus Konzentrationslagern. Meistens hören wir von ihnen noch einmal, wenn sie die Welt verlassen haben. Fassungslos stoßen wir heute erneut auf den Typen des politischen und imperialistischen Demagogen und auf Gesellschaften, die ihre Bürgerrechte zugunsten eines Kults der Größe und geschichtlichen Vorsehung abtreten und zu größten Grausamkeiten gegen die Zivilisation „Ja“ sagen, oder „Ja“ sagen würden.

Bücher über den Nationalsozialismus werden ihre Aktualität nie verlieren, doch mit dem Verschwinden der Zeugen wird die Sprache unweigerlich sich verändern, und es geht nicht darum, wie spät das Reflexivpronomen im Satz kommt, sie droht dem Feld der Meinung über unmenschliche Regime überlassen, etwa acht Prozent der Deutschen grenzen sich nicht gegen den Nationalsozialismus ab, sind „Philofaschisten“. Die Herausgabe der Tagebücher Victor Klemperers, die 1995 postum und vor allem mit der Distanz eines halben Jahrhunderts zum letzten Eintrag 1945 erschienen, bezeugen, welche Bedeutung lebendige Erinnerungen haben. Bücher wie Klemperers sind zuletzt lebendig gehaltene Erinnerungen – und ein Stachel für diese acht Prozent.

An anderer Stelle habe ich mir erlaubt, Victor Klemperer (1881 – 1960) und Manuel Chaves Nogales (1897 – 1944) in einem Atemzug zu nennen, im Nachwort zu Chaves Nogales’ Roman Die Erinnerungen des Meistertänzers Juan Martínez, der dabei war, der 2016 auf Deutsch erschien. Nicht immer stieß dieser Vergleich auf Verständnis, was daran liegen dürfte, dass man diesen Spanier im deutschsprachigen Raum kaum kennt.

Es ist also angebracht, den Journalisten Manuel Chaves Nogales der Leserschaft vorzustellen. Erfreulich ist, dass ihn das deutschsprachige Feuilleton zunehmend entdeckt, und dennoch sei erwähnt, dass dieser von einem halben Dutzend hiesiger Verlage abgelehnt wurde, sodass der Kupido Literaturverlag auch mit der Idee ins Leben gerufen wurde, Adelungen wie „die größte literarische Wiederentdeckung der letzten Jahrzehnte“ (WDR) und „eine der spektakulärsten literarischen Wiederentdeckungen“ (F.A.Z.) zu untermauern. Die weitere Herausgabe der Werke ist in Vorbereitung (siehe Editionsplan am Buchende). Was den Vergleich zwischen Victor Klemperer und Manuel Chaves Nogales so sehr nahelegt, ist das Erleben in der Lektüre. Man wird nie um die Wahrheit betrogen, auch wenn man klarstellen muss, wie man hier von Wahrheit spricht. Es ist die des Manuel Chaves Nogales, der, seinem Verständnis der Profession des Journalismus folgend, keine Meinung wiedergibt, erzeugt, propagiert, sondern politische Akteure mit „seiner Wahrheit konfrontiert“, so mächtig – und tödlich – sie auch sind. Ein seltsamer Typ, würde man meinen, wenn man Journalismus bloß als Für und Wider der Meinungen, als ein Führwahrhalten auffasst – was doch, Hand aufs Herz, heute das verbreitetste Credo ist. Um zu Klemperer zurückzukommen, nein, Chaves Nogales liefert keine durch die ganze Zeit des Nationalsozialismus gehende Ausleuchtung des Alltags einer verrohten Gesellschaft, in der die Alltäglichkeit des Verbrechens in allen Sektoren der Gesellschaft vor Augen tritt. Chaves Nogales ist nur wenige Wochen im April und Mai 1933 Zeitzeuge in Nazi-Deutschland, was ihn jedoch neben Klemperer stellen lässt, ist ergänzend zu Klemperers deutschem Chaves Nogales’ europäischer Horizont, den er in eng getakteten Artikeln und Reportagen zwischen 1919 und 1944 nie aus dem Blick verlor. Die ›Wahrheit‹ daran – weil das ein starkes Stück ist, so zu argumentieren –, das ist das Maß der Zusammenhänge, mit denen er Europas Zeitgeschichte fasste, wie es kaum einer tat, jedenfalls nicht, wie er es tat.

Mit der Erfahrung einer langen Reise durch das bolschewistische Russland im Jahr 1928, die ihn eingangs durch das Deutschland der Weimarer Republik führte, kehrte er 1933 für eine Reportage über das Leben unter faschistischen Regimen nach Deutschland zurück, um anschließend nach Italien weiterzureisen, wo er bereits 1928 im Rahmen der 26 Teile umfassenden Reportage Flugreise nach Europa Etappe gemacht hatte. „Als ich nach Moskau reiste und bei meiner Rückkehr berichtete, dass die Russen schlecht leben und eine Diktatur unterstützen, die ihnen vortäuscht, zu herrschen, beglückwünschte mich mein Chef mit ein paar gutmeinenden Klapsen auf die Schulter“, schrieb er 1937, schon im Pariser Exil, und weiter: „Als ich nach meiner Rückkehr aus Rom [1933] versicherte, dass der Faschismus die Brotration eines Italieners um kein zusätzliches Gramm vergrößerte und er auch dessen moralischen Werte nicht zu mehren wisse, war mein Chef unzufrieden mit mir und zweifelte, ob ich überhaupt ein guter Journalist sei; dennoch habe ich, ob es seiner Kaste gefiel oder nicht, ob Lobhudelei zuwider und der Zensur zum Trotz, meine Wahrheit des liberalen Intellektuellen, des Bürgers einer demokratischen und parlamentarischen Republik durchgebracht.“

Wenn ich hier also ›Wahrheit‹ schrieb, dann weil es aus diesem Zitat stammt. Er war ein europäischer Journalist, wie groß letztendlich, das sei den Feuilletons und Lesern überlassen. Solange er überwiegend in Spanien publizierte – bis 1936 –, war sein Adressat die Leserschaft der liberalen Zeitungen und Illustrierten Spaniens. „Im Dienste der Industrie, die in den Händen der kapitalistischen Bourgeoisie lag, der Erbin der grundbesitzenden Aristokratie, die in meinem Land traditionell das Monopol auf die Produktions- und Tauschmittel besaßen – wie die Marxisten sie nennen –, verdiente ich als intellektueller Arbeiter mein Brot und meine Freiheit in relativ guten Verhältnissen, indem ich Zeitungen herstellte und Artikel, Reportagen, Biografien, Erzählungen und Romane schrieb, womit ich die Hoffnung verband, den Geist meiner Landsleute zu beleben und bei ihnen das Interesse für die großen Zusammenhänge zu wecken.“ Seine Landsleute konnte er nicht mehr erreichen, als ihn sämtliche Fraktionen im Spanischen Bürgerkrieg, ob Faschisten, Kommunisten, Anarchisten als „perfekt erschießungswürdig“ (Pilar Chaves) ausschrieben und seine Rotationsmaschinen sich nur noch kurz im Dienst der Republik drehten: „Als der Bürgerkrieg ausbrach, blieb ich auf meinem Posten und erfüllte meine beruflichen Aufgaben. Ein Arbeiterrat, der sich aus Delegierten der Werkstätten zusammensetzte, enteignete den Eigentümer des Zeitungsunternehmens, für das ich arbeitete, und setzte seine Funktionäre ein. Ich, der ich im Leben weder Revolutionär war, noch mit der Diktatur des Proletariats sympathisierte, fand mich plötzlich inmitten eines sowjetischen Regimes. Ich stellte mich also in den Dienst der Arbeiterschaft, wie ich früher den Befehlen der Kapitalisten folgte, in anderen Worten, loyal ihnen gegenüber und mir. Ich ließ meine fehlende revolutionäre Überzeugung und meinen Protest gegen jede Art von Diktatur, einschließlich der des Proletariats, durchblicken und fühlte mich einzig dazu verpflichtet, die Sache des Volkes gegen den Faschismus und die aufständischen Militärs zu verteidigen. Ich wurde »Kamerad Direktor« und kann behaupten, dass mich während der Kriegsmonate, die ich in Madrid an der Spitze eines regierungstreuen Blattes verbrachte, das die höchste Auflage der republikanischen Presse erzielte, niemand wegen meines mangelnden revolutionären Geistes belästigte, oder wegen meines Auftretens als »liberaler Kleinbürger«, das ich nie ablegen werde.“

Bis die Rotationsmaschinen stillstanden.

Danach, als er nicht mehr in Spanien publizieren konnte respektive nicht aufgelegt wurde, nutzte er sein...

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