Kleine Geschichte des Banats - Umkämpfte Grenzen im östlichen Europa

Kleine Geschichte des Banats - Umkämpfte Grenzen im östlichen Europa

von: Irina Marin

Verlag Friedrich Pustet, 2023

ISBN: 9783791762357

Sprache: Deutsch

248 Seiten, Download: 2621 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Kleine Geschichte des Banats - Umkämpfte Grenzen im östlichen Europa



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Temeswar/Timișoara/Temesvár/Temišvar: Eine Stadt der Kultur


Das Habsburger Erbe und wie es weiterging


Im Jahr 1916 wollten die Stadtoberen von Temeswar aus Anlass des 200. Jahrestags der Einnahme der Stadt durch die Habsburger Feierlichkeiten abhalten. Doch der Erste Weltkrieg, der damals schon zwei Jahre getobt hatte, machte aufwändige Festivitäten wie diese unmöglich, sie hätten in diesem Umfang bis zum Ende des Krieges verschoben werden müssen. Die Stadt, die man unbedingt feiern wollte, war das Zentrum der historischen Provinz Temescher Banat und hatte sich seit dem Ende der Osmanenzeit bedeutsam entwickelt. Unter habsburgischer Herrschaft waren alle Spuren der osmanischen Vergangenheit getilgt und die alte Festung in eine blühende mitteleuropäische Metropole verwandelt worden. Die Multiethnizität und die Multikulturalität der Region schlugen sich in architektonischen Formen nieder, es entwickelte sich ein lebhaftes Geschäfts- und ein modernes Kulturleben.

Stadtbezirke


Die Stadt wuchs über die mittelalterliche Festung hinaus, die wie eine Schildkröte – um das Bild des osmanischen Schriftstellers Evliya Çelebi zu gebrauchen – im Sumpfland zwischen den beiden Flüssen Temesch und Bega lag, an einem vorteilhaften Zusammenfluss von Gewässern und einem Straßenknotenpunkt. Die Osmanen, die diesen Ort 164 Jahre lang regiert hatten, hatten wenig gebaut, sich aber an der Regulierung der Bega versucht. Unter habsburgischer Verwaltung setzte ein wahrer Bauboom ein; er war eine Folge der Bauvorschriften, die der erste Gouverneur Florimund Graf de Mercy 1728 ersonnen hatte. Die neue Zitadelle erhielt mehrere Basteien und vier Tore (das Belgrader, das Peterwardeiner, das Siebenbürger und das Wiener Tor); einige davon wurden später abgerissen. Das Rathaus und zwei Kirchen – eine katholische, die auch Dom genannt wird, und eine serbisch-orthodoxe – zählten zu den ersten Gebäuden, die im ersten Jahrzehnt der Habsburger Herrschaft errichtet wurden. Sie repräsentierten – Stein auf Stein – die Stützen der kaiserlichen Macht: Verwaltung und Glaube. Gleichzeitig mit der Eingliederung eines Großteils des Banats in den ungarischen Teil des Kaiserreichs am Ende des 18. Jahrhunderts wurde Temeswar in den Rang einer Königlichen Freistadt erhoben und genoss fortan „innere Unabhängigkeit und das Recht auf einen Sitz im Landtag“1

Die Stadt entwickelte sich, von der alten Festung ausgehend, strahlenförmig nach außen, es entstanden neue Bezirke und Viertel, von denen jedes seine Besonderheit hatte. Die relativ großen Entfernungen zwischen dem Zentrum – der Zitadelle – und diesen neuen Bezirken war eine Folge des „Festungscharakters der Innenstadt, was bedeutete, dass innerhalb der Kanonenreichweite keine Häuser gebaut werden konnten“.2 Die Fabrik war die erste Vorstadt, die von den habsburgischen Behörden 1720 gegründet wurde. Sie war so weit vom Zentrum und den anderen Bezirken entfernt, dass die anderen Stadtbewohner sie als fernen, abgeschiedenen Teil der Stadt betrachteten. József Geml, von 1914 bis 1919 Bürgermeister von Temeswar, erzählte eine Anekdote, die nicht nur die räumliche, sondern auch die mentale Entfernung zwischen den Einwohnern der Fabrikvorstadt und jenen der Josefstadt, die fast eine Stunde Pferdestraßenbahnfahrt voneinander lagen, treffend veranschaulicht:

Am Neujahrstage 1883 trifft (der josefstädtische Gastwirt) Vetter Mühlbach in der Festung vor dem Stadthause den Parkinspektor Franz Fessler, der als Neuigkeit erwähnte, dass in der Silvesternacht Gambetta (berühmter französischer Staatsmann) gestorben sei, worauf er den Kopf schüttelnd sagte: „Den hab’ ich nicht gekannt, das muss a Fabrikler g’west sein.“3

Die Fabrikvorstadt war voller Leben; Produktion, Handel und nicht zuletzt das Gesellschaftsleben waren hier rege, es gab viele Kaffee- und Wirtshäuser, die Bewohner waren für ihre Gemütlichkeit bekannt:

[dass] Sonntags und an Feiertagen der größte Teil der Bürgerschaft in die Fabrik strömte, um hier in den angenehmen Lokalitäten der Gast- und Kaffeehäuser: Zum „Bären“, zum „Pfau“, im „Fabrikshof“, zum „Türkischen Kaiser“, zum „Marokkaner“, zur „Königin von England“ usw., einige fröhliche Stunden zu verbringen.4

Der Bezirk war so populär, dass man sich in Temeswar einig war:

Alles Gute kommt von der Fabrik: das Wasser, die Bega, die Pferdebahn, später die elektrische Straßenbahn, das Bier usw. Ja sogar die Sonne geht in der Fabrik (im Osten) auf, worauf die Fabrikler der damaligen Zeit nicht wenig stolz waren.5

Die anderen beiden Viertel, die Elisabethstadt und die Josephstadt, waren zunächst Vororte gewesen, in denen man Gemüse- und Weinanbau betrieb und die sich erst langsam zu Wohnvierteln entwickelten. Zuerst gab es dort nur Sommerhäuser wohlhabender Temeswarer, später mauserten sich diese Bezirke zu vollwertigen Wohnvierteln. In der Elisabethstadt, wie der Bezirk ab 1896 hieß, stand die älteste rumänisch-orthodoxe Kirche der Stadt, was vom hohen rumänischen Bevölkerungsanteil in diesem Viertel zeugt. Die Josefstadt bewohnten im Unterschied dazu vor allem Deutschsprachige, weshalb man sie auch „Neue Deutsche Meierhöfe“ nannte. Das Viertel erhielt den endgültigen Namen im Jahr 1793 zu Ehren des Habsburger Monarchen Joseph II., bevor es im 19. Jahrhundert eine Bevölkerungsexplosion erlebte, die auf die Einführung der Eisenbahn und den Bau des Hauptbahnhofs in diesem Teil der Stadt zurückgeht: In den 1890er-Jahren legte man mehrere Nebenstrecken von Temeswar aus an. Dieser Ausbau und die Tatsache, dass sich auch die Kornspeicher der Stadt und der Hauptsitz der Frachtenagentur der Donaudampfschifffahrtsgesellschaft hier befanden, machten diesen Bezirk zum geschäftigsten, lebendigsten der Stadt. Temeswar wuchs stetig, im 18. sowie im 19. Jahrhundert; der letzte Bezirk, den es sich einverleibte, war die Vorstadt, die schon seit der Türkenzeit bestand, zunächst Mehala hieß und erst 1910 mit der Eingemeindung den Namen Franzstadt erhielt.6

Die Gebäude bilden bis heute die Stein gewordene politische und konfessionelle Geschichte des Ortes ab. Der Hauptplatz mit zwei Kathedralen der bestimmenden Konfessionen – Katholizismus und Orthodoxie – zeugt von der Machtverteilung zwischen den beiden Kirchen. Die Habsburger Behörden bauten auf historischen Hinterlassenschaften auf: Das neue Rathaus baute man auf den Fundamenten eines türkischen Bades; das mittelalterliche Hunyadi-Schloss wurde durch wiederholte Belagerungen zerstört und 1856 neu errichtet; der große Scudier-Park, heute Zentralpark, befindet sich auf dem Areal eines ehemaligen Friedhofs.7 Die Funktion und Bedeutung der Bausubstanz veränderte sich von Gebäude zu Gebäude im Gleichschritt mit der Entwicklung der Stadt. Manche Gebäude waren anfälliger für politische Veränderungen, andere blieben, unabhängig von der Zeit und von sich verändernden Gesetzen und Grenzen, in ihrem ursprünglichen Zustand. Einige Gebäude, wie der Sitz der Woiwodschaft aus den 1850er-Jahren, blieben bestehen, änderten aber infolge der Kurzlebigkeit der politischen Institution, die sie ursprünglich beherbergen sollten, bald ihre Bestimmung. Nach dem Ersten Weltkrieg, dem Zerfall der Habsburgermonarchie und der Eingliederung der Stadt ins Königreich Rumänien entstanden neue architektonische Schichten, alte wurden umgewidmet. Die rumänischen Behörden verschafften nun auch dem nach der Zuwanderung vieler Menschen aus anderen Teilen Rumäniens dominierenden orthodoxen Glauben Geltung, indem sie zwischen 1936 und 1940 die imposante Kathedrale zu den Drei Hierarchen bauen ließen.8 Mit der Errichtung von repräsentativen Gebäuden wie dem Rathaus begann man noch in der Monarchie; sie wurden dann von den rumänischen Behörden übernommen, fertiggestellt und meist einem neuen Zweck gewidmet. Die Gebäude in der Nähe des heutigen Königin-Maria-Platzes, die dem Piaristenorden gehörten, wurden nach 1948 von verschiedenen Fakultäten der Technischen Universität in Anspruch genommen.9 Zweckbauten wie Militäranlagen und Krankenhäusern behielten ihre spezifischen Funktionen. So blieb das Johann-Nepomuk-Krankenhaus aus der habsburgischen Zeit dem Gesundheitswesen erhalten und fungierte als Augenklinik weiter. Das Militärkrankenhaus blieb ebenso erhalten, und das Zivilkrankenhaus wurde in eine onkologische Klinik umgewandelt.10 Auch beim Gebäude des Militärkommandos der Garnison blieb die historische Kontinuität gewahrt: Es beherbergt heute das Militärmuseum.

Schwere Zeiten


Temeswar erstand im 18. Jahrhundert nicht aus der Asche des Krieges, vielmehr tauchte es förmlich aus den Sümpfen auf. Während die Lage...

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