Maria Callas - Die Stimme der Leidenschaft

Maria Callas - Die Stimme der Leidenschaft

von: Eva Gesine Baur

Verlag C.H.Beck, 2023

ISBN: 9783406791437

Sprache: Deutsch

507 Seiten, Download: 3227 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Maria Callas - Die Stimme der Leidenschaft



2.

AUSNAHMETALENT IN KITTELSCHÜRZE


Die Mutter ist rastlos, die Schwestern konkurrieren, und Maria Trivella macht eine Entdeckung


Für Ende Februar 1938 hatte Evangelia Callas den nächsten Umzug geplant, es war der fünfte innerhalb eines Jahres. Die Wohnung mit drei kleinen Zimmern lag in einer Gegend, wo rund um Universität, Olympia-Theater und Deutsche Schule das Studentenvolk, Maler, Musiker, Schauspieler und Schriftsteller wohnten. Die meisten Häuser waren baufällig, viele feucht, die sanitären Einrichtungen veraltet, die Mieten entsprechend niedrig. Damit verglichen war es ein Neubau, den Evangelia sich ausgesucht hatte, aber die Räume im ersten Stock über Läden und Cafés waren laut und nicht möbliert, Geld für die Ausstattung fehlte.

Der Alltag war für die drei Callas-Frauen seit Ende des letzten Jahres noch schwieriger geworden. Zuerst blieben die hundert Dollar aus, die George bisher Monat für Monat geschickt hatte, dann kam sein Brief: Eine schwere Lungenentzündung habe ihn gezwungen, seinen Beruf vorübergehend aufzugeben, Besserung sei nicht in Sicht. Klinikaufenthalt, Behandlung und Medikamente hätten aufgezehrt, was er besaß. Das Ganze sei ein neues Indiz für die Perfidie des Vaters, kommentierte die Mutter das den Töchtern gegenüber. Morgens, abends, am Wochenende hockten die drei Callas-Frauen aufeinander, keine hatte einen Beruf, keine ein Einkommen.

Trotzdem betrat am 2. Februar 1938 Maria mit der Mutter, der Schwester und einem Mann von Anfang, Mitte dreißig zum ersten Mal ein Opernhaus, das Königliche Theater, das vor fünf Jahren nach gründlicher Renovierung wiedereröffnet worden war.[1] Es war eine Oper, wie eine Vierzehnjährige sie sich vorstellte: die Fassade pompös, falsche Renaissance in fortissimo, das Innere feierlich mit Lüsterglanz, Goldbronze und rotem Samt. Die Karten für diesen Abend waren begehrt und teuer, Verdis La traviata stand in diesem Jahr nur ein einziges Mal auf dem Spielplan. Die drei Callas-Frauen kannte hier kaum einer, den jungen Mann, gedrungen, trotz des teuren Anzugs nicht elegant, der wie immer ernst dreinschaute, erkannten einige. Miltiadis Embirikos stammte aus einer der reichsten Familien Griechenlands, einer Reeder-Dynastie. Sein Vater, in jüngeren Jahren Minister der Regierung Eleftherios Venizelos, hatte beim Börsenkrach 1929 den Großteil seines Vermögens verloren. Den Kindern blieb ein Gebäudekomplex in bester Lage, ein Schiff, das den Namen der Mutter, Eleni, trug, und Miltiadis’ Ehrgeiz, wieder ein Imperium aufzubauen, über das seine Cousins noch verfügten.

Evangelia Callas saß zufrieden auf ihrem Platz; seit ein paar Monaten war Jackie mit Miltiadis, genannt Milton, liiert. Kennengelernt hatte sie ihn über seinen jüngeren Bruder Hariton, und dem war sie bei einem Makler begegnet, einem Familienfreund der Dimitriadis, dessen Bürohaus Evangelia zur Partnerschaftsanbahnung häufig aufgesucht hatte. Evangelia sprach oft von der Gnade Gottes und half ihr gerne nach.

Jackie war unruhig und schon am Ende des ersten Aktes von dieser Traviata enttäuscht. Die Produktion war alt, die Inszenierung, das Bühnenbild restlos überholt, die Sängerin der schwindsüchtigen Violetta unglaubwürdig, schon durch ihr Übergewicht, so etwas müsse abgesetzt werden, wenn man nicht die Menschen aus der Oper vertreiben wollte. Dabei hatte auch Jackie noch nie zuvor eine betreten.

Maria nahm nichts von dem wahr, was rechts und links und hinter ihr geschah, sie litt mit der dahinsiechenden Violetta. Aber nicht die Sopranistin brachte das Publikum zum Schluchzen, es war der Bariton Evangelos Mangliveras, der den alten Germont sang, eine unsympathische Rolle. Als der letzte Vorhang fiel und Jackie bemüht applaudierte, fiel ihr Blick auf die Schwester im Sessel daneben, die wie entrückt wirkte, offenbar störte sie und vermisste sie nichts. Jackie deutete das auf ihre Weise: Maria, meinte sie, sah und hörte gar nicht, was auf der Bühne passierte, sie sah und hörte dort oben nur sich selbst, ihre eigene Zukunft.

Nach außen wirkte es, als ob es aufwärtsginge mit den drei Callas-Frauen. Evangelia hatte ihrer älteren Tochter so lange geklagt, die neue Bleibe sei erniedrigend, dass die vor ihrem Liebhaber in Tränen ausbrach und der Liebhaber die Wohnung nach den Wünschen der Mutter möblierte. Die drei Frauen ließen sich eng nebeneinander auf einer Parkbank fotografieren und traten öffentlich als geschlossene Formation auf. Nur die Nachbarn bekamen mit, dass Marias Stimme zu groß für die Wohnung und das Klavier schlecht war, dass Türen geschlagen wurden, vieles laut scheppernd zu Bruch ging und die Mutter und ihre jüngere Tochter sich regelmäßig anschrien. Wer den verwackelten Schnappschuss länger betrachtete, dem fiel auf, dass Maria zusammengesunken, abgewandt auf der Parkbank hockte und allein Jackie der Mutter, die in der Mitte starr dominierte, den Unterarm auf den Schoß gelegt hatte. Und wer in der Klasse von Trivella war, wusste, dass die jüngste Schülerin, Maria Kalogeropoulou, dort als Einzige keine Freunde hatte.

Es war ein Montag, der 11. April 1938, als sich um 18 Uhr 45 die weißlackierten Türen zum Parnassos-Saal mit seiner weißlackierten Kassettendecke öffneten, einem Raum mit mehr als 400 Plätzen im Haus der Literarischen Gesellschaft. Manolis Kalomiris, Gründer und Rektor des Nationalen Konservatoriums, mietete ihn jedes Jahr für ein Konzert der Opernklasse. Im Parkett saßen Evangelia, Jackie wie auch die Verwandten der anderen, die auftreten durften.

Trivella hatte ihrem erfolgreichsten Schüler, Yannis Kambanis, drei Solo-Arien im letzten Teil des Konzerts zugedacht, danach stand, als Einzige außer ihm ebenfalls mit drei Arien, «Frl. Marianna Kalogeropoulou» im Programm, fünfzehn Jahre jünger als Kambanis, die Jüngste an diesem Abend. «Warum gerade die?», mussten sich die anderen fragen. Auf eine kritische Bemerkung von Rektor Kalomiris hatte sie wütend reagiert und war grob ausfällig geworden, er hatte sie vom Konservatorium verwiesen, bis sie sich widerwillig entschuldigte. Was zwischen Maria und Kambanis vor diesem Konzert vorgefallen war, wusste niemand im Saal. Kambanis, der seine Abschlussprüfung bereits mit Auszeichnung bestanden hatte, ein Mann mit einem feinen Gesicht und feinen Manieren, hatte Maria mehrmals gesagt, was er bewunderte an ihrer Stimme. Er hatte sie jedoch auch vor dem eigenartigen Wackeln in bestimmten Lagen gewarnt, erfolglos, wie er zugab: «… sie nahm niemals irgendeine Notiz von dem, was irgendwer von uns sagte.»[2] Dass sämtliche Mitstudenten mit Maria nicht näher zu tun haben wollten, war in den Augen von deren Mutter Anzeichen ihrer Missgunst und Arroganz; nur weil Maria schlecht angezogen war und kein Geld hatte, drängten die Kollegen sie ins Abseits.

Kambanis sah das anders, er konnte begründen, warum er an ihr nichts liebenswert fand. Trivella schätzte Kambanis als Mensch wie als Sänger. «Eine Stimme wie seine gibt es selten», Kambanis sei eine Klasse für sich. Das sagte sie jedem, auch Maria. Die aber verbot ihrer Lehrerin, den Kollegen zu loben, und selbst das Angebot von Kambanis, mit ihr gemeinsam zu proben, schlug sie radikal aus. Trivella sollte alleine für sie und ganz für sie da sein. «Sie wollte, dass niemand außer ihr im Mittelpunkt des Interesses stand», erklärte Kambanis und gab jede Annäherung auf. Niemand fragte sich, und erst recht nicht Maria selbst, warum sie so war, diszipliniert wie eine Hochleistungssportlerin und haltlos in ihrer Eifersucht. Der Mutter blieb sie ebenso ein Rätsel, diese Tochter, die keine Anstrengung scheute, um ihre Stimme zu beherrschen, und dann ausrastete, jeden wegstieß, Türen zuknallte, mit Tellern warf.

Kambanis hatte sich, seit Maria jeden Dialog verweigert hatte, einfach von ihr ferngehalten. An diesem Montagabend im April war das jedoch unmöglich. Mit O dolci mani, dem Liebesduett aus dem dritten Akt von Puccinis Tosca, sollten sie beide zusammen den Abend beenden, miteinander in trügerischer Zukunftshoffnung verschmelzen und das Publikum ergreifen.

Vom Aussehen her passten sie gar nicht zusammen. Jackie bewunderte Kambanis als «eine imponierende Gestalt»[3] auf der Bühne, er war aber nur eins sechzig groß, Maria mittlerweile eins dreiundsiebzig.[4] Kambanis hatte zehn Jahre Gesang studiert und war sichtbar bühnenerprobt, sie hatte erst seit einem guten halben Jahr Unterricht. Kambanis war elegant und schmal, das Gesicht porzellanglatt, Maria unbeweglich und stämmig, die Hautunreinheiten dick zugeschminkt. Genauso unvereinbar waren sie inwendig: Als...

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