Der ultimative Guide zu absolut Allem* (*gekürzt)

Der ultimative Guide zu absolut Allem* (*gekürzt)

von: Hannah Fry, Adam Rutherford

Verlag C.H.Beck, 2023

ISBN: 9783406797866

Sprache: Deutsch

286 Seiten, Download: 1771 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Der ultimative Guide zu absolut Allem* (*gekürzt)



Einführung


Schließen Sie die Augen.

Okay, zugegeben, zum Lesen eines Buches empfiehlt es sich eher, die Augen offen zu haben. Wenn Sie eine gedruckte Ausgabe des Buchs in Händen halten, werden Sie die Augen sicherlich in ein paar Sekunden wieder öffnen müssen – wäre dem nicht so, könnten Sie den Rest dessen, was wir Ihnen erzählen wollen, schließlich gar nicht lesen, logisch.

Aber für den Moment: Schließen Sie bitte die Augen.

Während dieses kurzen Moments der Dunkelheit hat sich nicht viel verändert. Die Wörter sind auf der Seite geblieben, und das Buch hielten Sie zum Glück noch immer in den Händen, als Sie die Augen öffneten. Als Sie sie heute Morgen nach einer hoffentlich angenehmen Nachtruhe öffneten, war es heller Tag, und Sie fanden ziemlich alles exakt so vor, wie es war, als Sie am Abend zuvor die Augen schlossen. Die Wirklichkeit bleibt bestehen, ganz gleich, ob Sie dieser Wirklichkeit Beachtung schenken oder nicht. All das mag überaus offensichtlich erscheinen, banal geradezu. Aber das ist eine Tatsache, die wir alle irgendwann erst einmal lernen mussten.

Wenn Sie das nächste Mal mit einem Baby spielen, nehmen Sie ein Spielzeug und verstecken es vor den Augen des Babys unter einer Decke. Wenn das Kind noch keine sechs Monate alt ist, wird es die Decke nicht wegziehen, um wieder an sein Spielzeug zu kommen, ganz egal, wie viel Freude ihm das Spielzeug vorher bereitet hat. Das liegt nicht etwa daran, dass das Baby nicht in der Lage wäre, die Decke zu greifen und wegzuziehen – es liegt daran, dass das Baby im Unterschied zu Ihnen schlicht nicht erkennt, dass das Spielzeug noch existiert. Für den winzigen Verstand des Säuglings hat sich das Spielzeug in dem Moment, da es unter der Decke verschwand, einfach in Wohlgefallen aufgelöst. Genau deshalb haben Kleinkinder so viel Spaß am Guck-guck-Spiel. Dieses Spiel spielen die Menschen überall auf der Welt, in jeder Kultur. Wenn Sie sich die Hände vors Gesicht halten, glaubt ein ganz junger, noch kaum entwickelter Verstand tatsächlich, dass Sie einfach nicht mehr da sind, vielleicht sogar, dass es Sie gar nicht mehr gibt. Wenn Sie die Hände wieder vom Gesicht nehmen, zeigt sich am Lachen des Babys die Freude, mit der es feststellt, dass Sie sich doch nicht in Nichts aufgelöst haben.

Dieses Guck-guck-Spiel veranschaulicht sehr schön, wie schlecht der Mensch dafür ausgerüstet ist, das Universum zu begreifen – und alles, was dazugehört. Wir kommen nicht mit einem angeborenen Verständnis der Wirklichkeit, die uns umgibt, auf die Welt. Wir müssen erst einmal lernen, dass Dinge – und Menschen – nicht einfach «nicht mehr da sind», wenn wir sie nicht sehen. Bei Babys ist dies ein bedeutender Entwicklungsschritt, den die Fachleute als «Objektpermanenz» bezeichnen. Viele andere Lebewesen tun diesen Entwicklungsschritt niemals. Ein Krokodil kann ruhiggestellt werden, indem man ihm die Augen verdeckt. Manche Vögel werden völlig ruhig, wenn Sie eine Decke über den Käfig legen. Es geht nicht bloß darum, dass Dunkelheit auf die Tiere beruhigend wirkt; sie erkennen gar nicht, dass der nervige Mensch auf der anderen Seite der Gitterstäbe und der Decke überhaupt noch da ist.

Warum sollten sie sich auch über Objektpermanenz das Hirn zermartern? Der primäre Antrieb nahezu jedes Organismus, der jemals existiert hat, besteht seit jeher darin, nicht zu sterben – oder jedenfalls nicht, bevor er eine Chance zur Reproduktion hatte. Die allermeisten Lebewesen auf der Erde beschäftigen sich nicht im Geringsten mit der Frage, warum die Dinge so sind, wie sie sind. Mistkäfer orientieren sich des Nachts mithilfe der Sterne unserer Milchstraße, interessieren sich aber nur mäßig für galaktische Strukturen oder für die Tatsache, dass es für den Großteil der Masse des Universums (bisher jedenfalls) keine Erklärung gibt.[1] Die winzigen Milben, die in unseren Augenbrauen leben, können mit dem Begriff des symbiotischen Kommensalismus herzlich wenig anfangen, der es ihnen gestattet, sich ganz unscheinbar von uns zu ernähren. Bis gerade eben waren sie sich dieser Wesen vermutlich auch noch nicht bewusst, aber sie sind definitiv da. Eine Pfauenhenne interessiert sich kein bisschen für die komplexen Gleichungen, die erklären, wieso sie diese albernen Schwanzfedern des Pfauenhahns so unwiderstehlich sexy findet – sie gefallen ihr einfach irgendwie.

Nur ein Lebewesen hat jemals solche Fragen gestellt – der Mensch, also wir. Irgendwann in den letzten grob geschätzt hunderttausend Jahren entwickelten ein paar weitgehend unbehaarte Affen Neugier an so ziemlich allem. Die Gehirne dieser Primaten wuchsen im Lauf von Jahrmillionen immer weiter, und irgendwann begannen sie, Dinge zu tun, die zuvor noch kein Tier getan hatte. Sie begannen zu zeichnen, zu malen, Musik zu machen – und Guck-guck zu spielen.

Wir sollten das allerdings tunlichst nicht überbewerten. Prähistorisches Leben war, verglichen mit heute, noch immer eine ziemlich armselige Angelegenheit – das hauptsächliche Bestreben von allem und jedem bestand schlicht darin, zu überleben. Unsere Vorfahren jedoch hatten sich einen Schritt vom Rest der Natur wegbewegt und dachten nicht mehr nur an die unmittelbaren Fragen des Überlebens, sondern an das ganze Universum und ihren Platz darin. Allerdings sind wir nach wie vor Affen – Primaten – und befassen uns im Denken wie im Körperlichen grundsätzlich und überwiegend damit, am Leben zu bleiben und uns fortzupflanzen. Physikalisch und genetisch haben wir uns in der letzten Viertelmillion Jahre nicht allzu sehr verändert. Nehmen Sie eine Frau oder einen Mann aus Afrika von vor 300.000 Jahren und setzen Sie diesen frühen Menschen in eine Zeitmaschine, richten Sie ihn ein bisschen nett her, verpassen ihm einen Haarschnitt und stecken Sie ihn in ein paar hübsche Klamotten, und er würde in einer Menschenmenge heutiger Zeiten nicht weiter auffallen. Der Großteil unserer biologischen Hardware hat sich seit den Zeiten, in denen keine der hochfliegenden Ideen, wie unser Universum wohl gestrickt sein mag, irgendjemanden interessierte, so gut wie überhaupt nicht verändert.

Das bedeutet vor allem, dass unsere Sinne uns regelmäßig im Stich lassen. Wir reagieren spontan auf schnelle, unerwartete Bewegungen, obwohl wir uns schon lange nicht mehr Tag für Tag vor gefräßigen Raubtieren in Acht nehmen müssen, die uns auf den Fersen wären und uns zu verspeisen beabsichtigten. Wir haben Lust auf süße, salzige und fettreiche Speisen – eine völlig vernünftige Strategie für Jäger und Sammler, die uns half, kalorienreiche Nahrung zu bevorzugen, als Nahrung knapp war, die aber alles andere als vernünftig ist, wenn man die Option hat, sich nach jedem Cheeseburger auch noch ein Eis zu genehmigen.

Diese evolutionären Altlasten gehen über unsere Instinkte hinaus; sie wirken sich auch auf unsere Intuition aus. Wenn Sie unsere ungebildeten Vorfahren nach der Gestalt der Erde gefragt hätten, hätten diese vermutlich steif und fest behauptet, dass sie flach sei. Es ergibt ja auch Sinn, dass sie flach ist. Sie sieht ziemlich flach aus – und wenn sie nicht flach wäre, würden wir doch gewiss einfach von ihr herunterpurzeln. Sie ist aber kein bisschen flach. In Kapitel 3 werden wir unseren klumpigen Felsbrocken genauer unter die Lupe nehmen und feststellen, dass er nicht nur nicht flach, sondern auch noch nicht einmal eine exakte Kugel ist: Aufgrund ihrer Rotation ist die Erde ein abgeplattetes Sphäroid – sie sieht im Prinzip also aus wie ein Ball, dem ein wenig Luft fehlt –, an den Polen etwas abgeflacht und ein wenig dicklich um die Mitte herum.

Aus unserer Perspektive sieht es eindeutig so aus, als würde sich die Sonne um die Erde drehen: Jeden Tag in den letzten 4,54 Milliarden Jahren ist sie am Morgen hier aufgegangen, zügig über den Himmel gewandert und dort wieder untergegangen. In Wirklichkeit jedoch dreht sich die Erde um die Sonne – und auch dies nicht auf einer perfekten Kreisbahn. Aus unserer Sicht steht die Sonne also an einem festen Punkt im Weltraum, während wir um sie herumflitzen. In Wirklichkeit aber kreist die Sonne und mit ihr unser gesamtes Sonnensystem schwindelerregende 827.000 Stundenkilometer schnell um einen Punkt im Zentrum der Milchstraße und legt in jedem galaktischen Jahr (das entspricht 250 Millionen Erdenjahren) eine komplette Runde zurück. Niemand von uns bekommt davon irgendetwas mit, während wir es uns lesend im Liegestuhl gemütlich gemacht haben.

Die Neugier mag die Menschen sehr wohl von anderen Geschöpfen unterscheiden, aber Neugier allein genügt nicht. Wenn wir Menschen neugierige Fragen über die Geheimnisse der Wirklichkeit stellen, haben wir nicht...

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