Das Ende der Angst - Emotionalen Schmerz verstehen, verwandeln und heilen - ein spiritueller Weg aus der Angstfalle

Das Ende der Angst - Emotionalen Schmerz verstehen, verwandeln und heilen - ein spiritueller Weg aus der Angstfalle

von: Richard Schaub, Bonney Gulino Schaub

Kailash, 2009

ISBN: 9783641036447

Sprache: Deutsch

192 Seiten, Download: 424 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Das Ende der Angst - Emotionalen Schmerz verstehen, verwandeln und heilen - ein spiritueller Weg aus der Angstfalle



Das Bewusstsein um drei Uhr nachts

Noch spielen die Jagdhunde im Hof, aber das Wild entgeht ihnen nicht, sosehr es jetzt schon durch die Wälder jagt.
Franz Kafka: Aphorismen

Es war drei Uhr nachts in einem kleinen Hotelzimmer in Paris, und ich war hellwach. Am folgenden Nachmittag sollten wir nach Hause fliegen, aber meine Frau Bonney hatte eine schwere, schmerzhafte Ohrinfektion, und im Nebenzimmer hörte ich unsere schwangere Tochter würgen, weil sie unter Morgenübelkeit litt. Mein nächtliches Drei-Uhr-Bewusstsein stellte sich vor, wir würden unseren Flug verpassen und hier festsitzen, in diesen zwei Zimmerchen in einem fremden Land, bis uns schließlich das Geld ausginge. Dann kam mir der Gedanke, dass der ungewöhnliche Schmerz in meinem Kopf, den ich seit gestern ab und zu spürte, ein Gehirntumor war. Es war ein bemerkenswert eindeutiger und überzeugender Gedanke.
Ich bemühte mich, wieder einzuschlafen, aber irgendeine bösartige Tür in meinem Kopf hatte sich geöffnet, und weitere Ängste quollen massenhaft herein. Ich sah Bilder von toten Kindern, die zerschmettert unter bombardierten Häusern lagen, während panische Eltern wie Tiere in den Trümmern gruben, um sie zu finden. Ich sah Frauen in Kopftüchern, die ihr Gesicht bedeckten und schluchzten. Ich erinnerte mich, dass der Schmerz in meinem Kopf tatsächlich ein Tumor war - das war nicht nur meine Fantasie, die mir einen Streich spielte -, ich sagte mir, das könne nicht wahr sein, und dann erkannte ich, dass es doch stimmte. Ich stellte mir vor, wie ich orientierungslos zusammenbrach, ohnmächtig irgendwo auf einer Straße in Paris lag, während meine Frau und meine Tochter an einer Ecke des Bahnhofs Gare de Lyon um Geld bettelten.
So ging es immer weiter, und diese Vorstellungen hatten mich voll im Griff. Ich sah eine Flut apokalyptischer Bilder, Hungersnöte, Mord und Totschlag, Anarchie. Ich erkannte, dass die Welt ein Ort des Kriegs, der Dummheit und der Gier war, die zwangsläufig alles Gute im Leben zerstören würden. Ich sah, dass alle meine Beziehungen unecht waren, dass jeder von uns eine Maske trug und nur so tat, als würden ihm andere etwas bedeuten. Ich wurde wütend auf meinen Verstand, weil er mich mit diesen Gedanken quälte, aber er konterte unverzüglich und fuhr sein schwerstes Geschütz auf: »Diese Gedanken hast du nur, weil du verrückt geworden bist.« Ich lag im Bett, starrte an die Decke und erflehte von dem Gott, an den ich längst nicht mehr glaubte, er möge meinem geistigen Zusammenbruch ein Ende machen.
Und was geschah tatsächlich nach diesen dramatischen und quälenden Vorstellungen? Nichts, außer dass ich eine schlaflose Nacht hatte und mich selbst verrückt machte. Am nächsten Morgen gingen Bonney und ich zum American Hospital, konsultierten einen wunderbaren Dr.
Barre, der uns Medikamente gab und versicherte, dass meine Frau unbesorgt ins Flugzeug steigen durfte. Meine Tochter fühlte sich etwas besser, und wir flogen planmäßig nach Hause. Und auch wenn das nicht möglich gewesen wäre, hätten wir eine Lösung gefunden. Immerhin war ich über sechzig Jahre alt und verfügte über eine Menge Lebenserfahrung; wäre es denn wirklich so schwierig gewesen, für kurze Zeit in einer großen Stadt wie Paris zurechtzukommen? Bei Tageslicht wusste ich, dass diese vernünftige Überlegung der Wahrheit entsprach. Aber in meinem nächtlichen Drei-Uhr-Bewusstsein war die Furcht meine einzige Wahrheit.
Während ich in der Maschine der American Airlines saß und auf den Start nach New York wartete, genoss ich die Normalität der Leute, die miteinander sprachen, die Ankündigung des lustigen Films, der während des Flugs gezeigt werden sollte, und die Höflichkeit der Flugbegleiter. Ich fühlte mich gut aufgehoben und sicher. Ich konnte die Erfahrung der letzten Nacht im Hotelzimmer einordnen; mir war klar, dass ich einen Ausbruch angesammelter Ängste in meinem Inneren erlebt hatte. Und ich nahm an, dass ich sie losgeworden war, zumindest für eine Weile.
Doch diese Ansicht war nicht von Dauer. Drei Tage später fuhr ich auf dem Weg zur Arbeit Richtung Manhattan. Falls Sie New York nicht kennen: Es gibt einen Tunnel zwischen Long Island und Manhattan, der unter dem East River hindurchführt. Direkt bevor man in den Tunnel hineinfährt, kann man die gesamte New Yorker Skyline sehen - vom Empire State Building und den Vereinten Nationen im Norden bis zur 59. Straße und den Bronx-Whitestone-Brücken, und wenn man weiter nach
Süden schaut, sieht man die Lücke am Horizont, wo früher die Zwillingstürme des World Trade Center aufragten. Die Straße, die in den Tunnel führt, der Long Island Expressway, gilt als eine der am meisten befahrenen Schnellstraßen der Welt, sodass Verkehrsstockungen und Rückstaus normal sind.
An diesem Morgen bewegte sich die Autoschlange kaum vorwärts. Im Wagen neben mir sah ich einen jungen Mann, der in einem dicken Lehrbuch las, das er gegen das Steuerrad gelehnt hatte; er rechnete offenbar fest mit einer langen Wartezeit. Schließlich ordnete sich das Gewirr von Autos in zwei lange Schlangen, und wir krochen in den Tunnel hinein. Als wir ungefähr die Hälfte der Strecke geschafft hatten, ging es überhaupt nicht mehr weiter. Die Bremslichter von mehreren hundert Autos und Lastwagen tauchten die Tunnelwände in rotes Licht.
Nachdem wir einige Minuten so gestanden hatten und ich in meinem Wagen immer deutlicher den Gestank der dichten Abgase roch, spürte ich, wie meine Nervosität plötzlich anstieg und die Angst mich wieder überfiel. Am liebsten hätte ich alle Fenster geöffnet, aber ich wusste, dass es mir dann nur noch schlechter gehen würde.
Und dann hörte ich einen dumpfen Knall, der von irgendwo weiter vorne im Tunnel zu kommen schien. Ich stellte mir vor, dass eine Bombe eingeschlagen hätte, die Tunnelwände zusammengebrochen wären und die Wassermassen des East River nun über uns alle, eingeschlossen in unseren Autos, hereinbrechen würden. Gefangen in meiner Vorstellung blickte ich panisch nach vorne und hinten - in welche Richtung sollte ich schwimmen? Während das Wasser im Tunnel rasch anstieg, erkannte ich, dass ich würde tauchen müssen. Und tief in meinem
Bauch wusste ich, dass ich nicht lebend aus diesem Tunnel herauskommen würde.
Ich sah mich selbst als Wasserleiche stromabwärts treiben, hin und her gewirbelt von den Flutwellen, die durch die Bombenexplosion entstanden waren.

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