Ziegen, Götter, Bergschönheiten. Rätselhaftes Kreta

Ziegen, Götter, Bergschönheiten. Rätselhaftes Kreta

von: Ellen K Jaeckel, Peter Peter

Picus, 2012

ISBN: 9783711751270

Sprache: Deutsch

132 Seiten, Download: 264 KB

 
Format:  EPUB

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Ziegen, Götter, Bergschönheiten. Rätselhaftes Kreta



Anleitung zum Glücklichsein


Ein Besuch in Amari


Du siehst den stillen Mann Oliven lesen
Und hier und da ein einsam Echo wecken

GERHART HAUPTMANN

Zweiundzwanzig Uhr, der Dorfplatz füllt sich allmählich. Es ist Anfang August, die Zikaden schreien sich seit dem frühen Morgen die Kehle aus dem Hals, sie sind die Einzigen, die in ihrem Treiben nicht ermüden und wie Phönix aus der Asche immer wieder von Neuem entstehen. An einem ur­alten, knarzigen Ölbaum klebt seine trans­parente Hülle, während das Tier verjüngt und gut getarnt am nächsten Baumstamm zirpt. Jetzt erst zu dieser Stunde atmet mein Körper auf. Auch in achthundert Metern Höhe ist die Hitze tagsüber nur in den kühlen, behutsam restaurierten alten Steinhäusern erträglich. Zwischen elf Uhr morgens und acht Uhr abends werden die Körperfunktionen heruntergefahren, Bewegungen weitgehend vermieden, das einzige Kafeneion vor Ort macht seinen Jahresumsatz in diesem Monat, wegen der Schattenplätze unter den Platanen. Mensch, Vieh und auch Pflanzen verharren in Ruhestellung. Bis zum 15. August, dem Tag Mariä Entschlafung, als die Seele der Panagia in den Himmel fuhr, wird gefastet, Hochzeiten auf den September verschoben, fällige Hausarbeiten und Operationen, die noch hinausgezögert werden können, ebenso. Ein Land in Wartestellung. Auch die Natur wartet. Die Feigen und Granatäpfel sind noch grün und klein, die Opuntien, auf Kreta Frankenfeigen genannt, stachlig und abweisend, der Boden verdorrt gelb. Außer ein paar Spritzgurken, Disteln und Kapern wuchert hier nichts. In dem hoch gelegenen Tal zwischen den Bergrücken des Kedros und des Psiloritis, dem Amari-Becken, schießt die Süße erst Ende August in die Trauben. Ein angebundener alter Esel verjagt träge mit seinem Schwanz die lästigen Fliegen. Die Milch der Ziegen und Schafe fließt spärlich, nur noch alle drei Tage wird das Vieh gemolken, gegen sechs Uhr in der Frühe. Es ist die letzte jungfräuliche Milch des Sommers, bevor die Tiere tragen. Ihre Milch ist fett, gehaltvoll und riecht ein wenig nach Thymian.

Charalambos Kounoupas hat sich für den Abend fein gemacht. Das hellblaue Hemd mit dem altmodischen Kragen ist frisch gebügelt, die Krawatte ist etwas zu kurz gebunden, die Hose aber sitzt akkurat. Seine blauen Augen funkeln unter den dichten weißen Brauen, als ihn die Freunde und Nachbarn grüßen, »geia sou Lambi, kalos tone«, willkommen in unserem Kreis. Herr Charalambos ist hundertdrei Jahre, mittlerer Statur und schlank, man würde höchstens auf fünfundsiebzig tippen. Er wurde 1904 im Haus seiner Eltern und Großeltern in Amari, Kreis Rethymnon, geboren, und seither lebt er hier in diesem Fünfundsechzig-Seelen-Dorf, das einst Hauptstadt der gleichnamigen Region war, mit einer richtigen Poststation, einer Grundschule mit zwei Lehrern und vierzig Kindern und sogar einem Amtsgericht. Geblieben ist nur ein kleines Polizeirevier, in dem der Fernseher Tag und Nacht läuft und die wenigen Beamten gelangweilt Katzen füttern. Zwei schulpflichtige Kinder bringt ein Schulbus heute zehn Kilometer weiter nach Agia Fotini. Im Winter, wenn es kalt und feucht wird am Fuße des Ida-Psiloritis, zieht es die meisten Bewohner zumindest für ein paar Tage in der Woche in die Stadt hinunter.

Im August aber füllen sich die leeren Häuser, von überall her kehren sie in ihr Heimatdorf zurück, aus Athen vor allem, aber auch aus Mosambik, den USA und Südafrika. Dann gibt sich Amari richtig kosmopolitisch, und das »Kafeneion Petrakakis« wird zum Umschlageplatz für Nachrichten aus aller Welt. Die Infrastruktur verbessert sich dadurch nicht. So gibt es noch nicht einmal einen Bäcker, das Brot kommt ebenso wie das Gemüse, der Käse, die Bettwäsche und der Haushaltskram auf den Rädern der verbeulten Pritschenwagen und wird mittels Flüstertüte gar nicht leise angepriesen.

Bürgermeister Michalis Petrakakis, ebenfalls aus Amari stammend, ist heute für vierzehn Dörfer verantwortlich, die den Demos Syvritou bilden. Die Gemeindereform von 1996 schloss einzelne Dörfer zusammen und taufte die neu gegründeten Gemeinden auf antike Namen. In diesem Fall wählte man den Namen der antiken Siedlung Syv­ritos, die von den Mykenern um 1400 vor Christus begründet wurde und sich heute über dem hübschen Ort Thronos, berühmt wegen seiner Mut­tergotteskapelle mit schönen Fresken aus dem 14. Jahrhundert, erhebt. Eigentlich ist Herr Petrakakis Mathematiklehrer in Rethymnon, wurde aber für seine Funktion als Gemeindevorsteher vom Schuldienst befreit. In seiner Amtszeit (nun die dritte) hat er einiges erreicht: Mit Hilfe von EU-Geldern wurden wichtige Verbindungsstraßen as­phaltiert, so die aussichtsreiche Strecke von Re­thym­non über das Kloster Arkadi zur Moni Asomaton, Staudämme errichtet und byzantinische Kirchlein restauriert. Jeder Dorfbewohner, erklärt mir der Bürgermeister, übernimmt eine bestimmte Funktion: Der eine organisiert Feste, der andere kümmert sich um den Transport notwendiger Waren, ein dritter engagiert sich für das Vereinsleben. Jeder hat seinen festen Platz in der Kirche Mariä Tempelgang und der Verklärung Christi hoch über dem Dorf. Es ist ein Leben in Beschaulichkeit, die Türen bleiben auch nachts unverschlossen, jeder schaut bei jedem vorbei auf ein Glas selbst gebrannten raki. Die zwanzig im Dorf ansässigen Albaner sind eine wichtige Stütze bei Bau- und Klempnerarbeiten, ihre Frauen kümmern sich um die Haushalte jener, die nur im Sommer hierher kommen. Sie leben zur Miete und unter sich, sprechen akzentfrei Griechisch und haben sich zum Zwecke der leichteren Assimilierung orthodox taufen lassen und sich griechische Namen zugelegt.

Mit zweiunddreißig ging Charalambos Kounoupas in den Ehestand. Seine Frau stammt aus Monastiraki, dem minoischen Ort ein paar Dörfer weiter, und brachte als Mitgift einen Olivenhain in die Ehe. Charalambos bestellte Feld und Hain, kümmerte sich um Schafe und Ziegen und arbeitete bis spätabends als Wirt in seiner eigenen Taverne, von denen es früher vier im Ort gab. Geblieben ist nur das Kafeneion, das sommers ein Rückkehrer aus Johannesburg betreibt und winters eine Bulgarin gepachtet hat.

Sechs Tage die Woche arbeitete Charalambos, der Sonntag war ihm heilig. Aufgrund eines Augenleidens wurde er nicht in den Krieg eingezogen und musste seine Heimat Amari nie verlassen. Herr Charalambos ist ein glücklicher Mann. Natürlich will ich das Rezept für sein langes, gesundes Leben wissen. Seine Augen funkeln wieder, das Lächeln ist beinahe schelmisch. Die Antwort hat er schon hundertmal gegeben, aber er wiederholt sie gerne: liga ap’ola, ein wenig von allem, die goldene Mitte. Das heißt vor allem wenig Essen und wenig Aufregung. Ein Leben, wie es eben in Amari möglich ist. Sein einziger Kummer in seinem langen Leben war der frühe Tod seiner Frau, die er vor über dreißig Jahren verlor. Seither führt er seinen Haushalt alleine, ohne Hilfe und gemäß seinem eigenen Rhythmus. Es müsste schon etwas Außergewöhnliches passieren, um diesen zu stören. Morgens trinkt er ein Glas Milch, dazu einen griechischen Mokka,metrio, mittelsüß, danach bereitet er sein Mittagessen zu, täglich frisch und gerade so viel, wie er zu sich nehmen kann, und das ist nicht viel. Am liebsten ospria, Hülsenfrüchte. Eine gute Stunde ist er mit dem Putzen und Verlesen der unterschiedlichsten Bohnenarten beschäftigt. Die eisenreichen, Cholesterin abbauenden Hülsenfrüchte sind fester Bestandteil der tradi­tionellen kretischen Ernährung. Sie werden über Nacht eingeweicht und am nächsten Morgen auf kleiner Flamme allmählich weich gekocht. Neben der fassolada, dem auch in Tavernen servierten weißen Bohnen-Tomaten-Eintopf, den Kichererbsen in Mehl- und Zitronensauce und den mit Zimt und Lorbeer gewürzten Linsen, stehen die mavromatika, die kleinen ovalen Bohnen mit den schwarzen Augen und in der Karwoche die loumbounia (im Altertum als »thermos« bekannt), die bitteren Lupinen, hoch im Kurs. Charalambos isst dazu den traditionellen Gerstenmehl-Zwieback, paximadi, den er in Wasser aufgeweicht hat, um die gar nicht wenigen noch eigenen Zähne zu schonen.Koukia, dicke, graue Bohnen, gelten als Delikatesse und werden stundenlang zu einer grauen Masse verkocht, die er mit frisch geschnittenen Zwiebeln, Öl und Zitronensaft als eine Art Dip reicht. Von seinen Spaziergängen am frühen Abend bringt Charalambos auch eine Wildkräutermischung aus Lattich, Nesseln, Feldspargeln und Disteln mit. Diesechorta bereitet er wie frischen Spinat zu und genießt sie als Salat mit viel Öl und Zitronen. Schon der italienische Reisende Christophoro Buondelmonti hatte Anfang des 15. Jahrhunderts diesem Menschenschlag Beifall gezollt: »Sie sind von großer Statur, unglaublich rüstig in ihren Bergen und kühn im Krie­ge; sie erreichen das Alter von hundert ohne Krankheiten; statt Wein trinken sie meist Milch.« Übrigens hatte Buondelmonti keinen einzigen Olivenbaum auf Kreta gefunden – der laut EU mit über viertausend Jahren älteste lebende Olivenbaum der Welt in Ano Vouves war damals offensichtlich noch nicht ausgeschildert. Im Spätmittelalter wurden vorwiegend Zuckerrohr und Baumwolle gepflanzt. Erst die Türken kultivierten wieder im großen Stil die heilige Frucht.

Das Öl, das Herr Charalambos ausschließlich verwendet, stammt selbstverständlich noch immer von den eigenen Ölbäumen. Seinen Hain hat er mittlerweile verpachtet, der Pächter darf die Hälfte behalten und liefert Charalambos das fertig abgefüllte native Öl. Dieses flüssige Gold enthält höchstens ein Prozent freie Fettsäuren und wird reichlich verwendet. Kreta...

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