Der Feind im Schatten - Roman

Der Feind im Schatten - Roman

von: Henning Mankell

Paul Zsolnay Verlag, 2010

ISBN: 9783552055025

Sprache: Deutsch

592 Seiten, Download: 1400 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

geeignet für: geeignet für alle DRM-fähigen eReader geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen


 

eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Der Feind im Schatten - Roman



 

Prolog

Die Geschichte beginnt mit einem Wutanfall.

Noch kurz zuvor hatte in der schwedischen Regierungskanzlei, wo der Vorfall sich abspielte, morgendliche Stille geherrscht. Die Ursache war ein Bericht, der am Vorabend abgegeben worden war und den der schwedische Ministerpräsident jetzt, an seinem dunklen Schreibtisch sitzend, las.

Es war einer der ersten Frühlingstage im Jahre 1983 in Stockholm, ein feuchter Dunst hing über der Stadt, und die Bäume hatten noch nicht ausgeschlagen. In den Ministerien sprach man natürlich genauso viel übers Wetter wie an anderen Arbeitsplätzen. Wenn es um Wetter und Wind ging, wandten sich alle in den allerheiligsten Räumen der Regierungskanzlei an Åke Leander. Es hieß, er könne mit den sichersten Wettervorhersagen aufwarten.

Leander hatte vor einigen Jahren einen Titel bekommen, der vornehmer klang als »Hausmeister«, vielleicht war er »Vorstand der Hausverwaltung« oder etwas in der Art. Er selbst betrachtete sich jedoch weiterhin als Hausmeister und hatte nicht das Bedürfnis, eine neue Berufsbezeichnung zu tragen.

Åke Leander war schon immer da gewesen, stets in der Nähe von Ministern und Staatssekretären, die kamen und gingen. Er gehörte zum Inventar, war pflichtbewusst und diskret. Jemand hatte mal im Scherz vorgeschlagen, er solle nach seinem Tod der Schutzheilige der Regierungskanzlei werden, ein freundliches Phantom, das seine Hand über ihre Anstrengungen hielt, die Geschicke des Landes Schweden zu lenken.

Dass er so viel über Wind und Wetter wusste, lag an dem Hobby, das Åke Leander neben seiner Arbeit betrieb. Er war unverheiratet und wohnte in einer nicht gerade großen Zweizimmerwohnung auf Kungsholmen. Hier pflegte er ein weltumspannendes Netz von Freunden, mit denen er als eifriger Amateurfunker in ständigem Kontakt stand. Er kannte seit langem die meisten Codewörter im Abkürzungsjargon der Amateurfunker auswendig. Nicht nur, dass QRT bedeutete »Sendung abbrechen« oder dass AURORA Empfangs- und Sendestörungen aufgrund hochfrequenten Nordlichts erklärte. Fast jeden Abend saß er mit den Kopfhörern da und sendete sein QRZ: »Sie werden angerufen von …« und dann sein Name. Die Legende berichtet, dass vor sehr langer Zeit der damalige Ministerpräsident aus einem nicht bekannten Grund wissen musste, welches Wetter im Oktober und November auf Pitcairn Island vorherrschte, jener entlegenen Insel im Stillen Ozean, auf der die Seeleute der Bounty nach der Meuterei gegen Kapitän Bligh das beschlagnahmte Schiff verbrannt hatten, um danach für immer dort zu bleiben. Åke Leander hatte dem Ministerpräsidenten am folgenden Tag die gewünschten Auskünfte über das Wetter erteilt. Und natürlich hatte er nicht gefragt, warum. Er war, wie bereits erwähnt, äußerst diskret.

»Åke Leander verfügt über bessere internationale Kontakte als irgendeiner im Außenministerium«, pflegte man ein wenig boshaft zu sagen, wenn er gemessenen Schritts durch die Korridore ging.

 

Als der Ministerpräsident die letzte Seite gelesen hatte, stand er auf und trat an ein Fenster. Draußen wirbelten Möwen in der Luft.

Es ging um die U-Boote. Die verfluchten U-Boote, die im Herbst 1982 vermutlich in schwedische Hoheitsgewässer eingedrungen waren und die Landesgrenzen verletzt hatten. Genau in der Zeit hatte in Schweden die Wahl stattgefunden, und Olof Palme war vom Sprecher des Reichstags mit der Regierungsbildung beauftragt worden, nachdem die Bürgerlichen eine Anzahl Mandate verloren hatten und im Parlament unterlegen waren. Bei ihrem Amtsantritt hatte die neue Regierung eine Kommission zur Aufklärung der Vorkommnisse mit den U-Booten eingesetzt, die man nie zum Auftauchen hatte zwingen können. Sven Andersson war der Vorsitzende des Ausschusses gewesen, dessen Bericht jetzt vorgelegt worden war. Olof Palme hatte ihn gelesen. Und er verstand nichts. Die Schlussfolgerungen der Untersuchung waren unbegreiflich. Olof Palme war außer sich.

 

Doch ist festzuhalten, dass Olof Palme nicht zum ersten Mal über Sven Andersson in Rage geriet. Eigentlich reichte seine Abneigung gegen ihn bis zu jenem Tag im Juni 1963 zurück, als unmittelbar vor Mittsommer ein grauhaariger siebenundfünfzigjähriger Mann in eleganter Kleidung auf der Riksbro mitten im Zentrum von Stockholm festgenommen worden war. Es ging so diskret vor sich, dass niemand aufmerksam wurde. Der Festgenommene hieß Wennerström, war Oberst der schwedischen Luftwaffe und von diesem Moment an als Spion für die Sowjetunion enttarnt.

Zum Zeitpunkt der Festnahme befand sich der damalige Ministerpräsident Tage Erlander auf dem Heimweg von einer Auslandsreise, einer der wenigen Urlaubswochen, die er in einer von Resos Ferienanlagen in Riva del Sole verbracht hatte. Als Erlander aus dem Flugzeug stieg und von Journalisten bestürmt wurde, war er nicht nur völlig unvorbereitet, er war auch nahezu unwissend, was die Sache betraf. Ihm war weder etwas von der Festnahme bekannt noch von einem suspekten Fliegeroberst namens Wennerström. Möglicherweise waren der Name und der Verdacht bei einem der Einzelberichte, die der Verteidigungsminister ihm von Zeit zu Zeit erstattete, zur Sprache gekommen und aufgewirbelt wie alter Staub. Aber nichts Ernstes, nichts, womit man sich abzugeben hatte. In den trüben Wassern, die den Kalten Krieg ausmachten, war der Verdacht der Spionage für die Russen stets gegenwärtig und trieb dicht unter der Oberfläche. Erlanders Antworten fielen entsprechend aus. Der Mann, der eine lange Reihe von Jahren ununterbrochen schwedischer Ministerpräsident war, siebzehn Jahre, wenn man genau nachzählt, stand wie ein Trottel da und wusste nicht, was er antworten sollte. Weder Verteidigungsminister Andersson noch sonst jemand, der mit dem Fall vertraut war, hatte ihm mitgeteilt, was los war. Während des Fluges von einer knappen Stunde hätte er ausreichend über das schockierende Vorkommnis informiert werden können und die Möglichkeit gehabt, sich auf die Begegnung mit den aufgebrachten Journalisten vorzubereiten. Aber keiner war ihm zum Flughafen Kastrup entgegengekommen, um ihn einzuweihen.

Auch wenn es nie in Einzelheiten an die Öffentlichkeit drang, stand Erlander in den folgenden Tagen kurz vor dem Rücktritt vom Posten des Ministerpräsidenten und als Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei. Nie zuvor war er so enttäuscht gewesen von seinen Kollegen in der Regierung. Und Olof Palme, der schon damals der Mann zu sein schien, den Erlander als Kandidaten für seine Nachfolge betrachtete, teilte loyal dessen Empörung über die Nachlässigkeit, die zu Erlanders Erniedrigung geführt hatte. Olof Palme wachte über seinen Herrn und Meister wie ein Bluthund, pflegte man in regierungsnahen Kreisen zu sagen. Niemand widersprach dem.

Olof Palme konnte Sven Andersson nie verzeihen, was er Erlander angetan hatte.

Viele fragten sich später, warum Olof Palme Sven Andersson trotzdem in seine Regierung holte. Das war eigentlich nicht schwer zu verstehen. Hätte Olof Palme gekonnt, hätte er es nicht getan. Aber er konnte ganz einfach nicht. Sven Andersson hatte große Macht und starken Einfluss bei der Parteibasis. Er war Arbeitersohn im Gegensatz zu Olof Palme, der altem baltischem Adel entstammte, der Offiziere in der Familie hatte – der selbst übrigens Reserveoffizier war –, der vor allem aber der wohlhabenden schwedischen Oberklasse angehörte. Er hatte keinerlei tiefere Verankerung in der Partei. Olof Palme war ein Überläufer, der es zwar ernst meinte mit seiner parteipolitischen Überzeugung, aber dennoch ein fremder politischer Pilger auf lebenslangem Besuch war.

 

Åke Leander, der auf dem Flur vor dem Zimmer des Ministerpräsidenten vorbeiging, ein bissig formuliertes Rundschreiben in der Hand, in dem die Nachlässigkeit der Angestellten der Staatskanzlei beim abendlichen Abschließen der Türen angeprangert wurde, hörte den Wutausbruch. Er hielt kurz inne und ging dann weiter, als wäre nichts geschehen.

Olof Palme konnte seine Wut nicht mehr beherrschen. Hochrot im Gesicht, mit dem eigentümlichen Zucken der Arme, das seine Momente des Zorns kennzeichnete, wandte er sich zu Sven Andersson um, der sich in das graue Sofa drückte.

»Aber es gibt keine Beweise«, brüllte er. »Nur Behauptungen, Andeutungen, Anspielungen von illoyalen Marineoffizieren. Diese Untersuchung bringt uns keinerlei Klarheit. Im Gegenteil, sie führt uns geradewegs in die politischen Sümpfe.«

Zwei Jahre zuvor, in der Nacht zum 28. Oktober 1981, war ein sowjetisches U-Boot in der Gåsebucht außerhalb von Karlskrona auf Grund gelaufen. Das war nicht nur schwedisches Hoheits-, sondern dazu noch militärisches Sperrgebiet. Das U-Boot hatte das Kennzeichen U 137, und der Kapitän an Bord, Anatoli Michailovitsch Guschtschin, erklärte, das U-Boot sei aufgrund eines unbekannten Defekts am Kreiselkompass vom Kurs abgekommen. Schwedische Marineoffiziere und einfache Fischer waren...

Kategorien

Service

Info/Kontakt