Bauchgefühle sind Kopfsache

Bauchgefühle sind Kopfsache

von: Rike Reinau

Epidu Verlag, 2011

ISBN: 9783942584135

Sprache: Deutsch

272 Seiten, Download: 1325 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Bauchgefühle sind Kopfsache



1


Wenn man sich als Frau um die dreißig nicht mit einem festen Partner an seiner Seite schmücken kann, befindet man sich an einem gewöhnlichen Samstagabend gelegentlich in einer misslichen Lage. Während die Freundinnen, mit denen man noch vor wenigen Jahren um die Häuser gezogen ist und seinen Herzschmerz weggekichert hat, inzwischen entweder in den ruhigen Hafen der Ehe geschippert sind, ihren frisch geschlüpften Sprössling hüten oder mit ihrem Mausepfötchen einen gemütlichen Abend vor der Glotze veranstalten, findet man sich plötzlich alleine mit seiner Abendgestaltung. Was tut Frau an einem Abend, an dem die einzige Verabredung, die sie hat, die mit sich selbst ist?

Bevor ich mich von einer Welle des Selbstmitleids übermannen lasse, denke ich an die Worte meiner besten Freundin Suse. Als ich einmal wehmütig einer glücklichen kleinen Familie hinterhergeblickt habe, sagte sie nur: »Was meinst du, wie viele frisch gebackene Mütter gerne noch einmal Zeit für sich alleine hätten? Genieß es, Süße!«

Wie wahr, wie wahr! Also, junge Muttis, seht her und beneidet mich. Ich kann jetzt ganz alleine entscheiden, was ich heute Abend tun mag, die Welt steht mir offen!

Als erstes entschließe ich mich, ein Bad zu nehmen. Das Wasser temperiere ich besonders heiß und ich gieße eine halbe Flasche Schaumbad dazu. Warum auch nicht? Ich werde ganz alleine in dieser Wanne liegen. Niemand wird meckern: »Das ist mir zu heiß! Ich mag keinen Schaum!«

Bei Kerzenschein, leiser Musik und einem Gläschen Sekt lasse ich mich in die wohlig wärmende Nässe gleiten und vertiefe mich in einen Roman. So lässt sich’s leben! Fast komme ich mir dekadent vor. Womit habe ich diese süße Freiheit nur verdient, und wieso nur finde ich Alleinsein meistens doof?

Nach einer Stunde genüsslicher Körperpflege macht sich ein leichtes Hungergefühl bemerkbar und ich bestelle bei meinem Lieblingsitaliener Spaghetti con frutti di mare. Gewöhnlich verzichte ich lieber auf diese Venusmuschelsoße, weil da ordentlich Knobi dran ist, aber heute, pff, wen interessiert es?! Mit den Schätzen des Meeres mache ich es mir auf dem Fußboden bequem, auf dem ich inzwischen all meine Fotoalben aus prädigitalen Zeiten ausgebreitet habe.

Bild für Bild sehe ich mich einer konservierten Version von mir selbst gegenüber und frage mich, wie viel von all diesen fremd vertrauten Florentines, die mir von den Fotos entgegenlächeln, heute noch in mir steckt? Um auch die aktuelleren Aufnahmen durchzugehen, schmeiße ich den Computer an. Klick, klick, Freunde, Partys, klick, Familie, Liebschaften, Berge, Städte, Meere, klick, Sonnenuntergänge, winzige Puzzlestücke, die zusammengesetzt eine Kontur ergeben. Meine Kontur. Die Patchwork-Flo. Plötzlich fühle ich mich von einer seltsam wehmütigen Stimmung ergriffen. Da ist sie, Melancholie, meine spezielle Bekannte. Unbemerkt hat sie sich eingeschlichen und schmiegt sich fest an mich. Sie ist häufig zu Gast bei mir. An Abenden wie diesen fühlt sie sich besonders bemüßigt, mir einen Besuch abzustatten, und wenn sie erst einmal da ist, werde ich sie so schnell nicht wieder los. Meistens bleibt sie dann über Nacht.

Um mich abzulenken, beginne ich zahlreiche Ordner anzulegen, in die ich dann die Bilder thematisch einsortiere. Doch nach einer Weile wird mir diese stupide Beschäftigung zu langweilig. Schließlich brauche ich meinen Abend nicht mit solchen Banalitäten zu verplempern. Also beschließe ich einen Aktivitätenwechsel.

Anstatt den Computer auszuschalten, erliege ich der Versuchung, noch ein bisschen im Netz zu surfen. Da habe ich ja sonst nie Zeit für. Während ich mich durch die neue Herbstkollektion von Esprit klicke und mein Warenkorb bereits zehn Artikel anzeigt, merke ich, wie mein Blick immer wieder zum rechten unteren Bildschirmrand wandert. Eine leichte Unruhe breitet sich in mir aus. 22:15 Uhr blinkt es da, und ich versuche mich krampfhaft auf die Detailansicht eines schwarzen Abendkleides zu konzentrieren. Wozu ein umwerfendes Abendkleid, wenn du abends alleine vor dem PC hockst?, höhnt eine Stimme in mir. Kurzerhand lösche ich den Einkaufskorb und wühle mich als Nächstes durch Ikeas gesamte Regalwandsysteme, um wieder auf andere Gedanken zu kommen.

Aber ich kann nicht umhin, mich daran zu erinnern, dass dies früher die Zeit war, zu der wir Mädels angefangen haben, uns auf den späteren Diskobesuch einzustimmen. Wie viele Nachtschwärmer mögen wohl in diesem Moment vor ihren Kleiderschränken stehen oder den perfekten Lidstrich ziehen, voller Vorfreude auf ein perfektes Nachtleben?

Ich kann ja wenigstens so tun als ob, beschließe ich trotzig und öffne meinen Kleiderschrank. Mit großem Bedacht wähle ich ein Outfit, das ich heute Abend anziehen könnte, wenn ich ausgehen würde. In meiner hautengen Jeans, dem schwarzen, tief dekolletierten Blüschen und den hohen Stiefeln, drehe ich mich vor dem Spiegel hin und her und merke, wie narzisstische Züge in mir aufkeimen. Was für eine Augenweide ich doch bin! Seht her liebe Männer, was ihr heute Abend verpasst. Reinste Verschwendung, dass ich mich der Männerwelt so vorenthalte. Wenn ich wollte, könnte ich mich ganz alleine ins Nachtleben stürzen und ich würde garantiert nicht lange alleine bleiben! Zu dumm nur, dass ich nicht auf kleine amouröse Abenteuer aus bin, sondern dass ich das eine große Abenteuer suche. Und noch dümmer, dass derjenige, dem ich mein Herz gerade restlos verschenkt habe, noch nicht bereit ist für das große gemeinsame Glück.

In meinem Entzücken über mein umwerfendes Äußeres hole ich meine Kamera. Wie gut, dass es den Selbstauslöser gibt. Ich lege einen Best-of-the-80’s-Mix in meinen CD-Player und veranstalte meine eigene Party. Laut mitgrölend tanze ich zu »You gotta fight, for your right, to paaaarty« von den Beastie Boys durch die Wohnung, wechsele zwischendurch die Outfits und dokumentiere alles auf meiner Digicam. Auf dem PC würde ich das Ganze später unter dem Ordner »Mögliche Outfits für einen Ausgehsamstag« ablegen. Hätte den Vorteil, dass ich zukünftig nicht zwei Stunden vorher alles durchprobieren muss, sondern ich könnte einfach per Mausklick entscheiden, zu welchen Klamotten ich tendiere – spart Zeit und die Mühe, den Kleiderschrank immer wieder neu einzuräumen.

Da fällt mir ein, dass ich auch meinen Ordner »Eigene Akte« aktualisieren könnte. Also lasse ich alle Hüllen fallen und räkele mich zu »Like a virgin« nackt vor der Kameralinse.

Ein kurzes, melodisches Signal dringt durch die Klänge von Madonna und mir wird bewusst, dass es mein Handy ist. In freudiger Erregung springe ich auf, um nachzuschauen, wer da zu so später Stunde an mich denkt. Es ist nur der Updatedienst, der wissen will, ob ich die neuesten Updates installieren will. Nein, will ich nicht!

Ärgerlich drücke ich ihn weg, und da mir nun die Lust am Posieren vergangen ist, packe ich die Kamera ein und ziehe meinen Schlafanzug an.

Ich beginne meinen SMS-Posteingang zu durchforsten. Vielleicht ist ja eine Nachricht gekommen, die ich überhört habe.

Es erwarten mich aber nur alte Mitteilungen, die ich aus sentimentalen Gründen noch nicht gelöscht habe, und obwohl ich weiß, dass das zu dieser nächtlichen Stunde keine gute Idee ist, kann ich nicht widerstehen, sie zu lesen.

Schon alleine die Anreden treiben mir einen Kloß in den Hals: Liebste ..., mein Spätzchen ..., Hallo Engel …

Hat er mich wirklich mal so genannt?

Da ist sie wieder, Melancholie! Siegesgewiss streichelt sie mir über das Haar. In einer Welle des Selbstmitleids kauere ich mich auf dem Sofa zusammen und weine laute, bittere Tränen.

Warum nicht? Es ist mein Abend, ich kann tun, was ich will.

Mein Kater kommt verstört aus seinem Körbchen und ich drücke ihn fest an mich. Wenigstens einer, der von mir gekrault werden will.

In meiner Verzweiflung krame ich aus der hintersten Ecke meines CD-Regals ein Roland Kaiser-Album hervor. Keine Ahnung, wie ich zu dieser Platte gekommen bin, aber sie erfüllt ihren Zweck. »Lieb mich ein letztes Mal«, singe ich mit von Tränen erstickter Stimme und spüre, wie mir mein Herz fast überschäumt vor unerfüllter Sehnsucht. Bei »Dich zu lieben, dich berühren, mein Verlangen dich zu spüren, weckt die Sehnsucht in mir, auf ein Leben mit dir«, beschließe ich, IHM genau das zu schreiben, jetzt sofort und zwar per SMS. Und wenn ich ihn damit beeindrucken kann, werde ich einen Dankesbrief an Roland Kaiser und seine Texter schicken und mich öffentlich als Schlager-Fan outen.

Als PS setze ich den Zeilen noch hinzu: Wenn du jetzt hier wärst, dürftest du mir die Bluse vom Leibe reißen und auf ewig innig mit mir verschmelzen! Soll ja auch eine persönliche Note bekommen, diese Nachricht.

Ich schicke sie los und gehe davon aus, dass mein Angebeteter jetzt friedlich schlummert und sie erst beim Erwachen lesen wird. Dann allerdings wird er sich in den Arsch beißen, dass er sich dieses eindeutige Angebot hat entgehen lassen. Der Gedanke gefällt mir und hebt meine Stimmung ein wenig. Was aber, wenn er sie doch jetzt gleich liest? Er könnte antworten. Oder er folgt meinem Ruf und kommt einfach vorbei. In einer halben Stunde könnte er hier sein. Wenn man noch Anziehen und Frischmachen mit einrechnet, könnte es eine Stunde dauern, höchstens. Panisch stürze ich ins Bad, um mein verheultes Gesicht wieder in den Griff zu bekommen. Und die Bluse muss ich auch schnell wieder anziehen. Wenn er sich schon mitten in der Nacht auf den Weg zu mir macht, dann muss er auch vorfinden, was ihm verheißen wurde. Warum nur musste ich unbedingt Knoblauchsoße bestellen – den Geschmack werde ich jetzt nicht mehr los. Zehn Minuten sind schon vorbei. Ich spüre die Nervosität in mir....

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