Karrieren im Zwielicht: Hitlers Eliten nach 1945

Karrieren im Zwielicht: Hitlers Eliten nach 1945

von: Norbert Frei

Campus Verlag, 2001

ISBN: 9783593367903

Sprache: Deutsch

367 Seiten, Download: 13468 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Karrieren im Zwielicht: Hitlers Eliten nach 1945



Hitlers Eliten nach 1945 – eine Bilanz

Norbert Frei


»Das ist ja überhaupt das Verhängnis für Deutschland, daß die alte Generation überall an die Spitze muß. Die mittlere Generation fällt nahezu vollständig aus, weil sie in der Partei war. Die junge Generation ist nicht urteilsfähig weder in politischer noch einer sonstigen Hinsicht. Sie muß völlig umerzogen werden.«

Konrad Adenauer, April 19461


Jahrzehntelang machte sich im Westen wie im Osten Deutschlands verdächtig, wer danach fragte, wieviel personelle Kontinuität die beiden 1949 ausgerufenen Republiken mit dem untergegangenen NS-Regime verband – jedenfalls immer dann, wenn diese Frage sich nicht auf das feindliche Gegenüber bezog. Die Erklärung dafür lag auf der Hand, wurde aber selten ausgesprochen: Jede Seite verstand sich als die einzig legitime Antwort auf das Dritte Reich, und jede mußte Staat mit einer Bevölkerung machen, die keine zehn Jahre zuvor Hitler auch in freier und geheimer Wahl eine überwältigende Mehrheit beschert hätte. Angesichts einer solchen Ausgangslage verwandelte sich das Kontinuitätsproblem beiderseits der Elbe mit dem Akt der Staatsgründung in eine Art Betriebsgeheimnis: nach innen allgemein bekannt, nach außen prinzipiell beschwiegen.

Auch die Geschichtswissenschaft ist dem Thema lange aus dem Weg gegangen. Wohl hat man die Entstehung der Bundesrepublik und der DDR in allen außen- und innenpolitischen Facetten erforscht, kaum jedoch die psychische Verfassung der seit dem 8. Mai 1945 zwar aus ihrer nationalsozialistischen Inanspruchnahme entlassenen, mental aber durchaus weiter existenten »Volksgemeinschaft«. Dadurch wurde eine Einsicht verfehlt, die jeder sinnvollen Antwort auf die Kontinuitätsfrage vorausgehen muß: die Einsicht nämlich, daß das Dritte Reich im Innern über die längste Zeit seiner Dauer nicht auf die Ausübung von Terror und Gewalt angewiesen war, sondern sich vielmehr außerordentlich großer Integrationskraft und hoher Akzeptanz erfreute – und zwar bei den Eliten nicht weniger als bei den sogenannten »einfachen Volksgenossen «.

Wenn aber – woran die neuere NS-Forschung keinen Zweifel läßt – das politische Projekt des Nationalsozialismus und das Versprechen der »Volksgemeinschaft« bei den Deutschen über weite Strecken auf so breite Zustimmung trafen, dann hat es wenig Sinn, das Problem der Elitenkontinuität auf die Frage nach einer genuin nationalsozialistischen Elite und deren Nachkriegschancen zu verkürzen. Statt dessen gilt es, den Blick auf die deutschen Führungsschichten insgesamt zu richten: auf all jene also, die mit ihren Fähigkeiten, ihrem Talent und ihrer Expertenschaft dazu beitrugen, daß Hitler und seine 1933 installierte »Bewegung« binnen weniger Jahre für Deutschland den Status einer politischen, ökonomischen und militärischen Großmacht zurückzuerobern vermochten, um schließlich einen beispiellos verbrecherischen Krieg zu beginnen. Dann freilich zielt die Frage nach »Hitlers Eliten« nicht allein auf den begrenzten Kreis hochrangiger Parteimitglieder und weltanschaulicher Überzeugungstäter, sondern durchaus generell auf die deutschen Funktionseliten im Nationalsozialismus – und auf ihren Weg danach.

Dieses Buch konzentriert sich, wie die ihm zugrunde liegende Fernsehserie, auf fünf bedeutsame Gruppen: auf Mediziner, Militärs, Unternehmer, Journalisten und Juristen. Damit ist das Feld der politisch und gesellschaftspolitisch zentralen Funktionseliten nicht zur Gänze abgesteckt, wohl aber in entscheidenden Bereichen. Das gilt um so mehr, als die Beamtenschaft, die auf Anhieb zu fehlen scheint, in dieser Auswahl vielfach auftaucht. So prägten zum Beispiel die im Dritten Reich aktiven Juristen nicht nur die Rechtsprechung im Nachkriegsdeutschland, sondern auch den Geist der öffentlichen Verwaltung; beamtete Mediziner, die eben noch als »Euthanasie«-Experten hervorgetreten waren, ließen sich als praktische Ärzte nieder, oder es gelangen ihnen neue Karrieren als Wissenschaftler in den wiedereröffneten Universitäten; Generale, mangels anderer Verwendungsmöglichkeiten pensioniert, gingen in die Wirtschaft oder schrieben ihre Memoiren.

Solche Funktionswechsel erweitern das Bild, vermögen es jedoch nicht völlig auszufüllen; dazu ist das Spektrum der gesellschaftlichen Spitzen zu vielfältig und, zumal für den Bereich der DDR, auch noch längst nicht genügend erforscht. Eine Lücke in unserem Panorama des Übergangs der Eliten von der NS- in die Nachkriegszeit allerdings ist keine: die der politischen Führungsschicht des Dritten Reiches. Für sie gab es, im Unterschied zu allen anderen Funktionseliten, nach 1945 keine Zukunft. Niemand, der an Hitlers Seite ein auch nur einigermaßen wichtiges politisches Amt innehatte, konnte im Nachkriegsdeutschland erneut ein solches erringen. Die Erklärung dafür liefert die Geschichte der politischen Säuberung. Sie verdeutlicht auch den Fehlschluß, der aus der noch immer populären Annahme einer simplen »Kontinuität« der Eliten erwächst.

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