Die Weisheit im Körper - Der biodynamische Ansatz der Craniosacral-Therapie

Die Weisheit im Körper - Der biodynamische Ansatz der Craniosacral-Therapie

von: Michael Kern

Richard Pflaum Verlag, 2013

ISBN: 9783790510188

Sprache: Deutsch

348 Seiten, Download: 5259 KB

 
Format:  EPUB

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Die Weisheit im Körper - Der biodynamische Ansatz der Craniosacral-Therapie



 1 Geschichte und Entwicklung der Craniosacral- Therapie

Würmer würden kein lebendes Holz essen,
in dem der Saft des Lebens fließt;
Rost behindert nicht das Öffnen eines Tores,
wenn die Scharniere jeden Tag benutzt werden.
Bewegung bringt Gesundheit und Leben.
Stagnation bringt Krankheit und Tod.

(Sprichwort aus der Traditionellen Chinesischen Medizin)

1.1 Die Anfänge

Ich bin fest davon überzeugt, dass Fleisch und Blut weiser sind als der Intellekt. Das Körperunbewusste ist der Ort, an dem das Leben in uns wallt. Es lässt uns spüren, dass wir lebendig sind, lebendig bis in die Tiefen unserer Seele und irgendwo in Kontakt mit den lebendigen Bereichen des Kosmos stehen.

D.H. Lawrence

Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts untersuchte ein Abschlussstudent der Osteopathie namens William Garner Sutherland im Schullabor einen Satz voneinander getrennter menschlicher Schädelknochen. So wie allen Studenten dieser Zeit war auch ihm beigebracht worden, dass sich die Schädelknochen erwachsener Menschen nicht bewegen, weil ihre Suturen (Knochennähte) miteinander verwachsen. Sutherland fiel jedoch auf, dass die Knochen, die er in seinen Händen hielt, offenbar mühelos voneinander zu trennen gewesen sein mussten.

Wie die Kiemen eines Fisches

Während er sich einige der schrägen Kanten der Suturen ansah, auch die der Schläfen- und Scheitelbeine, hatte Sutherland eine Eingebung, die sein weiteres Leben veränderte und ihn wie ein Blitz traf (Abb. 1.1) (Magoun 1976). Ihm kam die Idee, dass diese Knochennähte wie die Kiemen eines Fisches aussahen und für irgendeine Form von Atembewegung entworfen worden waren. Er verstand weder, woher dieser Gedanke kam, noch war ihm seine Tragweite bewusst, doch er ging ihm nicht mehr aus dem Kopf (Sutherland 1991).

Abb. 1.1 Schräge Kante der Sutur zwischen Schläfen- und Scheitelbein.

Getreu seiner naturwissenschaftlichen Ausbildung suchte Sutherland nach Beweisen dafür, dass sich Schädelknochen nicht bewegten, so wie er es gelernt hatte. Er schlussfolgerte, dass, wenn die Schädelknochen sich bewegten und diese Bewegung verhindert werden könnte, Auswirkungen feststellbar sein müssten. Also entwarf er einen Helm aus Leinenbändern und Lederriemen, die er in verschiedenen Positionen festziehen konnte, um auf diese Weise jede potenzielle Form der Schädelbewegung zu verhindern.

Die Bewegung der Schädelknochen

Er führte Experimente an seinem eigenen Kopf durch und zog die Riemen erst in die eine und dann in die andere Richtung fest, wovon er innerhalb kurzer Zeit Kopfschmerzen und Verdauungsbeschwerden bekam. Da diese Reaktion nicht seinen Erwartungen entsprach, beschloss er, weiter zu forschen, um mehr herauszufinden. Einige seiner Versuche mit dem Helm führten zu ziemlich schweren Symptomen wie Enge im Schädel, Kopfschmerzen, Übelkeit und Verwirrtheit. Erstaunlicherweise nahm er ein Gefühl großer Entlastung und eine verbesserte Zirkulation im Schädel wahr, sobald er die Riemen des Helmes in anderen Positionen festzog, er (Sutherland 1967).

Nach vielen Monaten des Manipulierens an seinen eigenen Schädelknochen mit unterschiedlichsten Folgen beendete Dr. Sutherland schließlich seine Forschung, denn er hatte sich davon überzeugen können, dass sich die Schädelknochen Erwachsener tatsächlich bewegen. Zudem hatte er am eigenen Leib erfahren, dass die Schädelbewegungen eine wichtige physiologische Funktion haben mussten. Sutherland widmete die letzten fünfzig Jahre seines Lebens damit, die Bedeutung dieser Bewegung zu erforschen.

Erkenntnisse aus der Historie und aus anderen Kulturen

Obwohl in den meisten westlichen Ländern die Beweglichkeit der Schädelknochen abgestritten wurde, war diese Idee anderen Kulturen nicht fremd. Es existieren verschiedene asiatische Medizinrichtungen, wie z.B. die Akupunktur und Ayurveda, die schon lange von den subtilen Bewegungen im Körper wissen und ihren Ursprung im Fluss der Lebenskraft bzw. in der Lebensenergie sehen. Dieses Wissen war auch schon in der russischen Lehre der Physiologie ein traditioneller Bestandteil, und in Italien lehrten die Anatomen bereits Anfang des 20. Jahrhunderts, dass die Schädelnähte Erwachsener nicht vollständig zusammenwachsen, sondern lebenslang kleinste Bewegungen zulassen (Sperino o.J.).

In Indien übte man seit Jahrhunderten Manipulationen am Schädel aus, und auch die alten Ägypter und Angehörige der peruanischen Paracus-Kultur (2000 v. Chr. bis 200 n. Chr.) entwickelten entsprechende Behandlungsmethoden (Milne 1995). Der Philosoph und Wissenschaftler Emmanuel Swedenborg beschrieb im 18. Jahrhundert eine rhythmische Bewegung des Gehirns, die sich in regelmäßigen Zyklen von Ausdehnung und Kontraktion zeigt (Swedenborg 1938).

Die Atmung des Gewebes

Bereits zu Beginn seiner Untersuchungen bemerkte Dr. Sutherland, dass er ein unwillkürliches System von „Atmung“ in den Geweben erforschte, das für die Erhaltung der Gesundheit von Bedeutung ist, und dass dessen Fähigkeit, Bewegung auszudrücken, lebendiges von totem Gewebe unterscheidet. Er spürte, dass alle Körperzellen eine rhythmische „Atmung“ zeigen müssen, um optimal funktionieren zu können. Viele seiner Forschungsergebnisse waren das Resultat aus der Kombination profunder Anatomiekenntnisse mit einem feinen Tastsinn und seiner Wahrnehmungsfähigkeit. Er entdeckte, dass die subtilen Atembewegungen mit feinfühligen Händen zu ertasten sind und dass diese Bewegungen viele klinische Informationen liefern.

Ein interdependentes System

Dr. Sutherland erkannte, dass die Bewegung der Schädelknochen in engem Zusammenhang mit anderen Geweben steht und dass das Membransystem, das mit den Schädelknochen an deren Innenseite durchgehend verbunden ist, ein wesentlicher Bestandteil dieses Phänomens ist. Ebenso bedeutsam war seine Feststellung, dass das zentrale Nervensystem und die cerebrospinale Flüssigkeit (C.S.F.), in der das Gehirn schwimmt, eine rhythmische Bewegung zeigen. Teil dieses Systems ist auch das Kreuzbein über seine duralen Verbindungen zum Schädel. Auf diese Weise existiert im Innersten des Körpers eine wichtige „Infrastruktur“, die aus Flüssigkeiten und Geweben besteht und eine sich gegenseitig beeinflussende, feine, rhythmische Bewegung ausdrückt. Als Dr. Sutherland tiefer in die Ursprünge dieser Rhythmen eintauchte, fiel ihm auf, dass nicht von außen einwirkende muskuläre Kräfte für diese Bewegung verantwortlich sind. Er schloss daraus, dass sie von einer „Lebenskraft“ hervorgerufen werden müssen, die dem Körper innewohnt. Diese Kraft bezeichnete er als Breath of Life, den Atem des Lebens, ein Begriff aus der biblischen Schöpfungsgeschichte (Sutherland 1967).

1.2 Der Breath of Life

Stellen Sie sich vor, Sie wären eine elektrische Batterie.

Die Elektrizität scheint die Kraft zu besitzen, Sauerstoff zu entzünden
oder zu verteilen, woraus wir belebenden Nutzen ziehen.

Wir fühlen uns gut, wenn sich die Elektrizität frei durch unser ganzes
System bewegen kann. Ist sie an mancher Stelle abgeschnitten,
hat dies Blockierungen zur Folge.

Dr. A. T. Still (1981)

Die dem Körper innewohnende Lebenskraft, den Breath of Life, betrachtete Dr. Sutherland (1967) als Antriebskraft oder Zündfunken hinter den von ihm entdeckten Rhythmen. Andere Therapeuten bezeichneten diese Kraft auch als den Atem der Seele im Körper, in Anspielung auf die Quelle dieses Phänomens. Man geht davon aus, dass der Breath of Life eine feine, aber dennoch starke Kraft, die so genannte Potency, in sich trägt, die feine Rhythmen generiert, wenn sie in den Körper eintritt (Sutherland 1991).1 Dr. Sutherland erkannte, welch außerordentlich wichtige Rolle die C.S.F. für den Ausdruck und die Verteilung der Potency des Breath of Life spielt. Wenn die Potency von der C.S.F. aufgenommen wird, entsteht eine gezeitenartige Bewegung, die man auch als longitudinale Fluktuation bezeichnet. Dieser Bewegung kommt eine große Bedeutung bei der Verbreitung des Breath of Life im Körper zu. Solange sie sich ausdrücken kann, ist der Mensch gesund.

Ausdrucksformen von Gesundheit

Dr. Sutherland ging davon aus, dass die Potency des Breath of Life eine grundlegende „Intelligenz“ in sich trägt. Seinen Erkenntnissen zufolge kann der Behandelnde diese intrinsische Kraft zur Unterstützung der Gesundheit wirkungsvoll einsetzen (Sutherland 1967). Die Potency überträgt die lebensnotwendige „Blaupause“ der Gesundheit, die auf zellulärer Ebene als grundlegendes und kraftvolles Ordnungsprinzip wirkt und für das ordnungsgemäße Funktionieren aller Körpersysteme wichtig ist. Ähnliche Konzepte finden sich auch in vielen traditionellen Therapieformen, die ebenfalls ihr Augenmerk auf die ausgewogene Verteilung der Lebenskräfte im Körper richten.2

In einem gesunden System, das sich durch natürliche, ausgewogene und kräftige Rhythmen auszeichnet, wird das lebensnotwendige ordnende Prinzip im Körper...

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