Kinder psychisch kranker Eltern

Kinder psychisch kranker Eltern

von: Albert Lenz

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2005

ISBN: 9783840918728

Sprache: Deutsch

227 Seiten, Download: 1035 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Kinder psychisch kranker Eltern



3 Elternschaft und psychische Erkrankung (S. 33-34)

Während zu den Auswirkungen psychischer Erkrankung eines Elternteils auf die Kinder, speziell zu dem damit verbundenen deutlich erhöhten Risiko im Verlauf der Entwicklung selbst psychisch zu erkranken oder andere Verhaltensauffälligkeiten zu zeigen, zahlreiche empirische Studien vorliegen, wurde dem Thema Elternschaft der Personen mit psychischen Störungen in der Forschung bislang relativ wenig Beachtung geschenkt.

Bereits über die Prävalenz psychisch kranker Eltern lassen sich vorläufig noch keine verlässlichen Angaben machen. So variieren beispielsweise die Angaben über den Anteil psychisch kranker Eltern mit minderjährigen Kindern zwischen 9 % und 61 %. Die große Schwankung ist darauf zurückzuführen, dass in den wenigen kontrollierten Studien unterschiedliche Populationen untersucht wurden. Entweder waren in die Erhebung nur weibliche Patienten (Oates, 1997, Bauer & Lüders, 1998), nur bestimmte Diagnosegruppen (Hearle et al., 1999; Caton et al., 1999) oder nur Frauen einbezogen, die mit ihren Kindern zusammenlebten. Zahlen zu Vaterschaft und psychischer Erkrankung liegen bislang kaum vor. Mattejat et al. (2000) sprechen in diesem Zusammenhang von einer gewissen „Mutterlastigkeit" in den Untersuchungen. Da eine Reihe von Befunden den Schluss nahe legt, dass sich die mütterliche Erkrankung gravierender auf die kindliche Entwicklung auswirkt als die entsprechende väterliche Erkrankung, werden Väter offensichtlich nicht in dem Maße in den Blick genommen.

In den wenigen konsekutiven Studien, in denen sowohl Frauen und Männer getrennt als auch beide Gruppen erfasst wurden, sind je nach Klinik 9 % bis 30 % der aufgenommenen Patient(-innen) Eltern von minderjährigen Kindern. Bohus et al. (1998) haben an der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Freiburg über einen Zeitraum von 12 Monaten konsekutiv alle stationären Patient (-innen) mit Kindern unter 18 Jahren zum Zeitpunkt der Entlassung erfasst. 18 % der entlassenen Patienten hatten Kinder unter 18 Jahren, davon waren 65 % Frauen und 35 % Männer. Gärtner (1999) und Pivorno (1999) führten eine Untersuchung an der Psychiatrischen Universitätsklinik Basel durch. In einer konsekutiven Erhebung über einen Zeitraum von 5 Monaten wurden den Fragen nachgegangen, wie viele Patient (-innen) Kinder unter 18 Jahren haben, wie groß die Anzahl der Kinder unter 18 Jahren ist und wo diese Kinder aufwachsen. Es zeigte sich, dass 51 % der hospitalisierten Frauen und 36 % der Männer Kinder hatten. 23 % der Frauen und 20 % der Männer hatten dabei Kinder unter 18 Jahren mit denen sie zum überwiegenden Teil auch zusammenlebten (59 %). Sommer et al. (2001) haben an der Psychiatrischen Universitätsklinik Bern über einen Zeitraum von 5 Monaten alle aufgenommen Patient(- innen) erfasst. Insgesamt 16,5 % der Personen waren Eltern von minderjährigen Kindern. Von den 16,5 % waren 54,5 % Frauen und 45,5 % Männer.

Die vorliegenden Studien zeigen deutlich, dass psychisch kranke Eltern keine Randgruppe darstellen. Die Mehrzahl der Eltern lebt mit ihren Kindern auch zusammen. Darüber hinaus scheint sich eine „Mutterlastigkeit" zu bestätigen. So zeigen die Untersuchungen, dass eindeutig mehr psychisch erkrankte Frauen Kinder haben und mit diesen in einem Haushalt wohnen.

Die psychische Erkrankung eines Elternteils – insbesondere der Mutter – kann im zeitlichen Verlauf immer wieder mit einer Beeinträchtigung in der Versorgung und Erziehung der Kinder einhergehen. Diese krankheitsbedingten Einschränkungen in der Betreuungs- und Erziehungsfunktion belasten den erkrankten Elternteil zusätzlich und verstärken seine Schuldgefühle, wie auch seine Ängste und Sorgen über die Zukunft der Kinder. Steht kein gesunder Partner zur Verfügung, der kompensierend eingreifen kann und Verantwortung für die Kinder übernimmt, kann es in der Folge zu einer Verschlechterung des psychischen Zustandes kommen. Die krisenhafte Situation kann sich weiter zuspitzen, wenn der erkrankte Elternteil den Verlust seines Sorgerechtes für die Kinder und den damit verbunden Verlust der Beziehung befürchten muss. Mehrere Studien weisen nach, dass der Verlust des Kindes durch die Entziehung des Sorgerechts eine reale Gefahr für den erkrankten Elternteil darstellt und eine erneute Dekompensation bewirken kann (vgl. Nicholson et al., 1998).

Aus juristischer Perspektive stellt eine psychische Erkrankung eines Elternteils noch kein Hindernis zur Ausübung des Sorgerechts dar, insbesondere dann nicht, wenn ein zweiter, gesunder Elternteil eine korrigierende Erziehungsfunktion ausübt (vgl. Schone, 1998). Ob Eltern ihre Sorge zum Wohle des Kindes wahrnehmen, hängt vielmehr von ihrem konkreten Verhalten ab. Nach der Feststellung des Bundesverfassungsgerichts von 1982 gehören psychische Krankheit und geistige Behinderung grundsätzlich zu den Lebensumständen, die das Kind als schicksalhaft hinzunehmen hat, sie rechtfertigen als solche noch keinen Eingriff in die elterliche Sorge. „Andererseits kann mangelnde Einsichts- und Schuldfähigkeit der Eltern nicht Hinderungsgrund für kindesschützende Maßnahmen sein. In besonderer Weise gilt es dabei, die verfassungsrechtlichen Grundsätze zu beachten, dass vorhandene Erziehungsdefizite vorrangig durch unterstützende öffentliche Hilfen auszugleichen sind.

Als weiteres kommen dann begrenzte Sorgerechtsbeschränkungen in Frage. Eingriffe in die elterliche Sorge, die mit der Trennung von Eltern und Kindern verbunden sind, dürfen nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen. Eine Trennung des Kindes von seinen Eltern ist nur zulässig, wenn andere Maßnahmen nicht mehr ausreichen, um die Gefahr für das Kind abzuwehren" (Münder, 1994, S. 5). Eine Fallerhebung bei 16 Jugendämtern aus dem gesamten Bundesgebiet ergab, dass bei 57 von 214 Kindern (27 %) für die ein Sorgerechtsverfahren wegen Kindeswohlgefährdung eingeleitet worden war, erhebliche bis gravierende Belastungen der Eltern durch eine psychische Krankheit eine Rolle gespielt haben (vgl. Münder et al., 2000). Hochgerechnet auf die ca. 6000 teilweisen oder vollständigen Sorgerechtsentzüge pro Jahr in Deutschland (vgl. Münder, 1998) würde dies bedeuten, dass bundesweit bei einer Anzahl von 1500 bis 1800 Fällen, eine psychische Krankheit der Eltern bzw. eines Elternteils zumindest einen auslösenden Faktor für eine Sorgerechtseinschränkung darstellt.

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