Das leere Haus - Trost für Trauernde

Das leere Haus - Trost für Trauernde

von: Theresia Hauser, Sieglinde Schmidt

Kösel-Verlag, 2006

ISBN: 9783466367061

Sprache: Deutsch

119 Seiten, Download: 646 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

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Das leere Haus - Trost für Trauernde



Behutsame Offenheit (S. 49-50)

Wir wünschen uns, unser Leben möge sich auf ganz einmalige und unverwechselbare Weise erfüllen und vollenden. Dies kann aber nur geschehen, wenn in Geborgenheit und in einer offenen Atmosphäre Fragen gewagt und Antworten ausgehalten werden können.

Die so genannte barmherzige Lüge in schwerer Krankheit ist in doppeltem Sinne unbarmherzig: Sie lässt den Betroffenen in großer Isolation zurück, ohne Gelegenheit für offene Gespräche in allen Zweifeln und Nöten, ohne Möglichkeit für wichtige Entscheidungen und Mitteilungen, ohne Trauer und Tränen der Erleichterung. Sie verhindert auch, dass Kranke und deren Begleiterinnen und Begleiter aneinander wachsen und reifen und einander wirklich helfen können.

In meiner medizinischen Ausbildung an der Universitätsklinik in den Siebzigerjahren durfte die Diagnose einer unheilbaren Erkrankung nur den Angehörigen mitgeteilt werden, nicht aber den Betroffenen, um – so wurde argumentiert – die noch verbleibende Lebenszeit eines Kranken nicht zu beeinträchtigen. Ein Patient war es, der meine Einstellung zu dieser Meinung radikal verändern sollte.

Dieser Patient war Leiter einer Bank. Er hatte Vertrauen zu mir und ich mochte ihn. Er war operiert worden, zunächst noch erfolgreich, und er bat mich, ihm die Wahrheit über seine Erkrankung zu sagen. Ich belog ihn. So hatte ich es gelernt und war von der Richtigkeit meines Handelns damals überzeugt. Einige Monate später suchte mich der Mann, körperlich sehr entkräftet, wieder auf. Er war empört, da er inzwischen die wirkliche Diagnose seiner Erkrankung durch eine Rechnung erfahren hatte. Gott sei Dank, sagte er, hat dieses Lügenspiel ein Ende. Er erzählte mir von seiner Isolation, die dadurch entstand, dass Frau und Kinder die Diagnose kannten und auch die nahen Freunde. Sie alle hatten nun einen Wissensvorsprung.

Der Mann erlebte, wie im Freundeskreis die Gespräche verstummten, wenn er dazutrat, und er spürte ihm gegenüber eine Betulichkeit, die ihn reizbar machte. Der Patient warf mir mit Recht vor, dass ich ihn entmündigt hatte, und er sagte mir, nicht ohne Bitterkeit, dass ihm in seinem Beruf gerichtliche Schritte drohten, falls er einen Klienten nicht über einen bevorstehenden Konkurs aufklären würde.

Mir wurde plötzlich klar, dass ich diesem Menschen einen wesentlichen Teil seines Lebens genommen oder doch so beeinträchtigt hatte, dass er Entscheidungen, die für ihn in dieser Zeit wichtig gewesen wären, nicht so hatte treffen können, wie er dies in Kenntnis seiner Situation getan hätte. Sein Zorn wurde mir verständlich und er spürte meine Betroffenheit. Auf seine Frage, warum ich so gehandelt habe, konnte ich nur sagen: Aus Angst.

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