Adipositas für Allgemeinmediziner

Adipositas für Allgemeinmediziner

von: Colin Waine

Hogrefe AG, 2006

ISBN: 9783456942810

Sprache: Deutsch

145 Seiten, Download: 1161 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Adipositas für Allgemeinmediziner



8. Medikamentöse Therapie der Adipositas (S. 87-88)

Die Kontrollmechanismen des Körpergewichts, des Appetits und des Energieverbrauchs werden sowohl physiologisch als auch willentlich gesteuert und sind zum Schutz vor dem Verhungern entstanden. Es sollte KlinikerInnen daher nicht überraschen, dass solche Mechanismen nicht an die heutige Zeit angepasst sind, wo das Problem der entwickelten Länder eher in Überals in Unterernährung besteht.

Angesichts dessen sollte es auch nicht überraschen, dass es Ernährungsberatung und willentlicher Kontrolle oft nicht gelingt, grundlegenden physiologischen Mechanismen und Umweltfaktoren entgegenzuwirken. In solchen Fällen ist es sicher legitim, medikamentöse Behandlungsformen zu erwägen, um die Beratung zu Ernährung und Lebensweise bei bestimmten Patientenkategorien zu intensivieren, die infolge ihrer Adipositas einem hohen Risiko des frühzeitigen Todes oder erheblicher Behinderung durch ihre Adipositas und die damit einhergehenden Risikofaktoren oder durch Begleiterkrankungen ausgesetzt sind.

In Kapitel 5 wurde dafür plädiert, Adipositas als eigenständiges Krankheitsbild zu betrachten, ihr den Status einer schweren chronischen Krankheit zu verleihen und sie entsprechend zu behandeln. Das Management der Adipositas kann in vielfältiger Weise mit dem bei Typ-2-Diabetes – einer ihrer zahlreichen Folgen – verglichen werden: Das erste Stadium besteht darin, zu einer Ernährungsumstellung in Verbindung mit erhöhter körperlicher Aktivität zu raten. Ist der diabetische Zustand durch diese Maßnahmen jedoch metabolisch nicht zu beherrschen, ist man normalerweise bereit, auf eine medikamentöse Therapie zurückzugreifen, um die Komplikationen eines Typ-2-Diabetes zu verhindern, so gering wie möglich zu halten oder zu verzögern und dabei die Lebensqualität zu verbessern.

Angesichts der in Kapitel 5 dargestellten Auswirkungen der Adipositas sowohl auf die Morbidität als auch auf die Mortalität ist es sicher an der Zeit anzuerkennen, dass die medikamentöse Therapie bei ausgewählten Patientengruppen ihren Platz in Programmen der Gewichtsreduktion und -erhaltung hat. Kopelman (1998) zufolge «sollten Medikamente gegen Adipositas als berechtigte Behandlung einer ernsten inneren Erkrankung und nicht als Allheilmittel bei leicht erhöhtem Körperfett gelten». Indem die WHO Adipositas als Krankheit klassifiziert, erkennt sie den Einsatz von Medikamenten als geeigneten Bestandteil eines Gesamtbetreuungsplans an, der eine langfristige Perspektive haben muss.

Das ideale Medikament zur Behandlung einer Adipositas würde: œ eine dosisabhängige Gewichtsreduktion bewirken œ dem Betroffenen ermöglichen, sein Idealgewicht zu erreichen und zu halten œ auch bei Einnahme über einen längeren Zeitraum sicher sein und œ weder Toleranz- noch Suchtpotenzial haben (Jung, 1997). Ein solches Medikament gibt es zurzeit leider nicht, aber die Forschung lässt für die Zukunft hoffen.

Substanzen wie Amphetamine, Thyroxin und Diuretika sollten niemals verwandt werden, und Dexfenfluramin wurde inzwischen aus dem Handel genommen. So bleiben dem Arzt zwei Substanzen, nämlich Orlistat und Sibutramin. Die Tatsache, dass es das ideale Medikament zur Behandlung einer Hypertonie oder eines Diabetes nicht gibt, hat uns nicht davon abgehalten,Vorhandenes zu nutzen, um einen maximalen Nutzen für Patienten sicherzustellen.

Die Therapie solcher Erkrankungen verpflichtet den Patienten nahezu immer zu lebenslanger medikamentöser Therapie, die jedoch nicht immer zu einer optimalen Kontrolle – sei es des Blutdrucks bei Hypertonikern oder des Stoffwechsels bei Typ-2-Diabetikern – führt. Lassen sich die gewünschten Ergebnisse nicht sicherstellen, bringt dies den Kliniker nicht dazu, die Therapie aufzugeben, sondern die Compliance zu überprüfen und ggf. Alternativen zu erwägen.

Noch vor einigen Jahren wurde der Einsatz von Medikamenten zur Behandlung der Adipositas wegen deren Suchtpotenzial, Unwirksamkeit oder schlechten Verträglichkeit verständlicherweise und völlig zu Recht abgelehnt. Angesichts der Auswirkungen einer Adipositas auf die Mortalität und Morbidität und angesichts der Tatsache, dass neuere Medikamente ohne Suchterzeugung auf den Markt kommen, ist eine Neueinschätzung des Stellenwerts der medikamentösen Therapie gerechtfertigt.

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